Die Wochenzeitung
Wenn Impfgegnerinnen, Esoteriker und ReichsbürgerInnen gemeinsam «gegen» Corona demonstrieren, fällt oft die Forderung, die Mehrheit müsse sich vom rechten Rand distanzieren. Doch Rechtsextremismus und gewisse Strömungen innerhalb der Esoterikszene haben einen gemeinsamen Nenner.
Von Sarah Schmalz
Auf der Bühne steht Traugott Ickeroth. Der Samstag hat mit heftigem Regen begonnen, nun strahlt die Sonne, weshalb sich am Konstanzer Seebecken doch noch ein paar Hundert Menschen versammelt haben. Für Ickeroth gehören sie zu den Erweckten, denn der Mann mit Schnauz und Leinenhemd verspricht seinem Publikum eine baldige «Transformation».
«Je spiritueller diese Bewegung ist, desto schneller kommen wir voran», sagt er. Das System werde fallen. Die EU, die Nato, die WHO, der Vatikan. «Das Merkel-System und die Zentralbanken.» Applaus aus dem Publikum. Die Umsturzgelüste des Redners, der sich in der Esoterikszene mit Vorträgen und Büchern wie «Die neue Weltordnung, Band 2. Ziele, Orden und Rituale der Illuminati» einen Namen gemacht hat, scheinen hier nicht die kleinste Irritation auszulösen.
Die Coronademonstrationen am Bodensee fielen letztes Wochenende zwar wesentlich kleiner aus als jene vor ein paar Wochen in Berlin. Und während sie dort mit der versuchten Stürmung des Reichstags endeten, scheiterten die DemonstrantInnen hier mit dem friedlichen Versuch, eine Menschenkette um den Bodensee zu bilden. Das aber macht die von der Initiative Querdenken 753 organisierten Proteste noch lange nicht harmlos – oder weniger braun. Denn das grösste Missverständnis der Coronaproteste lautet, dass hier eine diffuse Mischung von Unzufriedenen auf die Strasse gehe – eine unheilige, aber eher zufällige Allianz aus besorgten Bürgerinnen, Impfgegnern, Heilpraktikerinnen, Esoterikern, Reichsbürgerinnen und Rechtsextremen.
Die Juden als «abnormes Bindeglied»
Freilich gibt es sie, die sogenannten BürgerInnen, die aus reiner Pandemieüberforderung auf der Strasse sind. Und natürlich ist nicht jeder rechtsextrem, der Globuli schluckt oder Chakrameditationen macht. Und doch demonstriert hier in erster Linie eine Szene mit gemeinsamem Nenner. Das Grundlagenwerk der abendländischen Esoterik stammt von der Russin Helena P. Blavatsky. Sie gilt als Begründerin der Theosophie; 1888 erschien ihr erfolgreichstes Werk, «Die Geheimlehre». Darin vertritt sie die rassistische Theorie der sogenannten Wurzelrassen. Blavatsky glaubte, die Menschheitsentwicklung würde in einem ausgeklügelten Zuchtprogramm gesteuert, das übernatürliche Wesen für die Menschheit ersonnen hätten. Jede Wurzelrasse teilte Blavatsky in sieben Unterrassen auf. Wenn eine Rasse ihre Aufgabe erfüllt habe, gehe sie mit dem zugehörigen Kontinent unter – um der nächsthöheren Rasse Platz zu machen.
Die Juden waren in Blavatskys esoterischer Rassenlehre ein «abnormes, unnatürliches Bindeglied», dunkelhäutige Menschen «Äfflinge» oder «Tschandalen». Auf der obersten Stufe stand für Blavatsky die indoeuropäische Volksgruppe der «Arier», der sie das «perfekte Gleichgewicht zwischen Hirn-Intellekt und spiritueller Wahrnehmung» zuschrieb. Deutsche Esoteriker wie Jörg Lanz von Liebenfels münzten Blavatskys Theorien später auf das germanische Volk um. Adolf Hitler las als junger Mann begeistert Lanz von Liebenfels’ «Ostara»-Hefte, sie prägten sein antisemitisches Denken mit. Doch war die Wurzelrassentheorie nicht nur Inspiration für den nationalsozialistischen Rassenwahn, sie floss auch in andere esoterische Lehren wie die Anthroposophie Rudolf Steiners ein.
