Der Bund. Die Davoser dienten 1941 an einem Clubturnier in Berlin NS-Propagandazwecken. Der sportliche Austausch im Zweiten Weltkrieg spiegelte die Schweizer Ambivalenz.
Der Krieg tobte im Frühjahr 1941, eineinhalb Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in ganz Europa. Das nationalsozialistische Deutschland rüstete sich für den Balkanfeldzug, um Bündnispartner Italien zu Hilfe zu eilen. Derweil bereitete Adolf Hitler den Russlandfeldzug vor. Die Schweiz war im Herzen Europas als neutrales Land mittendrin und doch nicht dabei. Glücklicherweise. Ein weisser Fleck auf der Karte unter dem bedrohlichen Nachbarn.
In diesen explosiven Zeiten kam es zum dunkelsten Kapitel in der 100-jährigen Geschichte des HC Davos, die der Historiker Daniel Derungs in seiner kürzlich publizierten Dissertation aufgearbeitet hat: dem Ausflug im März 1941 zum «Grossen Preis der Reichshauptstadt» nach Berlin, einem internationalen Clubturnier. Die Davoser, damals im Schweizer Eishockey das Mass aller Dinge mit dem legendären «ni-Sturm» mit Bibi Torriani, Hans und Pic Cattini, sicherten sich mit einem 4:2 im Final gegen Hammarby Stockholm den Turniersieg.
Der linke Flügel Charlie Gerst bezeichnete dies später gegenüber dem Sportjournalisten und HCD-Kenner Hansruedi Camenisch als Höhepunkt seiner Karriere, in der er auch zehn Schweizer-Meister-Titel errungen hatte. Gerst schwärmte: «Es war Krieg. An allen Fronten standen die Deutschen zuvorderst. Davos durfte trotzdem nach Berlin zu diesem Turnier reisen. Bei unserem Spiel gegen Budapest war der Berliner Sportpalast mit 10’000 SS-Angehörigen gefüllt, die uns alle anfeuerten. Alles um uns herum war schwarz, einfach wahnsinnig!»
Diese Faszination wirkt heute befremdlich. Wie schätzt das Christian Koller ein, Titularprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich und Direktor des Sozialarchivs? «Nazideutschland befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner Macht, nach der Eroberung weiter Teile West-, Nord- und Ostmitteleuropas und vor dem Angriff auf die Sowjetunion. Im März 1941 bedauerte EMD-Vorsteher Karl Kobelt gegenüber den Sportverbänden, dass seit Kriegsausbruch die Sportkontakte zu Deutschland stark zurückgegangen seien, und hiess eine Intensivierung ausdrücklich gut. Der HCD verhielt sich damals gemäss der Erwartungshaltung der Politik, dass man sich mit Nazideutschland längerfristig irgendwie arrangieren müsse.»
Moralische Bedenken habe man keine gehegt, sagte der 1986 mit 82 Jahren verstorbene Gerst. «Vor der Abreise erhielten wir strikte Anweisungen vom HCD-Vorstand, keine politischen Äusserungen zu machen. Schliesslich waren wir damals ja nur Sportler, nicht wie heute.» Ganz apolitisch war das Gastspiel der Davoser indes nicht. Sie nahmen sogar an einem Empfang teil beim Berliner Oberbürgermeister und überzeugten Nationalsozialisten Ludwig Steeg. Ihre Auftritte dienten also durchaus Propagandazwecken. Sport und Politik waren zu jener Zeit kaum zu trennen.
Der HC Davos seinerseits lud den NS Berliner SC zum Spengler-Cup 1941 ein – und besiegte ihn im Final 9:0. Christian Koller sagt: «Beiden Seiten ging es darum, irgendwie Normalität zu demonstrieren. Seitens der Schweiz durch Wiederaufnahme sportlicher Beziehungen zum übermächtigen Nachbarn, obwohl man sich von diesem weiterhin bedroht sah. Seitens Deutschlands, um die Kriegssituation ein wenig auszublenden und der eigenen Bevölkerung zu zeigen, dass Deutschland angeblich auch unter den neutralen Staaten Freunde habe.»
So kam es am 20. April 1941 im Berner Wankdorfstadion zum denkwürdigen Fussball-Länderspiel zwischen der Schweiz und Deutschland. 38’000 erlebten den 2:1-Sieg der Schweizer, und dies erst noch an Hitlers Geburtstag. «Dies löste eine grosse Euphorie aus, politische Untertöne in der Presseberichterstattung wurden von der Schweizer Zensur aber unterdrückt», sagt Koller. «Es war also die gleiche Gratwanderung zwischen Kollaboration und Ablehnung, die sich auch in den politischen Beziehungen zu Nazideutschland fand.»
David gegen Goliath
Einerseits habe man durch die sportlichen Wettkämpfe «korrekte» Beziehungen zum nördlichen Nachbarn demonstrieren wollen, mit dem man wirtschaftlich eng verflochten war, von dem man sich aber militärisch bedroht fühlte. «Andererseits waren es auch symbolische David-gegen-Goliath-Konfrontationen.» Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte jedenfalls wenig Verständnis für die Niederlage in Bern. Aufgebracht wies er Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten an, künftig auf solche Spiele zu verzichten, falls eine Niederlage drohe.