Die Wochenzeitung
Verurteilt als «kriminelle Organisation»: In Griechenland bejubeln Zehntausende das Verbot der Neonazipartei Chrysi Avgi. Doch warum hat es dafür erst einen Mord gebraucht? Und was wird nun aus den ParteianhängerInnen?
Von Natalia Widla
Magda Fyssa weint vor Erleichterung. Zuerst stumm, mit geballten Fäusten. Dann, als sie den Gerichtssaal verlässt, reisst sich die zierliche Frau die Schutzmaske vom Gesicht und jubelt. Draussen in den Strassen rund um das Athener Obergericht stimmen Zehntausende in ihren Jubel ein.
Die Szenen sind festgehalten auf Aufnahmen, die in den sozialen Medien kursieren. Fyssa ist die Mutter des antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas, der im September 2013 von einem Neonazi auf offener Strasse ermordet wurde. In Griechenland ist sie zum Symbol des Kampfes gegen die neofaschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) geworden.
Am 7. Oktober ging nach über fünfeinhalb Jahren der Prozess gegen 68 Mitglieder der Partei zu Ende. 40 von ihnen wurden schuldig gesprochen: für den Mord an Pavlos Fyssas sowie für die versuchten Morde am kommunistischen Gewerkschaftsführer Sotiris Poulikogiannis und dem ägyptischstämmigen Fischer Abouzeid Mubarak. Am wichtigsten ist aber die Verurteilung für die «Gründung und den Betrieb einer kriminellen Organisation». Faktisch kommt das Verdikt einem Verbot gleich: Als illegale Gruppierung kann die Partei nicht weitergeführt werden.
«Historischer» Schuldspruch
Die Parteiführung hatte jegliche Verbindung zwischen den Mitgliedern und den Übergriffen bis zuletzt bestritten – und den Prozess als «Verschwörung noch nie da gewesenen Ausmasses» bezeichnet. Parteigründer und Generalsekretär Nikolaos Michaloliakos, der Adolf Hitler auch schon die «grösste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts» genannt hatte, war nicht zur Urteilsverkündung erschienen. Ihm und sechs weiteren Parteikadern drohen nun unbedingte Haftstrafen von bis zu fünfzehn Jahren.
Der Prozess gegen die Goldene Morgenröte war einer der grössten gegen eine Neonazigruppierung in den letzten Jahrzehnten. Nicht nur Magda Fyssa hatte seit dem Prozessbeginn im April 2015 fast 2000 Tage auf den Entscheid gewartet.
Mitglieder und AnhängerInnen der Goldenen Morgenröte sind jahrzehntelang dafür gefürchtet worden, Menschen migrantischer Herkunft, politische Opponentinnen oder Gewerkschafter physisch anzugreifen. NGOs und Initiativen wie Golden Dawn Watch haben entsprechende Vorfälle dutzendfach dokumentiert. Doch erst der Mord an Pavlos Fyssas und die anschliessenden Demonstrationen, Ausschreitungen und Streiks haben jene polizeilichen Untersuchungen ins Rollen gebracht, die schliesslich zur Anklage führten.
Die schwedische Journalistin Lisa Bjurwald nennt den Schuldspruch gegen Chrysi Avgi «historisch». Es sei in der modernen europäischen Geschichte ein äusserst seltenes Phänomen, «dass ein Staat mit solcher Härte juristisch gegen eine demokratisch gewählte Partei durchgreift», sagt die Expertin für Rechtsextremismus. Natürlich stehe die Frage im Raum, warum die griechische Justiz nicht schon viel früher gehandelt habe, so Bjurwald. «Aber seien wir mal ehrlich: In welchem europäischen Land ist es in den letzten Jahren schon gelungen, juristisch gegen die organisierte Rechte vorzugehen?»
Für die Expertin ist eines der grossen Dilemmas der Gegenwart, dass rechtsextreme Parteien unter der schützenden Hand demokratischer Legitimität straflos walten können. «Das Verdikt ist vor allem auch deshalb historisch, weil es zeigt, was diese Menschen sind: neofaschistische Kriminelle.»
Unterstützung von der Polizei
1985 gegründet, ist Chrysi Avgi seit 1993 eine registrierte Partei. Im Windschatten von Wirtschaftskrise und Austerität erlangte sie bei der Wahl von 2012 quasi aus dem Stand knapp acht Prozent – und zog hinter der linken Syriza und der konservativen Nea Demokratia mit achtzehn Sitzen als drittstärkste Kraft ins Parlament ein. Zu ihren stärksten Zeiten stimmten rund 400 000 Menschen für die RechtsextremistInnen – und damit für ein Parteiprogramm, das sich neben «Ultranationalismus», der Verehrung des ehemaligen griechischen Diktators Ioannis Metaxas, Euroskeptizismus und territorialen Ansprüchen auf die Nachbarstaaten auch durch offene Homo- und Islamophobie und Antifeminismus auszeichnet.
