Unbewilligter Marsch in Bern
Antifa hat mehr als 1500 Jugendliche auf Berns Strassen geholt – doppelt so viele wie letztes Jahr.
Rudolf Gafner
Unbewilligt, lautstark und militant im Gebaren, aber ohne Gewalt, hat das Bündnis «Alle gegen Rechts» am Samstag in Bern gegen Neonazis und Skinheads demonstriert. Am «2. Antifaschistischen Abendspaziergang» beteiligten sich vor allem Jugendliche aus Stadt und Region Bern sowie aus dem übrigen Kantonsgebiet.
Mit der Demonstration wollten die Antifa-Gruppen aus Bern und Umgebung ein «lautstarkes, kraftvolles» Zeichen gegen die erstarkende rechtsextremistische Szene im Bernbiet setzen. Die Polizei registrierte ausser Sprayereien und zwei eingeschlagenen Scheiben keine besonderen Zwischenfälle.
Todesurteil für von Allmen?
Im Falle des Unterseer Tötungsdelikts von vier mutmasslich rechtsextremen Tätern an Marcel von Allmen zeichnet sich ein Tatmotiv ab.
Genesis einer eigentlichen Jugendbewegung
1999 wurde Antifa Bern ein Mobilisierungspotential von 100 Leuten zugerechnet, im Januar 2000 holte das Bündnis «Alle gegen Rechts» 800 auf die Strasse – und diesen Samstag marschierten mehr als 1500 Jugendliche durch Bern. Die Demonstration war unbewilligt, die Polizei liess gewähren, Provokationen von Rechts blieben aus.
Innert eines Jahres hat im Kanton Bern die rechtsextremistische Szene um 50 Prozent auf fast 200 polizeibekannte Aktivisten zugenommen, Gewaltdelikte von Rechts haben sich gehäuft. «Die Lage erfordert höchste Aufmerksamkeit von Polizei, Behörden und Gesellschaft», sagte Kurt Niederhauser, Kommandant der Kantonspolizei, vor drei Wochen.
Laut Veranstaltern sogar 3000
Innert eines Jahres um 100 Prozent zugenommen hat andrerseits das stark jugendlich geprägte Potential derer, die von der links-autonomen Antifa-Szene mobilisiert werden können. Aus Stadt und Agglomeration Bern, aus Burgdorf, Thun, Biel und weiteren Orten kamen sie am Samstagabend nach Bern. Laut Veranstaltern sollen es gar 3000 gewesen sein, die an dem «2. Antifaschistischen Abendspaziergang» teilgenommen haben, gemäss (realistischerer) Einschätzung von Polizei und Journalisten zogen mehr als 1500 durch die Innenstadt. «Die Trägheit durchbrechen! Kein Raum für Nazis – nirgendwo!» hiess es auf dem FrontTransparent, und die Menge skandierte: «Nazis raus – Nazis raus!»
Antifa-Gewalt als «Notwehr»
«Die Mehrheit schweigt», sagte eine Stimme über Lautsprecher, «aber es ist an der Zeit, den Mund aufzumachen und Widerstand zu leisten, damit, was vor 60 Jahren geschehen ist, nie wieder geschehen kann.» «Hitler, Himmler und Goebbels würden auch heute wieder Handlanger finden», hiess es, nämlich «Skinheads und solche, die es stillschweigend tolerieren». Deshalb, so die Megafon-Sprecherin, «ist seit Auschwitz antifaschistische Gewalt immer Notwehr». Die Menge quittierte diese Äusserung zur Gewaltfrage mit Jubel. Es mangelte der Demonstration nicht an Provokationen – angefangen dabei, dass sie unbewilligt war. Die Veranstalterin, das Bündnis «Alle gegen Rechts», hatte gar nicht erst um eine solche ersucht. Begründung: Meinungs- und Versammlungsfreiheit dürften nicht von Bewilligungen abhängig sein. Die Demonstration verlief aus polizeilicher Sicht denn auch «nicht ohne Probleme». Angeführt wurde der Marsch von Autonomen – viele vermummt, nicht wenige gar behelmt, was dem Umzug ein militantes Gepräge gab. Immer wieder scherten Kommandos aus, um Parolen zu sprühen; auch gingen zwei Fensterscheiben zu Bruch.
Provokativ, aber ohne Gewalt
Zu Ausschreitungen kam es jedoch nicht; dies nicht zuletzt dank dem demoeigenen Ordnungsdienst («Demoschutz»), der dafür sorgte, dass die Marschierenden die definierte Route nicht verliessen. «Wir betonen ausdrücklich, dass wir nicht auf Konfrontation mit der Polizei aus sind», hatte das Antifa-Bündnis beteuert – und es hat Wort gehalten: Beim Rathaus, als sich vorbeiziehende Autonome und Polizeigrenadiere Auge in Auge gegenüberstanden, präsentierte sich der Umzug gar bemerkenswert diszipliniert und friedfertig. Dies war aber auch der Polizei zu danken, die sich ebenso bemerkenswert zurückhielt. Allein beim Rathaus und beim Bundeshaus war sie überhaupt zu sehen, sonst wurde das starke Aufgebot strikte im Hintergrund postiert, zu sehen bekam die Menge bloss ein paar Zivilbeamte, die die Lage im Auge behielten. Die Polizei hatte schon im Vorfeld erklärt, dass allein der Umstand, dass der Marsch unbewilligt sei, für sie noch kein Grund sei, gegen diesen einzuschreiten.
Heuer kein Angriff von Rechts
Am 22. Januar 2000, beim «1. Antifaschistischen Abendspaziergang» in Bern, an dem 800 teilgenommen hatten, waren 250 rechte Störer aufmarschiert, um die – damals bewilligte – Demonstration anzugreifen; die Polizei nahm 100 fest, um blutige Zusammenstösse zu verhindern. Dieses Jahr blieben Provokationen von rechts aus; die Stadtpolizei hatte laut Communiqué zwar «Aktivitäten rechtsradikaler Kreise festgestellt», nicht jedoch Versuche, konkret gegen den «Abendspaziergang» vorzugehen.
Das Wachsen einer Bewegung
So blieb Berns Innenstadt am Samstagabend friedlich – und die Jugendlichen zogen sich nach der Demonstration zu Hunderten geordnet in die Reitschule zurück, um ihren Erfolg zu feiern. Sie hatten ihr Ziel – «eine kraftvolle und lautstarke Demonstration als ein deutliches Zeichen für eine solidarische und antirassistische Gesellschaft» – erreicht. Und: Der Umzug machte deutlich, dass «Antifa» heute nicht mehr einfach bloss der Name einer linksautonomen Aktivistengruppe ist, die Anfang der 90er-Jahre in der Berner Reitschule ins Leben gerufen wurde. Mittlerweile steht «Antifa» sozusagen als Label für die Entstehung einer eigentlichen überregionalen Jugendbewegung gegen Rechts.