Berns «7. Antifa-Abendspaziergang» geht in Randale und Tränengas unter – hoher Sachschaden, 72 FestnahmenDie Stadtpolizei offerierte eine Route ins Nordquartier, einen Marsch durch die Innenstadt indes verhinderte sie. Worauf das Antifa-Bündnis die Demo für verschoben erklärte – und Scharmützel begannen. In der Folge loderten Flammen, klirrte Glas, knallten Petarden und waberte Tränengas. Eindrücke der Radaunacht am Bollwerk.Wüste Zusammenstösse in Bern. / Franziska Scheidegger
Krawallnacht in Bern
«Achtung! Dies ist eine Durchsage der Stadtpolizei Bern: Die Demonstration ist unbewilligt. Wir suchen das Gespräch mit Ihnen – und wollen gemeinsam mit Ihnen eine Lösung suchen», tönte es aus dem Polizeilautsprecher. Die Antwort kam in Form erster Knallpetarden und Feuerwerkskörper, einer benzingetränkten Fahne mit Schweizer Kreuz und Morgenstern, Parteiemblem der rechtsextremen Pnos, die in Flammen aufging, und Rauchgas, das ein Demonstrant Richtung Polizei sprühte, worauf die Grenadiere die Gasmasken aufsetzten.
Gespräch vor Ort ohne Einigung
Die Lage um 20.30 Uhr bei der Heiliggeistkirche war explosiv: Die mit Einheiten der bernischen Kantonspolizei und mit 250 Mann vom Nordwestschweizer Konkordat sowie einem Luzerner Detachement verstärkte Stapo stand einer grimmig schwarzen Front teils behelmter Militanter gegenüber. Doch die Nerven hielten stand – die Polizei liess sich nicht provozieren und die Ordner vom autonomen «Berner Demoschutz» (DS) hielten Punker zurück, die auszuscheren drohten. Der Polizei-Einsatzleiter und vermummte Unterhändler trafen sich im Niemandsland zwischen den Fronten zu Verhandlungen vor Ort.
Die Polizei war nicht mit leeren Händen gekommen: Eine Innenstadt-Kundgebung war für sie und den Gemeinderat nicht mehr verhandelbar, nachdem das «Bündnis Alle gegen Rechts» (BAgR) wiederholt Bewilligung und Dialog ausgeschlossen hatte – indes bot die Polizei zwei Varianten Richtung Lorraine und Breitenrain an. Dies lehnte das BAgR aber ab; zwar war es bereit, ins Nordquartier zu ziehen – doch nur via Kornhausplatz, durch die Innenstadt. So kam es zu keiner Einigung. Wieder brannte eine rot-weisse Fahne, erste Flaschen und Steine flogen, und Feuerwerksraketen wurden nun direkt in Flachschüssen auf den Kordon der Polizeigrenadiere abgefeuert.
Sogar Molotow-Cocktails flogen
In dieser brisanten Situation rief das BAgR übers Megafon die Menge auf, sich in Richtung Reitschule zurückzuziehen – die Demonstration sei auf kommenden Samstag, 8. April, «verschoben». Gleichzeitig aber schwollen laute Sprechchöre an: «Demo jetzt! Demo jetzt!» Die Menge folgte schliesslich beiden Aufrufen: Während gut 700 gewaltlose Manifestanten zur Reitschule abzogen, sammelten sich am Bollwerk 200 mehr oder minder Militante und lieferten der Polizei erste Scharmützel. Bei einer Modeboutique, beim Kino und bei Bundesbüros wurden Scheiben zertrümmert, eingangs Speichergasse wurde eine Polizeisperre angegriffen.
