Gewalt bei Reitschule Bern: Nazi-Jäger gehen gegen Anhänger schwarzer Kulte vor – letztere rufen die Polizei zu Hilfe, doch die kommt nicht
Rudolf Gafner
«Wir haben einen Fehler gemacht, dafür entschuldigen wir uns», erklärt Stadtpolizei-Infochef Franz Märki. «Denn dass Verletzte die Polizei rufen und es kommt keine, das darf nicht sein.» Die Nacht auf den Samstag war lebhaft, nicht weniger als dreimal wurde die Polizei allein zur Reitschule gerufen: Erst gerieten zwei Männer, ein Türke und ein Algerier, aneinander, dann wehrte sich eine Person gegen die Entwendung ihres Rucksacks und erntete einen Schlag ins Gesicht – und das dritte Mal war, als drei Personen, die geprügelt wurden, telefonisch die Polizei zu Hilfe riefen. In den ersten beiden Fällen war die Polizei prompt da, nicht aber im dritten: Es habe geheissen, es seien nicht genügend Leute verfügbar, um auszurücken, man solle doch montags für eine Anzeige vorbeischauen. So berichteten es zwei der Opfer im Regionalfernsehen «TeleBärn», und die Polizei stellt dies nicht in Abrede.
Polizei ohne «schweres Element»
«Es lief nicht gut», bestätigt Märki. Just zur gleichen Zeit sei die Polizei mit einer anderen Schlägerei in der Stadt befasst gewesen, so dass der Diensthabende in der Zentrale kein «schweres Element» (Siebner- statt Zweierpatrouille) zur Reithalle habe schicken können. «Immerhin eine Patrouille hätte er jedoch schicken müssen, mindestens um sich um die Opfer zu kümmern.»
Zwei der Opfer reichten gestern Strafanzeige ein. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf – und Märki markiert «Zuversicht, dass wir die Täter werden ermitteln können». Die Täter waren Antifa-Militante. So bestätigt es auch ein – wie üblich anonymes – Communiqué, in dem Anarcho-Autonome die Antifa-Version verbreiten. Die «AntifaschistInnen» hätten bei einem Konzert im Dachstock «Nazis» vom «rechtsextremen[90] Spektrum der Neo-Folk- und Dark-Wave-Szene» entdeckt. Vermummt forderten die Antifas die Gruppe zum Gehen auf, drängten sie hinaus – wo es laut Communiqué der «Libertären» zur «kurzen Rauferei» kam, da «Nazis» versucht hätten, «den AntifaschistInnen die Masken vom Kopf zu reissen». Was als kurze Rauferei bezeichnet wird, hatte es in sich: Ein Opfer bekam eine volle Ladung Pfefferspray in die Augen, ein weiteres wurde am Kinn verwundet, musste ins Spital. Wie es dem dritten Opfer geht, ist nicht bekannt, denn der Mann hat sich nicht gemeldet. Dabei war er das eigentliche Ziel der Antifa-Angreifer, soll es sich bei ihm doch um ein Mitglied einer «Nazi-Gruppe» aus der Westschweiz handeln. Dessen Begleiter haben auf «TeleBärn» aber rechtsextreme[90] Verbindungen bestritten – was wiederum die Antifas mit Häme gegen Medien quittieren: «Dass sich die Rechtsextremen[90] medienwirksam als unschuldige Opfer eines ziellosen Übergriffs darstellen können, zeigt einmal mehr, wie schlecht im Berner Boulevard-Journalismus recherchiert wird, wenns darum geht, der Reitschule eins auszuwischen.»
Faschismus-Vorwurf da wie dort
Um den Unfähigen nachzuhelfen, gaben die Anarchos denn auch die Internetseiten ihres angeblich nazistischen Zielobjekts an – «zum Überprüfen». Wer sich dort hineinklickt, landet in der «Dark Subculture Community», wo sich allerlei schwarze (Jugend-)Kulte ein Stelldichein geben. Da besprechen Gothic-Grufties gruselige Filme, lädt die Dark-Wave-Szene zu düsteren Parties mit Absinth-Benebelung. Da fehlts nicht an Anleihen bei Okkultismus, Satanismus gar, und wo dergestalt mit sinistrer Spiritualität kokettiert wird, fehlt es auch nicht an germanischer Runenmagie und heidnischem Sonnenradkult. Aber ein Nazi-Gespenst spukt da nicht.
Dafür findet sich eine Klage der Grufties über die Gewalt, die ihresgleichen am Samstag durch «linke Faschisten» widerfahren sei. «Antifa Bern macht das Berner Nachtleben immer mehr kaputt» – einmal mehr hätten Antifas in «ihren feigen Maskierungen und typischen schwarzen, Taliban-ähnlichen Bekleidungen» zugeschlagen. Sie dagegen, die Liebhaber der Schattenreiche und der Totengruften, «wollen keine Gewalt, sondern Party!».
Die Selbstjustiz der Nazi-Jäger in der Reitschule ist gerade auch in der Reitschule selber stark umstritten. «Das Vorgehen zeugt nicht von der Glaubwürdigkeit derer, die hier mit dem Anspruch von Antifaschismus gehandelt haben», so etwa Ikur-Aktivist Giorgio Andreoli auf Anfrage, «ein anderer Umgang tut not, Auseinandersetzung im Gespräch.»
Reitschule prüft Haus-«Security»
Die Reitschul-Engagierten haben genug – von wiederkehrenden Gewaltvorfällen wie auch vom leidigen Drogenhandel auf dem Vorplatz. Wie Andreoli bestätigt, wird nun die Bildung einer eigenen «Security» erwogen. «Wir sind so weit, dass das ernsthaft diskutiert wird. Aber einfach wärs nicht. Man müsste gut überlegen, wie diese Struktur organisiert würde und wie sie wiederum zu kontrollieren wäre.»