BERN / Die Zusammenstösse zwischen Demonstranten und der Polizei vom Samstag haben die Politiker auf den Plan gerufen.
ck. Jeder und jede wollte gestern Nachmittag Stellung nehmen zu den Ereignissen vom vergangen Samstagabend in der Berner Altstadt: Von den Jungsozialisten über die FDP bis zur Freiheitspartei beurteilten die politischen Parteien Berns den «3. Antifaschistischen Abendspaziergang» aus ihrer Sicht. Die Meinungen gingen dabei weit auseinander. Von linker Seite wurde der Polizei ein übertrieben harter Einsatz vorgeworfen, und die Berichterstattung in den Medien wurde als einseitig kritisiert. Rechte Politiker forderten als Folge der massiven Sachbeschädigungen durch Sprayereien Videoüberwachungen von Demonstrationen und eine Verstärkung des Polizeikorps; zudem müsse die einseitige Verurteilung rechter Gewalt durch Bundesrat und Regierungen neu überdacht werden.
Der antifaschistische Abendspaziergang erhitzt die Gemüter
BERN / Unterschiedliche Reaktionen auf den antifaschistischen Abendspaziergang vom vergangenen Samstag: In rechten Kreisen fürchtet man, dass die Schweiz durch solche Kundgebungen im «linkem Chaos» versinken könnte, von linker Seite hingegen wird die «exzessive Polizeirepression» angeprangert, die an «diktatorische Systeme» erinnere.
ck. Statt als friedliche Kundgebung gegen rechte Gewalt, getragen von rund 2000 Personen, wird die breite Öffentlichkeit die diesjährige Ausgabe des antifaschistischen Abendspaziergangs vor allem wegen der von vermummten Sprayern angebrachten Schmierereien und den Zusammenstössen von Demonstrierenden mit der Polizei in Erinnerung behalten. Das gesamte Parteienspektrum, von ganz links bis ganz rechts, nahm gestern Stellung zu den Ereignissen vom Samstag. Die Meinungen gingen dabei, wie nicht anders zu erwarten, diametral auseinander.
Vorwürfe an die Polizei
Von linker Seite kamen massive Vorwürfe an die Adresse der Berner Stadtpolizei. Die JungsozialistInnen Bern (Juso) schreiben in einer Medienmitteilung von «gezielten Provokationen und roher Gewalt» seitens der Polizei, die Junge Alternative (JA) fühlt sich durch das Vorgehen der Ordnungshüter gar «an diktatorische Systeme» erinnert. Den Zorn der linken Parteien erregten vor allem die Vorfälle beim Bollwerk, ganz am Schluss der Kundgebung: Rund 100 übrig gebliebene Demonstrierende waren dort auf dem Weg zur Reithalle von der Polizei mit Hilfe von Gummischrot und Tränengas eingekesselt und 19 von ihnen verhaftet worden. Die «grundlos» Eingeschlossenen seien sofort brutal attackiert und mit Gummischrot «auf Kopfhöhe» beschossen worden, schreiben die Jusos.
Kinder im Demo-Wagen
Beat Gross, Sprecher der Stadtpolizei Bern, verteidigt das harsch kritisierte Vorgehen der Polizei beim Bollwerk. Man habe die Gruppe angehalten, um mehrere mögliche Sprayer zwecks Personenkontrolle festzunehmen. Nachdem man 19 Demonstrierende verhaftet hatte, habe man einsehen müssen, dass der Aufwand, noch weitere vermummte Personen aus der Gruppe «herauszubrechen», zu gross geworden wäre. Zudem habe man aus dem «Demo-Wagen» eine schwangere Frau und zwei verängstigte Kinder herausgeholt. «Die Einsatzleitung hat daraufhin beschlossen, die Sperre aufzulösen und die Gruppe ziehen zu lassen», sagte Gross. Ob sich unter den insgesamt 33 verhafteten Demonstranten Personen befanden, die für die Sprayereien in der Berner Altstadt und den Sachschaden von geschätzten 100’000 Franken verantwortlich sind, konnte Gross noch nicht sagen. «Es wird aber sicher Anzeigen gegen einige dieser Personen geben», sagte Gross. Allerdings müssten die Geschädigten zuerst Anzeige erstatten, da es sich bei Sachbeschädigungen um Antragsdelikte handle. Schade bei der ganzen Angelegenheit sei, sagte Gross, dass sich so viele Jugendliche als Vehikel missbrauchen lassen würden für «den Block aus der Reitschule», der von allem Anfang an nur habe sprayen wollen.
«Kriegserklärung»
Ganz anders als bei Juso und JA tönt es erwartungsgemäss aus dem rechten Lager. Die Freiheits-Partei fordert in ihrer Medienmitteilung zu den Vorfällen vom Samstag ultimativ: «Bundesrat, räum endlich auf!» Parteipräsident Jürg Scherrer und seine Gefolgsleute befürchten nämlich, dass «unser Land langsam, aber sicher im linken Chaos versinken» wird, wenn nicht «endlich entschlossen gegen die Chaoten» vorgegangen werde. Sowohl der Bundesrat wie auch die Kantons- und Stadtregierungen, heisst es im Communiqué weiter, würden zwar tolerant über die «zunehmenden linksextremen gewalttätigen Auswüchse in der Schweiz» hinwegsehen, im Gegenzug aber den Rechtsextremismus genau überwachen und «anprangern». Ähnlich sieht es die FDP der Stadt Bern. Auch sie glaubt, dass «die einseitige Verurteilung der rechten Gewalt» die Demonstrierenden in ihrem Handeln klar bestärkt hat.
Noch extremer beurteilt die Vereinigung Bern Aktiv die Ereignisse vom Samstag. Sie spricht von einer «Kriegserklärung», allerdings ohne auszuführen, wer diese Kriegserklärung an wen gerichtet hat. Die von Stadtrat Thomas Fuchs präsidierte Vereinigung fordert nun Aufrüstung der Polizei – Spezialfahrzeuge, mehr Polizisten und Videoüberwachung. Auch die Junge SVP bedient sich martialischer Ausdrücke, um ihrer Empörung Ausdruck zu geben. Präsident Simon Glauser verlangt, dass nun «gröberes Geschütz aufgefahren werden» müsse, denn «der Fehdehandschuh wurde geworfen».
Medien kritisiert
Sowohl Juso wie auch JA wollen es nicht bei ihren Medienmitteilungen bewenden lassen. Beide planen einen Vorstoss im Stadtrat, die Juso hat zudem einen offenen Brief an den Presserat geschickt, in dem die Berichterstattung in den Medien zum «3. Antifaschistischen Abendspaziergang» thematisiert wird. «Wir kritisieren die Kriminalisierung von Protestmanifestationen durch die Massenmedien», schreibt Jungsozialist Samuel Thomi und fordert vom Presserat, dass er «diese Einseitigkeit, die oft in mediale Hetze gegen Protestbewegungen ausartet», verfolgt. Dieser Kritik schliesst sich David Böhner, Mitglied der Arbeitsgruppe Ikur der Reitschule an. In den Medien seien die Sprayereien zum Teil mit der menschenverachtenden faschistoiden Gewalt gleichgesetzt worden, und das dürfe nicht sein. Zudem seien Aussagen wie jene von Polizeidirektor Kurt Wasserfallen, der in der Berner Zeitung von der «Brut aus der Reitschule» gesprochen hatte, gefährlich, denn sie heizten das Klima nur noch weiter an.