Tagblatt. Der 30-jährige Thurgauer hatte alles minutiös vorbereitet und durchgespielt. Das Handy sollte filmen, wie er mit dem Auto in dunkelhäutige und muslimische Menschen fährt, sie dabei verletzt oder tötet. Zwei Mädchen, die er nicht kannte und die ihn nicht kannten, waren zur falschen Zeit am falschen Ort.
Er war so voller Hass: Afrikaner waren für ihn Untermenschen, Muslime Schwerverbrecher, Juden Betrüger. Der 30-Jährige, der heute, am 2. Mai, vor dem Bezirksgericht Arbon steht, wollte einen Rassenkrieg entfachen. Noch hätten er und seinesgleichen – also die weisse Rasse – eine Chance zu gewinnen, reimte er sich zusammen. In der Anklageschrift tun sich Abgründe auf.
Der Beschuldigte hatte sich einen teuflischen Plan ausgedacht: Bei einer Amokfahrt wollte er möglichst viele Menschen, vor allem Dunkelhäutige und Muslime, verletzen und töten. Die Terrorfahrt sollte mit dem Handy gefilmt und ins Netz gestellt werden, damit möglichst viele Gleichgesinnte seinem Beispiel folgen würden. Nicht nur den Ausländern, sondern auch der Nachkriegsgeneration der linken Babyboomer galt sein Zorn, da sie mitschuldig seien am Untergang der Europäer.
Er fährt die geplanten Strecken ab und testet den Kamerawinkel
Ein halbes Jahr lang bereitete sich der Beschuldigte auf den Tag X vor. In der Anklageschrift wird beschrieben, wie er sich ein Auto kauft und damit verschiedene Routen abfährt. Er entscheidet sich für eine Strecke durch die Regionen Kreuzlingen, Amriswil, Arbon, Rorschach und St.Gallen. Das Handy befestigte er mal an der Kopfstütze des Beifahrersitzes, dann vor dem Rückspiegel, um den optimalen Aufnahmewinkel zu testen.
Schon zuvor hat er lange Nägel in Bretter geschlagen, die er als Nagelfallen aus dem Autofenster werfen will, sobald die Polizei hinter ihm her sei. Im Internet bestellte er sich Kampf- und Jagdmesser, eine Softair-Pistole und Pfeffersprays, um seine Verfolger abwimmeln zu können. Er verfasst ein Manifest, das seine Verachtung für Ausländer zeigt, und stellt es in einschlägige Internetkanäle.
Am 22. August 2020 will er zur Tat schreiten. Er glaubt, die Planeten und Sterne würden an diesem Tag für ihn günstig stehen. Doch es regnet und er verschiebt sein Vorhaben, der Grund dafür ist zynisch. In der Anklageschrift steht, er habe befürchtet, wegen des schlechten Wetters könnten zu wenig Menschen unterwegs sein.
Am Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center startet er die Amokfahrt
Am 11. September 2020, dem Tag, an dem sich der Anschlag auf das World Trade Center zum 19. Mal jährt, ist es so weit. Kurz nach 16 Uhr startet der Beschuldigte das Video, postet einen Link zum Livestream seiner Handykamera und zu seinem Manifest. Dazu schreibt er «rampage», was soviel wie «Randale machen »oder «angriffsbereit» bedeutet.
Die beiden Mädchen, die an diesem Nachmittag auf ihren Velos hintereinander unterwegs sind, haben einfach nur Pech. Sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort. Eine von ihnen hat eine dunkle Hautfarbe, das reicht, damit ist sie für den Beschuldigten eine Ausländerin und somit Zielscheibe. Er streift mit seinem Auto zuerst das Velo des Mädchens, das hinten fährt, sie ist das Bauernopfer. Die Wucht ist so gross, dass die Jugendliche samt Fahrrad in die angrenzende Wiese fliegt.
Der Beschuldigte fährt weiter und ins Hinterrad des vorderen Mädchens. Die 15-Jährige wird über Motorhaube, Windschutzscheibe und Fahrzeugdach auf die Strasse geschleudert, bleibt dort verletzt liegen. Sie muss später mit dem Rettungshelikopter in eine Spezialklinik geflogen werden.
Mit einem japanischen Kampfmesser zwingt er eine Autofahrerin zum Aussteigen
Doch es ist noch nicht vorbei: Der Beschuldigte kracht mit seinem ramponierten Auto erst in einen parkierten Wagen, dann in eine Gartenmauer. Der Motor stirbt ab. Er startet ihn neu, fährt ein paar Meter, sieht dann ein, dass es keinen Sinn hat, und lässt das Auto stehen. Zu Fuss setzt er seinen Wahnsinn fort. Eine Frau, die wegen des Verkehrs anhalten muss, ist sein nächstes Opfer. Er öffnet die Fahrertür und drückt ihr mit der einen Hand ein japanisches Kampfmesser an die Rippen, mit der anderen zerrt er sie aus dem Auto.
Mit dem gekidnappten Wagen fährt er weiter, aus der Amokfahrt wird eine wilde Irrfahrt: Appenzell Ausserrhoden, Innerrhoden, die Stadt St. Gallen, Rorschach, St. Margrethen, Heerbrugg. In Oberriet wendet er das Auto und fährt zurück nach Heerbrugg. Dort stoppt ihn die Polizei.
Seitdem sitzt der Mann im Strafvollzug. Der Staatsanwalt wirft ihm versuchten mehrfachen eventualvorsätzlichen Mord vor. Beantragt ist eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren, statt in ein normales Gefängnis soll der Beschuldigte sich einer stationären therapeutischen Massnahme unterziehen. Das Bezirksgericht Arbon hat für die Verhandlung einen ganzen Tag angesetzt.