Es liest sich wie der Anfang eines Romans mit literarischem Anspruch: «Zwanghaft liebt er das Makabre, das Kranke, das Randständige. Er hat sich selbst kaum einem Laster in die Arme geworfen. Er ist aber in die Laster verliebt, die er selber nicht hat, er frönt gewissermassen den Lastern der anderen. So ist er gewissermassen ein nach den Sternen des Lasters greifender Geist, der die eigene Askese an den Leidenschaften der anderen überwinden will, der engelhaft um die Häupter der Dämonen flattert. Er selber aber bleibt brav. Er selbst besucht keine Huren, will aber dem Dirnenwesen zu einem legalen Status durch Einrichtung eines staatlich anerkannten Bordells verhelfen. Er will Bürgerliches und Unbürgerliches an den gleichen Tisch bringen. Das alles ist Ausdruck seiner Harmonisierungswut.»
Doch das ist kein Romananfang, keine Fiktion. Es ist ein Ausschnitt aus einem Gutachten eines Psychiaters, von Mario Gmür, den manche Star-Psychiater nennen. Sein Patient: Valentin Landmann (66), der schillerndste Rechtsanwalt der Schweiz. Der Glatzkopf hat an seinem Gürtel stets einen silbernen Totenkopf, oftmals trägt er auch einen Totenkopf-Ring am kleinen Finger der linken Hand. Man könnte meinen: ein harter Bursche. Aber er ist ein ganz Sanfter, geschmückt mit harten Symbolen, dem der Seelenklempner übersteigerte Harmoniesucht attestiert.
Landmann gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Denn vor Gericht vertritt er mit heiligem Furor Huren, Neonazis oder Hells Angels. Darob landete er selber wegen Geldwäscherei, Drogensucht und Urkundenfälschung vor dem Kadi, er kassierte ein Jahr bedingt wegen mehrfacher qualifizierter Geldwäscherei. Er vertrat aber auch SVP-Mann Christoph Mörgeli, als dieser um seinen Job mit der Universität Zürich stritt, oder Konrad Hummler im existenzbedrohenden Streit des St. Galler Privatbankiers mit den US-Steuerbehörden.
Nun ist über Landmann eine Biografie erschienen. Schon der Titel verspricht grosses Kino: «Valentin Landmann und die Panzerknacker». Den Titel hat der Protagonist selber ausgesucht – so viel Eitelkeit muss sein. Geschrieben hat das Buch der österreichische Philosoph und Publizist Manfred Schlapp, so etwas wie ein Seelenverwandter. Er legt tief liegende, bislang kaum bekannte Schichten des Valentin Landmann frei. Und in diesem Leben gibt es eine Schlüsselfigur, ohne die Landmann nicht der geworden wäre, der er ist.
Diese Person ist Salcia Landmann, die Mutter des Valentin Nikolai Josef. Eine Frau mit Eigenheiten. Als sie 1911 als Salcia Passweg im ostgalizischen Zolkiew geboren wird, ist das noch Donaumonarchie, und zeitlebens trauert sie Österreich-Ungarn und dem Kaiser Franz Joseph nach. Sie entstammt einer wohlhabenden jüdischen Familie von Rabbinern, Kaufleuten und Landjunkern. Als sich im Krieg abzeichnet, dass dieses Alt-Österreich dem Tod geweiht ist, gelangt die junge Frau mit ihrer Familie nach St. Gallen, wo sie zeitlebens bleibt und 1950, nach der Heirat mit dem Berliner Philosophen Michael Landmann, Valentin auf die Welt kommt.
Es ist ein intellektuelles Haus, wo Schriftsteller und Philosophen wie Jean Améry, Ernst Bloch und Max Horkheimer verkehren. Meist wird über die versunkene Donaumonarchie gesprochen, kaum über die Gegenwart. Der kleine Valentin sitzt meistens unter dem Tisch, hört den Erwachsenengesprächen mit grossen Augen zu, macht aber keinen Mucks und versteht nichts.
Der Vater ist kaum da, und wenn, sitzt er meistens in seiner Studierstube. Wenn er sich nicht gerade fürchterlich aufregt, was sich dem Sohn als unerklärliche Wutanfälle in die Erinnerung einprägen. Der Biograf bringt eine ganz neue Theorie für diese seltsame Vater-Sohn-Beziehung ins Spiel: Vielleicht ist Ersterer bei der Zeugung gar nicht anwesend gewesen, sondern jener junge Mann, dem Valentin gleichen soll?
Die Mutter dagegen ist klar in ihrem Verhalten gegenüber dem Sohn. Sie verlangt Leistung, Bestnoten und dereinst einen Lehrstuhl an einer Universität. Sie ist schliesslich auch eine Multi-Akademikerin und hat einen Weltbestseller über jüdische Witze geschrieben. Wenn der Junge nicht spurt, mimt sie den sterbenden Schwan, bleibt so lange mausetot auf dem Boden liegen, bis der arme Valentin verspricht, sich in der Schule anzustrengen. So rast dieser mit summa cum laude durch Gymi und Uni, promoviert in der Juristerei und nimmt am Hamburger Max-Planck-Institut seine Habilitationsschrift in Angriff. Nur noch ein Wunder kann verhindern, dass dieser Streber in naher Zukunft Professor wird.
Über die Mutter schreibt der Psychiater Mario Gmür: «Die Mutter, eine angesehene, eigenwillige Kulturphilosophin und Schriftstellerin, behandelte ihn (den Sohn) als Werkzeug ihrer eigenen narzisstischen Wünsche. Sie formte ihn nach ihrem Idealbild. Sie unterhielt zu ihm also weitgehend eine narzisstische Beziehung, instrumentalisierte ihn vermutlich zur Regulation ihrer eigenen Selbstwertproblematik. Er identifizierte sich unbewusst mit ihrem Weltbild, ihrem Konzept vom Menschsein.»
Alles war also vorgespurt. Aber eines Tages, als es schon dunkel ist in Hamburg, findet Valentin Landmann einen anderen Schlüssel zum Menschsein.
Lesen Sie morgen: Wie ein braver Jungakademiker zu den Hells Angels kommt.
Manfred Schlapp: «Valentin Landmann und die Panzerknacker», Offizin Verlag, Zürich.