Neben einem Einwanderungsstopp und der sofortigen Ausweisung aller MigrantInnen schlug die Partei etwa auch Ölbohrungen im Mittelmeer als Lösung für die griechische Wirtschaftskrise vor. Schnell hatte sich die Erklärung etabliert, wonach die populistisch-rassistischen «Lösungen» den Aufstieg der Partei während der Krise zu erklären vermochten.
Dieser Darstellung widerspricht der Historiker Spyros Marchetos von der Universität Thessaloniki. Zwar habe die Goldene Morgenröte am lautesten den MigrantInnen und der EU die Schuld an der Krise gegeben. Sie habe aber kein Narrativ erschaffen, sondern höchstens davon profitiert. «Griechenland hat in den letzten vierzig Jahren, also schon lange vor dem Flüchtlingssommer 2015, rassistische Ressentiments und Nationalismus gepflegt.»
Mittlerweile ist die Partei politisch zunehmend bedeutungslos geworden: Bei der vorgezogenen Neuwahl von 2019 scheiterte sie an der Dreiprozenthürde. Als mögliche Gründe für den Abstieg gelten der Rechtsruck innerhalb von Nea Demokratia, der die Partei wohl zur attraktiveren Option machte, und die nicht enden wollenden Negativschlagzeilen. Der Abstieg kam somit nicht nur, aber auch mit den juristischen Problemen.
Als die Goldene Morgenröte 2012 ins Parlament einzog, bezeichneten griechische PolitikerInnen wie auch Teile der internationalen Presse sie als «ernst zu nehmende Kraft» und wehrten sich gegen deren Stigmatisierung als Nazis. Die Regierungsparteien versuchten, sich mit den NeofaschistInnen zu arrangieren, Medien luden die Parteiführung in Talkshows ein, der Neonazi Ioannis Lagos, der bis 2019 Parteimitglied war, sitzt noch immer im EU-Parlament. Mitentscheidend für den Erfolg war aber auch die Unterstützung durch die Polizei.
Der TV-Sender Al Jazeera rechnete etwa aus, dass die Partei 2012 an jenen Athener Wahlstationen eine deutlich überdurchschnittliche Zustimmung verzeichnete, an denen besonders viele PolizeibeamtInnen abstimmten. Die BBC thematisierte damals den in linken Kreisen weitverbreiteten Vorwurf, dass Athener PolizistInnen Personen, die «Probleme mit Migranten» hatten, direkt an die Goldene Morgenröte verweisen würden. «Wir haben momentan fünfzig bis sechzig Prozent der Beamten auf unserer Seite – und jeden Tag werden es mehr», prahlte der damalige Parlamentsabgeordnete Ilias Panagiotaros gegenüber dem Sender. «Diese Verstrickungen sind ein riesiges Problem», sagt Historiker Marchetos, «sie werden nicht von heute auf morgen verschwinden.»
Radikalisierung oder Mainstream?
Journalistin Lisa Bjurwald treibt derweil die Frage um, wie es nach dem Urteil mit den AnhängerInnen und Mitgliedern der Partei weitergeht. «Werden sie sich weiter radikalisieren und in den Untergrund gehen oder eher ihren Platz in der Mainstreampolitik finden?» Interessant sei nun, was das Urteil für andere rechtsextreme Parteien in Europa bedeute. «Ich beobachte bei vielen einen Funken Angst», sagt Bjurwald. Das Gefühl der Unantastbarkeit sei vorerst verschwunden. «Entscheidend wird sein, wie die anderen Regierungen nun handeln.»
Historiker Marchetos sieht es ähnlich. «Europas Rechtsradikale werden nun zeigen wollen, dass das Urteil sie nicht getroffen hat. Gleichzeitig haben sie Angst: Erstmals sehen sie, dass sie nicht unantastbar sind.» Ob sich die extreme Rechte zunehmend aus der parlamentarischen Sphäre zurückziehen und ihren Kampf auf die Strassen tragen wird, werde die Zeit zeigen, sagt Marchetos.
Zumindest für Griechenland rechnet er aber kurzfristig mit einem Rückgang rechtsextremer Gewalt: Das Urteil sei für Chrysi Avgi eine Art Schockmoment. Der Ball, so Marchetos, liege nun bei Politik und Zivilbevölkerung. «Solange in Europa ein nationalistischer Grundkonsens vorherrscht, der von den anderen Parteien unwidersprochen mitgetragen wird, wird jede nächste Krise wieder ihre extremistischen Profiteure haben – Urteil hin oder her.»