Die Wochenzeitung
Rechtsextreme missbrauchen Videospielplattformen schon länger für Propagandazwecke und zur Rekrutierung. Zwei neue Initiativen versuchen, dem etwas entgegenzusetzen.
Von Daniel Hackbarth
Sozialarbeit wird bald nicht mehr nur an urbanen Brennpunkten geleistet, sondern auch im Netz – und zwar dort, wo sich geballt GamerInnen tummeln. Fünf «Digital Streetworker» sollen künftig auf Spieleplattformen wie Steam unterwegs sein, wie der Sozialwissenschaftler Mick Prinz berichtet.
Prinz leitet bei der antirassistischen Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin das Projekt «Good Gaming – Well Played Democracy», das demnächst in die praktische Phase übergehen wird. «Die StreetworkerInnen sollen Ansprechpersonen für Leute sein, die sich belästigt fühlen oder nicht wissen, wie sie reagieren sollen, wenn sie mit Hassrede konfrontiert sind», sagt Prinz.
Zuletzt hatten Videospiele immer wieder schlechte Presse, weil es so schien, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen einer Affinität für Games und rechtsextremen Haltungen. Das legte etwa die sexistische Kampagne «Gamergate» nahe, bei der Frauen in der Videospielbranche attackiert wurden. Bei Steam stösst man zudem häufig auf Profile, die nach Nazikriegsverbrechern benannt sind. Und schliesslich streamten auch die Attentäter von Christchurch und Halle die von ihnen verübten Anschläge über die Plattform Twitch und verwendeten in ihren Bekennerschreiben Codes aus der Gamingszene.
Kampf gegen «Gutmenschen»
Dennoch glaubt Prinz nicht, dass rechte Weltbilder dort per se besonders verbreitet seien – allein schon, weil Videospiele längst nicht mehr das obskure Hobby einer «Szene» sind, sondern eher einen Querschnitt der Gesellschaft ansprechen. «Allerdings lässt sich beobachten, dass bei Hassrede in Gamechats oder auf Plattformen nicht so oft Gegenrede geleistet wird wie etwa bei Twitter oder Facebook», sagt der Sozialwissenschaftler.
Das versuchen sich Rechtsextreme zunutze zu machen. Jüngstes Beispiel: Vor kurzem wurde im Steam-Shop ein Jump-’n’-Run-Spiel angekündigt, in dem die Spielerin sich als Aktivist der rechtsextremen «Identitären Bewegung» durch eine von Juden, Homosexuellen und «Gutmenschen» beherrschte Welt kämpfen muss. Hinter dem Game steht der Verein «Ein Prozent für unser Land», an dem der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek, der neonazistische Publizist Jürgen Elsässer sowie prominente «Identitäre» beteiligt sind.
Druck auf die Plattformen
Inzwischen wurde das Spiel zwar auf rechten Seiten veröffentlicht, aber von Steam gelöscht – warum genau, ist unklar, da es keine offizielle Mitteilung der notorisch intransparenten Plattform gibt. «Theoretisch wäre es sogar denkbar, dass die Entwickler es selbst heruntergenommen haben, um sich als Opfer stilisieren zu können», sagt Benjamin Strobel. Der Psychologe und Spieleforscher gehört zu den MitbegründerInnen der Initiative «Keinen Pixel den Faschisten!» und hatte mit anderen dazu aufgerufen, das Game bei Steam zu melden, um so die Plattform zur Löschung zu bewegen – wohl wissend, dass die Rechten es vor allem darauf anlegten, Aufsehen zu erregen.
Strobel verbucht das Verschwinden des Games dennoch als Erfolg für den antifaschistischen Widerstand im Gaming. Das «Keinen Pixel!»-Netzwerk existiert seit April und will unter anderem Aufklärungs- und Kampagnenarbeit leisten; mehr als achtzig Einzelpersonen, Initiativen und Websites sind daran beteiligt. Auch Sozialwissenschaftler Prinz glaubt, dass «Deplatforming», also der Versuch, Rechtsextreme von sozialen Netzwerken zu verdrängen, eine wirkungsvolle Strategie sei: Die Profile der Führungskader der «Identitären» seien diesen Sommer von Twitter und Youtube gelöscht worden. Seitdem seien sie praktisch von der Bildfläche verschwunden.
Trotzdem müsse weiter Druck auf die Gamingplattformen gemacht werden, sagt Strobel: «Es ist sicher nicht einfach so, dass Videospiele Leute radikalisieren würden. Allerdings können sich gerade in grossen Gamingcommunitys rechte Ideologien ungehindert ausbreiten: Man trifft dort viele Menschen, und die Foren werden kaum moderiert.» Bei Steam kommen auf monatlich 90 Millionen aktive NutzerInnen gerade einmal 26 ModeratorInnen, die Hälfte davon arbeitet ehrenamtlich. Genau darum müsse man eigene Netzwerke schaffen, sagt Strobel: «Im Fussball engagieren sich ja auch Leute antifaschistisch in den Kurven. Im Gaming gab es das bislang nicht.»