Hauptstadt.be. In Köniz wurde ein Festival wegen Faschismus-Vorwürfen abgesagt. Warum das – anders als bei einem ähnlichen Ereignis im Sommer in Bern – kaum zu reden gab, ergründet unsere Kolumnistin Annatina Foppa.
Konsequenterweise sollte dieser Text nicht geschrieben werden. Schliesslich hat die «Hauptstadt» im Dezember den abgesagten Auftritt der Black-Metal-Band Forgotten Tomb in ihren Newslettern nicht aufgenommen und damit die Strategie weiterverfolgt, die sie bereits rund um den Konzertabbruch der rastatragenden Band Lauwarm im Sommer verfolgte: die Aufmerksamkeitsspirale nicht weiterzudrehen.Â
Dieses Mal hielten sich auch andere daran, so dass der Fall Forgotten Tomb nun schon wieder begraben liegt. Diese Kolumne soll ihn nicht wieder aufwühlen, sondern ist ein kurzer Nachruf auf zwei umstrittene Auftritte in Bern und Köniz im Jahr 2022.
Auf den ersten Blick haben die beiden Ereignisse einige Parallelen: Das Konzert der Reggae-Band Lauwarm in der Brasserie Lorraine wurde im Sommer 2022 abgebrochen, weil die Bandmitglieder wegen ihrer Dreadlocks der «kulturellen Aneignung» bezichtigt wurden, ein Begriff, den man seit diesem Vorfall nicht mehr erklären muss – auch wenn er wohl sehr unterschiedlich verstanden wird.
Das Metal-Festival Wintertime Depression vom 17. Dezember im Kulturhof Schloss Köniz wurde am Vortag wegen Vorwürfen an den Hauptact Forgotten Tomb abgesagt: Dieser sei rechtsradikal, antisemitisch und homophob. Dass der Leadsänger Rastas trägt, spielte hingegen keine Rolle.
Doch während das erste Ereignis über Wochen sogar international mediale Kreise zog, führte die Berichterstattung zur Könizer Absage in den Medien, auch den sozialen, wohltuenderweise kaum zu einem Echo.
Keine Klicks, kein Folgeartikel
An der Öffentlichkeitsrelevanz kann es nicht liegen – beides waren kleinere Konzerte privater Veranstalter. An der musikalischen Relevanz ebenfalls nicht. Die italienische Band Forgotten Tomb agiert bereits seit Jahren auf internationaler Ebene und hätte somit eine grössere Reichweite als die bis zu diesem Zeitpunkt fast unbekannten Berner von Lauwarm.
Liegt es daran, dass Absagen wegen Faschismus-Vorwürfen akzeptierter sind als solche wegen kultureller Aneignung? Bestimmt war Letzteres in der Schweiz noch weniger bekannt und musste zunächst eingeordnet werden – was gewisse politische Kräfte mit Freuden übernahmen: Die Junge SVP reichte wegen des Konzertabbruchs Strafanzeige gegen die Brasserie ein. In Köniz fand sich kein entsprechender heroischer Akt.
Die Neuheit und Instrumentalisierung des Themas schlug sich denn auch bei den Online-Kommentaren nieder: Die Artikel rund um Lauwarm mitten im Sommerloch generierten regelmässig eine dreistellige Zahl teils leidenschaftlicher Kommentare. Der in «Bund» und «Berner Zeitung» publizierte Beitrag zu Forgotten Tomb in der Vorweihnachtszeit führte nur zu knapp zwei Dutzend Bemerkungen, die sich bereits wie ein müder Abklatsch der sommerlichen Debatte lesen. Keine Klicks, kein Folgeartikel.
Kurze Diskussion, schneller Entscheid
Die Schreiber*innen der Onlineplattform «YB-Forum», wo der «Wirbel in Köniz» (Tamedia) anscheinend seinen Anfang genommen hatte, waren nur wenig aktiver. Jemand hatte im Forum im Vorfeld des Konzerts auf die «unglaublich geilen Forgotten Tomb» aufmerksam gemacht, ein anderer fragte zurück: «Si das nid Nazis?», eine Person aus der Regionalkonferenz Bern-Mittelland las offenbar mit, die Regionalkonferenz informierte die Gemeinde Köniz, diese den Kulturhof. Kurze Diskussion, schneller Entscheid: Absage.
Absage publiziert, von zwei Medienhäusern aufgenommen, fertig. Die Aufmerksamkeit war weg, bevor sie zur Spirale hochkonstruiert werden konnte. Auch der Kulturhof Köniz beendete den Vorfall sachlich. Ende November hatte er ein Konzert, das nicht stattfinden konnte, noch in grossen Lettern mit «cancelled» überschrieben; ein durch das Schlagwort «Cancel Culture» vorbelasteter Begriff.
Der Metal-Event wurde schlicht und einfach «abgesagt».