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Israelitischer Gemeindebund: Der neue Chef fordert mehr Sicherheit für jüdische Gemeinden
Der Basler Ralph Lewin will die Stimme des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds stärken. Er strebt neue Massnahmen gegen Antisemitismus an.
Michael Meier
Der neue Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds strebt mehr Sicherheit für die jüdischen Gemeinden in der Schweiz an. Das sagt Ralph Lewin, der am Sonntag gewählt wurde, im Gespräch mit dieser Zeitung. «Punkto Sicherheit haben wir gewiss einiges erreicht, stehen aber noch nicht dort, wo wir sein möchten», sagt der 67-Jährige. Für das Amt angefragt wurde der frühere SP-Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt wegen seiner Erfahrung als Exekutivpolitiker. Er hat sich am Sonntag in Bern mit 45 zu 40 Stimmen der Delegierten aus 16 Gemeinden gegenüber dem anderen Kandidaten Ralph Friedländer durchgesetzt. Es war die erste Kampfwahl um das jüdische Spitzenamt überhaupt.
Der Bund hat in diesem Jahr erstmals 500’000 Franken für den Schutz gefährdeter Minderheiten gesprochen. Das sei ein grosser symbolischer Erfolg, vom Betrag her aber eher marginal, sagt Lewin. Darum werde er den Dialog um die Sicherheit der Juden fortsetzen und vorantreiben. Er sei sich bewusst, dass das Basler Modell nicht überall umgesetzt werden könne: Der Kanton Basel-Stadt übernimmt den grössten Teil der Sicherheitskosten, indem die Polizei die Bewachung jüdischer Einrichtungen umfassend sicherstellt.
Antisemitismus in den sozialen Medien
Seit rund 150 Jahren ist die jüdische Minderheit in der Schweiz gleichberechtigt. Ihr Einvernehmen mit der hiesigen Gesellschaft und Politik gilt heute als sehr gut. Das ist mit ein Verdienst des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG, der die politische Interessenvertretung der Schweizer Juden nach aussen wahrnimmt. Für Lewin ist es ein zentrales Anliegen, diesen fruchtbaren Dialog mit den Behörden und der Politik auch auf Bundesebene zu vertiefen.
Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus war immer eine Kernaufgabe des SIG. «Diese Themen werden auf der Agenda bleiben», so Lewin. Man müsse Gegenmassnahmen entwickeln, auch gegen neuere Spielarten wie den Antisemitismus in den sozialen Medien oder den islamistischen Antisemitismus. Dies sei aber genauso eine öffentliche staatliche Aufgabe. «Der SIG ist keine Partei mit bestimmten Parolen», sagt Lewin. Einig sei man sich vor allem darin, Initiativen mit ausländerfeindlicher Stossrichtung nicht zu unterstützen.
«Ich bin der Meinung, dass wir die Politik Israels nicht laufend kommentieren sollten.»
Lewin ist nicht der Ansicht, dass er sich als Sozialdemokrat israelkritisch äussern müsste: «Ich bin der Meinung, dass wir uns zum Thema nicht äussern und die Politik Israels nicht laufend kommentieren sollten. Unsere Aufgabe ist es auch nicht, die Vertretung von Israel in der Schweiz zu sein. Das ist nichts Neues, sondern ein Grundsatz.» Natürlich müsse sich der SIG vernehmen lassen, wenn Kritik an Israel in Antisemitismus abdrifte, was immer wieder vorkomme.
Beschneidung und Koscherfleisch gehören zur Substanz des Judentums und werden bisweilen zum Politikum. Lewin ist sich bewusst, dass die Beschneidungs- oder Koscherfleischkontroverse immer wieder aufflackern kann. «Da muss der SIG bereit sein und möglichst schauen, dass diese Debatten nicht wieder virulent werden.» Er glaubt aber nicht, dass die Latenz dieser Themen eine relevante Zahl von Schweizer Juden veranlasse, nach Israel auszuwandern.
Für ihn selbst vor allem kulturelles Erbe
«Ich bin ein bewusstes Mitglied der Israelitischen Gemeinde Basel, einer Einheitsgemeinde, in der von kaum bis stark religiös alle Haltungen vertreten sind», sagt Lewin, der selber an hohen Feiertagen oder am Todestag von Verwandten in die Synagoge geht. Das Judentum ist für ihn vor allem kulturelles Erbe.
Lewins Kontrahent Ralph Friedländer amtet bereits als Präsident der Jüdischen Gemeinde Bern und wurde nun in die Geschäftsleitung und zum Vizepräsidenten des SIG gewählt. Im Gegensatz zu ihm kommt Lewin von aussen in den Israelitischen Gemeindebund. Allerdings nicht ganz: Er präsidierte mehrere Jahre lang die Jüdische Studentengemeinschaft Basel und war in der Leitung des Jüdischen Jugendbundes. Dann war er 30 Jahre lang beruflich so eingespannt, dass er kein grösseres Amt in der jüdischen Community übernehmen konnte. Hingegen war er bis zum Wahlkampf elf Jahre lang Verwaltungsratspräsident der Jüdischen Medien AG, die etwa das jüdische Wochenmagazin «Tachles» herausgibt. Diese – unabhängige – Stimme sei für das hiesige Judentum wichtig, so Lewin.
Nachfolger von Herbert Winter
Zu den zentralen Aufgaben des SIG nach innen gehört auch die Zusammenarbeit mit der Plattform der liberalen Juden der Schweiz. Als Präsident des jüdischen Dachverbands wäre Lewin natürlich glücklich, wenn möglichst viele Gemeinden Mitglied wären, auch die liberalen. Im Moment stehe das aber nicht zur Diskussion. Dies könne und wolle man nicht übers Knie brechen, zumal ein guter Modus Vivendi mit der Plattform der liberalen Juden gefunden worden sei.
Lewin löst nach zwölf Jahren Herbert Winter ab. Er ist sich bewusst, dass er als Gesicht der Schweizer Juden nach aussen viel Zeit in das Mandat investieren muss, wohl mehr als die vorgesehenen 20 Prozent.