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Die «Basel nazifrei»-Prozesse sind unfair: Eine Replik der Anwaltschaft auf das BaZ-Interview mit Gerichtspräsident René Ernst.
Von den Verteidigerinnen und Verteidigern kritisiert: Der Basler Gerichtspräsident René Ernst.
Im November 2018 haben in Basel rund 2000 Personen aus einem heterogenen politischen Spektrum gegen eine Kundgebung der Pnos demonstriert. Einer rechtsextremen Partei, die in ihrem Programm für eine strikte völkische Apartheid eintritt und deren damaliger Präsident der Basler Sektion und Organisator der Pnos-Kundgebung offen die Sterilisation von Juden gefordert hat. Nach einem umstrittenen Mitteleinsatz der Polizei, bei dem mindestens zwei Personen verletzt wurden, kam es in Teilen der Demonstration zu Unruhen. Im Nachgang wurden rund 60 Teilnehmende beim Strafgericht angeklagt. Einzeln, obwohl sämtliche Verfahren denselben Lebenssachverhalt betreffen und das strafprozessuale Fairnessgebot und der Grundsatz der Verfahrenseinheit verlangen, dass derartige Vorwürfe gemeinsam beurteilt werden müssen, um eine rechtsgleiche Beurteilung gewährleisten zu können.
Warum wenden wir Verteidigerinnen und Verteidiger uns an die Öffentlichkeit? Verteidigerinnen und Verteidiger wählen selten den Gang an die Öffentlichkeit, da die Gefahr einer Vorverurteilung gross ist. Wir greifen nur ein, wenn eine Vorverurteilung bereits im Gang ist. Dringend ist der Handlungsbedarf, wenn eine solche Vorverurteilung durch öffentliche Äusserungen des Gerichts geschieht. Ein Gericht ist in seiner verfassungsmässigen Funktion zu Unvoreingenommenheit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichtet. Nur auf dieser Grundlage darf es Recht sprechen. Am letzten Samstag hat die BaZ ein umfangreiches Interview mit dem amtierenden Strafgerichtspräsidenten René Ernst geführt. Dieser breitete die richterliche Position zu den Vorfällen aus, nachdem er ein Urteil zur Demonstration gefällt hatte, obgleich er wusste, dass noch über 50 weitere Fälle am Strafgericht hängig sind, welche dieselbe Demonstration betreffen. In seinen Äusserungen nahm er eine Bewertung der Gegendemonstration als Ganzes vor – in krassem Widerspruch zur Unschuldsvermutung bezüglich der übrigen beschuldigten Personen. Ein solches Vorpreschen während laufenden Strafverfahren ist beispiellos.
Nach den pauschalen Ausführungen des Strafgerichtspräsidenten erscheint die Linie des Gerichts unverrückbar zementiert.
Warum sind keine fairen Verfahren mehr möglich? Durch das Gericht ist bislang nur ein kleiner Bruchteil der Verfahren beurteilt. Welche Erwartungen dürfen die verbleibenden Beschuldigten nach der medialen Verlautbarung noch an die Strafjustiz haben? Nach den pauschalen Ausführungen des Strafgerichtspräsidenten erscheint die Linie des Gerichts unverrückbar zementiert. Das Verdikt des Strafgerichtspräsidenten ist erfolgt, bevor ein Grossteil der Beschuldigten vom Gericht angehört wurde: ein Urteil ohne Verteidigung und ohne rechtliches Gehör. Die rechtswidrige Auftrennung der Verfahren wurde durch die Justiz mit dem Gang an die Medien auf die Spitze getrieben. Faktisch können wir so nun nur noch nach der Urteilsfällung verteidigen, nachdem die Beweise bereits erhoben wurden und ihre Würdigung bereits feststeht.
Unvoreingenommenes Gericht nötig
Warum hat das gesamte Strafgericht sich die Äusserungen anzurechnen? Könnte das Strafgericht sich auf den Standpunkt stellen, es handle sich um einen Alleingang seines Präsidenten? Weder die Strafprozessordnung noch das baselstädtische Gerichtsorganisationsgesetz sehen einen solchen vor. Informieren kann die Öffentlichkeit nur das Gericht als Behörde. Deshalb hat sich das Gesamtgericht die Äusserungen anzurechnen. Dass es sich nicht um einen Alleingang handelt, zeigte ein Tweet des amtierenden Strafgerichtspräsidenten Marc Oser, mit dem dieser das Interview weiterverbreitete. Auch deshalb ist eine gerichtliche Beurteilung ausserhalb des medial abgesteckten Rahmens nicht mehr denkbar. Jedenfalls erscheint eine unvoreingenommene Verfahrensführung unter diesen Vorzeichen am Strafgericht Basel-Stadt ausgeschlossen. Die Prozesse erweisen sich als mit den verfassungsmässigen Garantien eines fairen Verfahrens und auf eine wirksame Verteidigung nicht vereinbar.
Warum ist jetzt ein unvoreingenommenes Gericht unabdingbar? Nach der pauschalen medialen Stellungnahme müsste sich das Gericht nun fairerweise aktiv um eine unparteiische und unvoreingenommene Prozessführung bemühen und sämtliche Verfahren an ein ausserkantonales Gericht abtreten. Naheliegend wäre das Strafgericht Basel-Landschaft. Denn die nachträgliche Zusammenlegung der Verfahren vor dem Strafgericht Basel-Stadt kann den Missstand unseres Erachtens zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr entschärfen. Das mag aussergewöhnlich klingen. Aber nach dem beispiellosen Vorgehen des Gerichts drängt sich nun aus rechtsstaatlichen Gründen auch eine ausserordentliche Lösung auf.