Die Polizei wehrte den Versuch, via Speichergasse in die Innenstadt vorzudringen, ab, worauf laut Polizeiangaben sogar Benzinbrandflaschen, Pflastersteine und kleinere Dohlendeckel geschleudert wurden – was wiederum mit Gummigeschossen, Tränengas und Wasserwerfereinsatz quittiert wurde. Die Polizei bildete nun mit Gitterfahrzeugen und Grenadierketten einen Kessel um den Raum Schützenmatte und Reitschule. Wieder bot sich eine gespenstische Szenerie: Am Bollwerk wurde Baumaterial angezündet, helle Flammen loderten in den Nachthimmel, der vom Knattern eines tief fliegenden Helikopters erfüllt war. Die Strasse war voll von Polizei mit Gitterfahrzeugen und Militärwagen, im Kessel tobte der Aufruhr; einmal mehr wurde die Schützenmatt-Telefonkabine zerstört, an parkierten Privatautos entstanden Schäden, verschiedentlich sprayten Aktivisten Parolen ? so auch den Termin für ein Wiedersehen: «Heraus zum revolutionären 1. Mai in Zürich!» . . .
Kontakt Polizei – Reitschule steht
Während des ganzen Einsatzes hatte die Polizei übrigens Kontakt mit Reitschul-Verantwortlichen, wie die Stapo unterstreicht; so habe die Reitschule auch «im Interesse der Situation» Abendveranstaltungen abgesagt. Die Gefechte flauten erst nach 23 Uhr ab, gegen Mitternacht zog sich die Polizei zurück. Bis dahin hatte sie 72 Personen festgenommen, darunter 22 Jugendliche. Sie werden sich laut Polizei wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch sowie Verstössen gegen die Waffen- und Drogengesetzgebung verantworten müssen. Bereits vor Beginn der unbewilligten Demonstration hatte die Polizei am Bahnhof ankommende mutmassliche Demonstrationswillige, vorab Jugendliche mit Rucksäcken, überprüft; sie stellte dabei unter anderem eine Hochleistungsschleuder, mehrere Messer, Pfeffersprays, Spraydosen und Vermummungsutensilien sicher. Unter den Militanten, welche die Eskalation anheizten, waren dem Erkennen wie Vernehmen nach nicht wenige Zürcher und Westschweizer.
Andrerseits waren polizeiliche Gewaltübergriffe nicht festzustellen; zwar behauptete ein szenenaher Videofilmer, dokumentiert zu haben, wie Polizeigrenadiere Festgenommene brutal traktiert hätten, doch war er auf «Bund»-Anfrage nicht willens oder fähig, diese Angabe entsprechend zu belegen.
Gemäss ersten Schätzungen belaufen sich die Sachschäden auf mehr als 100 000 Franken. Die Achse Bollwerk-Bubenbergplatz und der Raum Bierhübeli blieben stundenlang für den Verkehr gesperrt. Bern Mobil gelang es dank Einsatz von netzunabhängigen Bussen jedoch, seinen öffentlichen Verkehr weitgehend aufrechtzuerhalten, wie die Stadtpolizei dazu schreibt.
Hayoz: «So geht es nicht»
«Demonstrieren gehört zu den Grundrechten, die ich hoch achte. Aber dieses Grundrecht in Anspruch zu nehmen, heisst auch, Verantwortung zu übernehmen. Und dieser Verantwortung ist das organisierende Bündnis einmal mehr nicht gerecht geworden. Es war daher richtig, dass die Polizei aus einer Position der Stärke heraus die in Absprache mit dem Gemeinderat entwickelte Strategie klar durchgezogen hat.»Dies erklärte Polizeidirektorin Barbara Hayoz (fdp) gestern im Gespräch mit dem «Bund». Die Polizei habe bis zuletzt Dialogbereitschaft gezeigt und Routenvarianten angeboten, die das «Bündnis Alle gegen Rechts» jedoch allesamt «kategorisch ausgeschlagen» habe. «Mit allen anderen Veranstaltern von Kundgebungen in Bern ist es möglich, im Dialog Lösungen zu finden, inzwischen sogar mit den WEF-Gegnern. Einzig das Bündnis foutiert sich darum. So geht es einfach nicht», sagte Hayoz.