Antisemitische und rassistische Denkmuster finden sich auch in Teilen der Lebensreformbewegung, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts formierte. Sie entstand als Antwort auf die fortschreitende Industrialisierung und Modernisierung jener Zeit. Die ExponentInnen der Bewegung wollten zurück zu einem idealisierten Naturzustand. Heilpraktiken, Körperkult oder Vegetarismus waren die Antworten auf ein Gefühl der Entfremdung durch den Fortschritt. Für manche Strömungen der LebensreformerInnen lagen die Antworten aber auch in der Stärkung einer imaginierten und mystifizierten Volksseele, die sich wieder stärker mit dem eigenen Lebensraum verbinden müsse.
Die rechtsextremen völkischen Bewegungen von heute haben ihren Ursprung in der Lebensreformbewegung. So referiert etwa die Nazipartei Der Dritte Weg direkt auf die LebensreformerInnen, die damals einen dritten Weg neben Kapitalismus und Sozialismus suchten und damit nicht zuletzt auch die alten Standessysteme verteidigten – die sie von den Juden bedroht sahen. Das antisemitische Stereotyp der jüdisch kontrollierten Bankensysteme führte damals wie heute zur Forderung nach einem alternativen Geldsystem.
Schiller und Steiner
Zu den wichtigsten esoterischen Denkmustern gehört die Abwertung der Vernunft, des kritischen Denkens. Stattdessen wird eine holistische, immaterialistische Sicht der Welt propagiert: Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Nur die Intuition kann einem dabei helfen, die wahren Strippenzieher hinter der vordergründigen Weltordnung zu erkennen. Rechtsextreme Ideologie dockt wunderbar an solche Glaubenssätze an, bis zur jüdischen Weltverschwörung ist es da nicht weit. Dazu kommt das gemeinsame autoritäre Denkmuster: eine Sehnsucht danach, das eigene Schicksal als durch äussere Mächte bestimmt und gelenkt wahrzunehmen. Und eine Sehnsucht, geführt zu werden.
Das Virus wird in dieser Erzählung zu einem Kontrollmittel der Weltelite. «General mind control!», ruft Traugott Ickeroth an der Demonstration in Konstanz in die Menge. Nickende Köpfe. Neben der Bühne hängt ein Plakat mit dem Aufdruck «Rettet die Kinder». Auch Ickeroth kommt in seiner Rede irgendwann auf «Q» zu sprechen, der im Netz derzeit die wahnwitzigste und gleichzeitig am schnellsten Zuwachs findende Verschwörungstheorie verbreitet: die einer geheimen pädophilen Elite, die nach der Weltherrschaft strebt und in unterirdischen Kellern Kinder foltert.
Doch lange hält er sich mit der Geschichte nicht auf. Seine Rede ist vielmehr voller alter rechtsesoterischer Referenzen: Friedrich Schiller kommt darin vor und Rudolf Steiner. Die mit dem Kollektiv verbundene deutsche Volksseele, ein Deutschland, das endlich wieder befreit werden müsse. Dann wendet sich Ickeroth an sein Publikum, sagt: «Jemand, der sich damit auskennt, müsste dann noch die Drehrichtung der Chakren ändern. Sie drehen derzeit nach links, ich weiss nicht, weshalb.» Abgrenzen gegen rechts? Wer hier ist, stört sich nicht am sanft einsickernden Esorassismus.
Nach dem Auftritt Ickeroths singt eine junge Frau ein Liebeslied. Auf dem Uferweg verteilen Anhänger der Hare-Krishna-Bewegung in orangen Gewändern Bücher. Familien flanieren. Es bleibt friedlich in Konstanz.