Anschlag auf Solterpolter

BernerZeitung

Auch ein Arztsohn schoss

Aus Hass gegen Linke haben drei rechtsextreme Männer den Anschlag auf die Berner Solterpolter-Unterkunft verübt. Zwei haben aus Sturmgewehren geschossen, mit dabei ein Arztsohn aus Ittigen.

*Jürg Spori

Jetzt ist das Motiv der drei inhaftierten Männer, die vor bald vier Wochen auf die Solterpolter-Unterkunft von Linksaktivisten im Berner Marzili-Quartier geschossen haben, klar: «Wir haben die Tat aus Abneigung gegen Linke verübt», sagten sie gegenüber den Untersuchungsbehörden aus. Wie durch ein Wunder wurden im Kugelhagel keine Bewohner getötet.
Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen ist auch klar, dass zwei der drei Täter aus zwei Sturmgewehren auf die Unterkunft gefeuert haben. Bei einem der Schützen handelt es sich um einen Arztsohn aus Ittigen. Der 22-jährige Mann wurde nur wenige Stunden nach dem Anschlag im Elternhaus in seinem Bett festgenommen. Der zweite Schütze, ein 20-Jähriger, wurde drei Tage später im Wallis verhaftet. Nicht geschossen hat ein dritter Beteiligter. Der 19-jährige junge Mann ging der Polizei in Wabern ins Netz und hat gestanden, als Fahrer des Geländefahrzeuges die Schützen zum Tatort chauffiert zu haben. Zudem gab er zu, eines der Gewehre und die Munition beschafft zu haben. Und zwar im Schützenverein, wo er einen Jungschützenkurs absolvierte. «Dieser Diebstahl einer Waffe ist ein Einzelfall», verteidigt Urs Weibel, Geschäftsführer des Schweizerischen Schützenverbandes die Jungschützenkurse. Das sei kein Grund, diese zu verbieten, betont er. Die drei Männer aus der rechtsextremen Szene bleiben auch nach Abschluss der Ermittlungen weiterhin in Haft.


Solterpolter-Anschlag aus Hass gegen Linke

Gewehr aus dem Jungschützenkurs

Die drei Männer, die den Anschlag auf das Solterpolter-Gebäude verübten, schossen aus Hass gegen Linke. Eines der verwendeten Gewehre hat sich ein Täter in einem Jungschützenkurs illegal beschafft.

*Jürg Spori

Vier Wochen nach den Schüssen auf das Solterpolter-Gebäude im Berner Marzili-Quartier sind die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen. Die Fakten sind erschreckend: Die drei Männer aus der rechtsextremen Szene haben gegenüber den Untersuchungsbehörden angegeben, sie hätten die Tat aus Abneigung gegen Linke verübt. Ihren Anschlag vom 10. Juli auf das Solterpolter-Gebäude, einer links-alternativen Wohngemeinschaft, mussten sie genau geplant haben. Denn einer der drei Täter, ein erst 19-jähriger Mann, hatte sich im Jungschützenkurs unbefugt ein Sturmgewehr und Munition beschafft – dazu hatte er als Mitglied eines Jungschützenvereins Zugang. In einem Geländefahrzeug chauffierte er dann seine beiden Komplizen, zwei 20 und 22 Jahre alte Männer, ins Marzili. Morgens um halb vier Uhr feuerten die Mitfahrer des 19-Jährigen gemäss den polizeilichen Ermittlungen Salven aus zwei Sturmgewehren auf das Gebäude. Sie schossen mehrere Magazine leer. Fenster gingen im Kugelhagel in Brüche, und das blaue Schiebetor wurde von einigen Dutzend Schüssen durchbohrt.

Haarscharf daneben
Die Bewohner rannten um ihr Leben und warfen sich zu Boden. «Ich könnte mausetot sein», sagte am nächsten Morgen ein junger Mann zur BZ. Er war auf der Toilette gewesen, als die Schiesserei losging. Eine junge Frau blieb unverletzt, weil sie trotz später Stunde noch nicht im Bett war: Eine Handbreite unter ihrer Matratze schlug eine Kugel ein. «Es ist ein Wunder und ein Zufall, dass niemand getötet wurde», hielten die Untersuchungsbehörden nach dem Anschlag fest. Nur einige Stunden nach dem Anschlag nahm die Kantonspolizei einen der Schützen in seinem Elternhaus in Ittigen fest – der 22-jährige Arztsohn lag beim Eintreffen der Polizei im Bett. Die Polizei stellte bei der Festnahme auch das Sturmgewehr und rechtsradikale Literatur sicher. Der Mann gestand, wenige Stunden zuvor gegen das Solterpolter-Gebäude geschossen zu haben.

