20 Minuten. Die Antifaschistische Aktion macht die Identitäten von Mitgliedern der Neonazigruppe «Junge Tat» publik. «Der Rechtsextremismus in der Schweiz erhält dadurch ein Gesicht», sagt Extremismus-Experte Dirk Baier.
Darum gehts
- Die Antifaschistische Aktion Schweiz will wöchentlich Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat» outen.
- Die rechtsextremistische Gruppierung hat sich in der letzten Zeit als führende Gruppe in der Schweizer Neonaziszene hervorgetan.
- Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der ZHAW, ordnet die Aktion ein.
- Rein rechtlich gesehen handle es sich bei der «Frühlingsaktion» der Antifa um eine klare Datenschutz- und Persönlichkeitsverletzung, sagt der Rechtsanwalt Simon Schnetzler.
«Alle Nazis gehören aus der Deckung geholt!»: Mit diesen Worten lanciert die Antifaschistische Aktion Schweiz seit Ende März eine «antifaschistische Frühlingskampagne». Die Antifa hat bereits im Sommer sechs mutmassliche Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat» geoutet, nun will sie wöchentlich nachlegen, bis das gesamte Netzwerk offengelegt ist (siehe Box).
«Die fast ausschliesslich männlichen Mitglieder dieser Gruppe sind gewalttätige und teils verurteilte Rassisten, Sexisten und Antisemiten», schreibt die linke Gruppierung. Es gelte, der Rekrutierung neuer Mitglieder durch Gruppenwanderungen, inszenierte Aktionen und über Social Media einen Riegel vorzuschieben.
Betrieb von Gesinnung überrascht
Das erste mutmassliche «Junge Tat»-Mitglied in der sogenannten «Frühlingskampagne» wurde am vergangenen Sonntag geoutet. Dabei wurden auch sämtliche persönlichen Informationen der Person (19) publik gemacht: darunter der volle Name, die Adresse, das Geburtsdatum, der Arbeitgeber sowie auch die Social-Media-Profile. Ausserdem wurden mehrere Fotos des jungen Mannes veröffentlicht.
Auf Anfragen von 20 Minuten reagiert der Mann nicht. Bei seinem Arbeitgeber weiss man erst seit dieser Woche über seine Gesinnung Bescheid. «Wir wurden in einer E-Mail darauf aufmerksam gemacht», sagt der Geschäftsführer, der anonym bleiben möchte. Die Nachricht habe ihn überrascht, im Vorfeld sei nichts über seine Orientierung bekannt gewesen. «Auch im Arbeitsalltag haben wir nichts bemerkt.» Der Betrieb habe jedoch «sofort» mit dem Mann das Gespräch gesucht und das Lehrlingsamt eingeschaltet, so der Geschäftsführer. «Er befindet sich nämlich noch in der Lehre.» Weitere Schritte könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt gegeben werden, da die Gespräche mit dem Amt für Berufsbildung noch andauerten.
«Durch die Outings wird der Rechtsextremismus sichtbar»
«Es geht der Antifa in erster Linie darum, das ‹rechte Denken› in Form rechts denkender Personen aus dem Verborgenen an die Oberfläche zu holen», sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Häufig werde in der Schweiz nämlich davon gesprochen, dass der Rechtsextremismus hier im Verborgenen agiere: «Durch solche Outings wird der Rechtsextremismus sichtbar. In zweiter Linie geht es auch um das Blossstellen der Personen und um das Abschrecken, sich in solchen Szenen zu engagieren.»
Blossstellung kann Radikalisierung vorantreiben
Dass mit den Outings andere davon abgehalten werden, sich in rechten Szenen zu engagieren, sei gemäss Baier aber unwahrscheinlich: «Der Rechtsextremismus in der Schweiz ist in den letzten Jahren wieder aktiver und jünger geworden. Insbesondere die Abschreckung funktioniert also nicht.» Die Konsequenzen bei den Geouteten dürften unterschiedlich ausfallen – je nachdem, wie diese bis zur Bekanntmachung ihre Gesinnung gelebt haben, sagt Baier: «Fühlt sich ein Betroffener angegriffen, kann das die Radikalisierung aber sogar noch vorantreiben, da man jetzt für alle erkennbar als Rechtsextremer gelabelt ist.»
Grundsätzlich seien solche «Internet-Pranger» in jedem Fall zu verurteilen, sagt Baier: «Es ist ein widerrechtlicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte – egal, über welche Gruppen man spricht.» Junge Menschen, die Sympathie für die «Junge Tat» haben oder sich sogar dort engagieren, bräuchten andere Massnahmen, sagt Baier: «Es braucht verschiedene Formen der Deradikalisierungsarbeit, insbesondere eine enge Begleitung beispielsweise durch Sozialarbeitende.»
Klare Persönlichkeitsverletzung
Rein rechtlich gesehen handle es sich bei der «Frühlingsaktion» der Antifa um eine Datenschutz- und Persönlichkeitsverletzung, sagt der Rechtsanwalt Simon Schnetzler. «Hier werden Personendaten wie etwa die Adresse, die Telefonnummer oder der Name des Arbeitgebers ohne Einwilligung der betroffenen Person publiziert.» Das seien allesamt Daten, die normalerweise nur einem kleinen Personenkreis zugänglich gemacht würden.
Betroffene Personen hätten bei einer Verletzung zwar grundsätzlich die Möglichkeit, rechtlich gegen die Veröffentlichung vorzugehen, sagt Schnetzler. «Bei anonymen Gruppen dürfte es allerdings schwierig sein, die für die Veröffentlichungen zuständigen Personen zu behaften.»
NDB rechnet mit Gewaltzunahme
Die rechtsextremistische Gruppierung «Junge Tat» setzte sich in den letzten zwei Jahren an die Spitze der Schweizer Neonaziszene. Wie die militante Gruppierung den Corona-Frust von Jugendlichen ausnutzte, um Anhänger zu rekrutieren, zeigte erst vor kurzem eine 40-minütige Doku von Tamedia. Darin wird nachgezeichnet, wie ihnen der Aufstieg zur am schnellsten wachsenden rechtsextremen Gruppierung in der Schweiz gelang.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zeigt sich in seinem aktuellen Lagebericht besorgt: «Der Austausch zwischen jungen, strafrechtlich bisher mehrheitlich nicht belangten Aktivisten und älteren Rechtsextremen steigert massgeblich die Handlungsfähigkeit der neuen Strukturen.» Letztere verfügten über langjährige Erfahrung innerhalb dieser Gruppierungen, aber auch mit der Strafverfolgung und der Konfrontation mit Antifaschisten.
Aufgrund dieser Feststellungen sei festzuhalten, dass sich die Lage im Bereich gewalttätiger Rechtsextremismus verschlechtere und die Wahrscheinlichkeit von Gewalttaten steige. «Deshalb ist mit einer Zunahme von Gewalttaten gewalttätiger rechtsextremer Gruppierungen zu rechnen», so der NDB.