Alle plädieren auf «nicht schuldig»

Bund

Im Burgdorfer Prozess um den angeblichen Angriff auf eine Musikerfamilie hatten gestern die drei Verteidiger das Wort
In einem Punkt waren sich die Anwälte der Musikerfamilie, ihres Freundes und des angeschuldigten X. in ihren gestrigen Plädoyers einig: Die Teilnahme an einem Raufhandel könne ihren Mandanten nicht zur Last gelegt werden.

stefan von below

Gürtel schwirrten durch die Luft, Fäuste flogen, Beschimpfungen gingen hin und her: In der Nacht vom 21. auf den 22. April 2006 spielten sich auf der Burgdorfer Schmiedengasse wüste Szenen ab (vgl. «Bund» von gestern). Mehr oder weniger aktiv beteiligt waren der heute 21-jährige X. und sein jüngerer Kamerad Y. auf der einen Seite sowie die dreiköpfige Musikerfamilie B. und ein befreundeter Mann auf der anderen. Mutter und Sohn B. wurden im Gesicht verletzt, Y. – der den Sohn B. geschlagen hatte – zog sich Prellungen zu. Während er bereits vom Jugendgericht verurteilt wurde, stehen alle anderen seit Montag als Angeschuldigte vor dem Burgdorfer Strafeinzelgericht (siehe Kasten).

Kurz nach dem Vorfall hatten die Mitglieder der Musikerfamilie berichtet, sie seien von Neonazis angegriffen und verprügelt worden. Diese Version wies Daniel Iseli, der Verteidiger von X., als «geschickt inszeniertes Medienschauspiel» zurück. Sein Mandant – der rechtsextreme Musik hört und an jenem Abend einen Gürtel mit Wehrmachtsschnalle trug – werde zu Unrecht «in die braune Ecke gestellt». Es sei nicht nachgewiesen, dass er mit dem Gürtel jemanden getroffen habe – entsprechende Zeugenaussagen seien «unglaubwürdig». Eigentlich sei X. ein Feigling, «hemdsärmliges Dreinschlagen entspricht nicht seinem Naturell». Indem er Verstärkung geholt und den Gürtel geschwungen habe, habe er sich lediglich aus «berechtigter Angst» Respekt verschaffen wollen. Auch die Hitlergrüsse, von denen die drei Mitglieder der Familie B. berichtet hatten, seien «nicht bewiesen». Dasselbe gelte für die angebliche Beschimpfung von Frau B. als «linke spanische Schlampe». Unter dem Strich beantragte der Verteidiger einen Freispruch sowie 3000 Franken Genugtuung wegen der erlittenen Persönlichkeitsverletzung.

Tatbestand nicht erfüllt

Was den Vorwurf des Raufhandels angeht, so beantragten auch die Verteidiger der Musikerfamilie und ihres Freundes Freisprüche. Damit von einem Raufhandel die Rede sein könne, müssten sich mindestens drei Personen wechselseitig bekämpfen, sagte Daniel Kettiger, der die Familie B. vertritt. Hier aber habe es lediglich mehrere «Duelle» gegeben. Ausserdem hätten seine Mandanten niemanden so gravierend verletzt, dass der Tatbestand des Raufhandels erfüllt wäre. Y. habe sich seine Prellungen vermutlich «ohne Fremdeinwirkung» zugezogen, sagte Kettiger.

Nach derselben Logik sei allerdings auch X. vom Vorwurf des Raufhandels freizusprechen. Auch wegen einfacher Körperverletzung könne der junge Mann nicht verurteilt werden – obschon er «mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit» für die Gesichtsverletzung von Frau B. verantwortlich sei, wie Kettiger ausführte. Da es die Polizei aber versäumt habe, seine Gürtelschnalle auf allfällige Spuren hin zu untersuchen, lasse sich dies nicht mit Sicherheit nachweisen.

«Planmässig angegriffen»

Hingegen habe sich X. des Angriffs schuldig gemacht. «Er hätte ohne Weiteres an der Familie vorbei oder nach Hause gehen können», sagte Kettiger. Stattdessen habe der Angeschuldigte Verstärkung geholt und die Gruppe um die Familie B. «planmässig angegriffen», wobei es zu mehreren Körperverletzungen gekommen sei. Deshalb sei er zu den gesamten Verfahrenskosten sowie zur Bezahlung von 500 Franken Genugtuung an Frau B. zu verurteilen.

Daniele Jenni, der den Freund der Familie vertritt, argumentierte punkto Raufhandel ähnlich wie Kettiger. Sein Mandant habe lediglich eingegriffen, um dem Sohn der Familie B. zu helfen, sagte er. «Er versuchte nur, die Streitenden zu scheiden.» Dabei sei niemand gravierend verletzt worden.

Strafeinzelrichter Jürg Bähler wird sein Urteil heute Mittwoch bekannt geben.

Die Vorwürfe im Überblick

Nach den Vorfällen vom 21./22. April 2006 zeigte die Polizei alle Beteiligten wegen Raufhandels an. Die Musikerfamilie reichte ihrerseits eine Privatklage ein, in der dem Angeschuldigten X. zusätzlich Angriff, Körperverletzung, Beschimpfung und Rassendiskriminierung vorgeworfen wurden. Der Untersuchungsrichter überwies alle Vorwürfe zur Abklärung ans Gericht, das sein Urteil heute bekannt geben wird. Ein jüngerer Kamerad von X. ist bereits vom Jugendgericht wegen Raufhandels und einfacher Körperverletzung zu fünf Tagen Einschliessung bedingt verurteilt worden.

Laut Artikel 133 des Strafgesetzbuches wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, «wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat». Wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet, sei dagegen nicht strafbar. Gemäss Bundesgerichtspraxis handelt es sich beim Raufhandel um eine tätliche Auseinandersetzung, an der mindestens drei Personen teilnehmen und bei der zwei oder mehr Parteien wechselseitig tätlich gegeneinander vorgehen.

Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, «wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat» (Artikel 134). Das Bundesgericht versteht darunter eine gewaltsame tätliche Einwirkung mindestens zweier Personen auf einen oder mehrere Menschen in feindseliger Absicht.