Polizei reagierte rasch
Nur vier Tage später konnte die Polizei einen neuen Fahndungserfolg verzeichnen: In Wabern wurde der Fahrer des Geländefahrzeuges festgenommen. Auch er legte sofort ein Geständnis ab, gab zu das Sturmgewehr aus dem Jungschützenkurs zu haben, beteuerte jedoch, selbst nicht geschossen zu haben. Fast zur gleichen Zeit konnte schliesslich die Walliser Polizei im Auftrag der Berner Stadtpolizei einen weiteren Tatverdächtigen festnehmen. Der 20-Jährige hat im Verlauf der Ermittlungen nun auch gestanden, dass er am 10. Juli aus dem Sturmgewehr aufs Solterpolter-Gebäude geschossen hat. Auch er stammt aus der rechtsradikalen Berner Szene. Alle drei Männer verbleiben nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen in Untersuchungshaft. Und werden wohl weiterhin dort bleiben müssen – möglicherweise bis zum Prozess. Dies deutete auch Untersuchungsrichter Hermann Wenger an. «Ob die Männer bis zum Prozess überhaupt noch freikommen, ist noch unklar», sagte er gegenüber der BZ.*


Munitionsklau

Gegen Befehl verstossen
Der Jungschütze, welcher die Munition für den Anschlag illegal beschafft hat, ist ein Einzelfall. Das sagt Urs Weibel, Geschäftsführer des Schweizerischen Schützenverbandes. Für ihn ist klar, dass der Jungschütze seine Eigenverantwortung nicht wahrgenommen und somit gegen den Munitionsbefehl verstossen hat. «Wer sich unbedingt Munition beschaffen will, der kann es an jedem Schützenfest tun», sagt Urs Weibel. Das geht so: Er kauft Übungsmunition, und statt die Patronen zu verschiessen, lässt er sie in seinem Hosensack verschwinden. Bei den Jungschützenkursen machen die Leiter auf den Munitionsbefehl aufmerksam. Für Weibel ist es möglich, dass bei diesem Einzelfall die Kontrolle versagt hat. «Das ist kein Grund, die Jungschützenkurse zu verbieten», betont er. jsp


Kommentar

Schüsse von Rechts

*Bernhard Giger

«Es ist degoutant, dass Rechtsradikale auf unserem Rütli eine Bundesratsrede stören durften», schrieb Adolf Ogi gestern im «Blick». Kein einigermassen demokratisch gesinnter Mensch wird dem Bundespräsidenten widersprechen wollen. Aber es brauchte offenbar zuerst die Entwürdigung eines Hauptorts schweizerischer Mythenbildung, damit ein Aufschrei der Empörung über das rechtsextreme Treiben durchs Land gehen konnte. Nachdem am 10. Juli Neonazis über hundert Schüsse auf die Solterpolter-WG im Berner Marzili abgefeuert hatten, war kein Schrei durchs Land gegangen. Obschon die Tat weitaus gravierender war als jene auf dem Rütli: Dort störten Skinheads eine Rede von Bundesrat Kaspar Villiger, er selber war aber nicht in Gefahr. Im Marzili hingegen gingen drei junge Männer kaltblütig das Risiko ein, Menschen zu treffen, vielleicht sogar tödlich. Seit Jahren warnen politische Beobachter vor einer Zunahme rechtsextremer Aktivitäten in der Schweiz. Die Polizei versucht mit einigem Aufwand, sich Übersicht zu verschaffen über die ständig wechselnden Organisationsstrukturen der Neonazis. Mit anderen Worten: Wer wollte, wusste schon lange, was sich in der erschreckend gewaltbereiten Szene zusammenbraut.
Vielleicht war die Störung auf der Rütliwiese das Zeichen, dessen es bedurfte, um Rechtsextremismus endlich zum breit diskutierten Thema zu machen. Denn jetzt sollten auch der letzte bürgerliche Hinterbänkler und der sturste Isolationist begriffen haben, welches die wirklichen Feinde der demokratischen Tradition unseres Landes sind: sie stehen rechts.*