Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung von SVP-Nationalrat Addor wegen Rassendiskriminierung. Nun ist er offiziell Rassist.
Tobias Tscherrig
Nach einer Schiesserei in einer St. Galler Moschee, bei der eine Person starb, schrieb der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor im Jahr 2014 auf Twitter und Facebook: «Wir wollen mehr davon!». Nachdem der – selber nicht unumstrittene – Islamische Zentralrat der Schweiz (IZRS) eine Strafanzeige eingereicht hatte, leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung ein.
Addor wurde vom Bezirksgericht Sitten wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen, zog das Urteil aber an das Walliser Kantonsgericht weiter und verlor erneut. Aber auch dieses Urteil vermochte der SVP-Hardliner nicht zu akzeptieren. Addor, der von 1989 bis 1991 als Gerichtsschreiber am Bezirksgericht von Entremont und bis 2001 als Untersuchungsrichter der Region Mittelwallis arbeitete, bevor er 2001 vom Walliser Kantonsgericht wegen verschiedener Fälle von «Interessenkonflikten» entlassen wurde, zog den Fall trotz einer glasklaren Begründung der zweithöchsten Instanz ans Bundesgericht weiter.
Das Verdikt der höchsten Schweizer Gerichtsbarkeit kam am 4.11.2020: Es hält am Urteil fest und bestätigt die Begründungen der Vorinstanzen. Damit ist es offiziell: Jean-Luc Addor ist ein Rassist. Aber der verurteilte Rassist gibt immer noch keine Ruhe. Der SVP-Nationalrat überlegt sich zurzeit, ob er das Urteil an den Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiterziehen soll.
Es wäre der nächste Akt in einer unwürdigen Komödie, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt: Immerhin geisselt die SVP den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seit Jahren, bezeichnet ihn als «fremde Gerichtsbarkeit» und spricht davon, dass er mit seiner Rechtsprechung die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger der Schweiz beschneide.
Ausdruck von Abneigung, Merkmal von Hass
Das Bundesgericht kommt in seiner Urteilsbegründung zu klaren Schlüssen. Ein unbefangener Drittleser verstehe den Kommentar als Wunsch nach einer Wiederholung der Tat. Der Leser werde dazu eingeladen, sich über das tragische Ereignis in der Moschee zu freuen. Im Übrigen sieht das Bundesgericht im Umstand, sich über das Leid Dritter zu freuen, einen Ausdruck von Abneigung, welche ein wesentliches Merkmal von Hass sei. Die Freude über das Leid Dritter sei gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Religion ausgedrückt worden. Deshalb sei sie als Diskriminierung und als Aufruf zu Hass zu werten.
Addor, der in der Vergangenheit bereits die Wiedereinführung der Todesstrafe und das Recht auf öffentliches Waffentragen forderte, ist sich keiner Schuld bewusst. Auf Facebook schreibt er: «In einer Zeit, in der in Europa und sogar in der Schweiz Menschen abgestochen und Kehlen aufgeschlitzt werden, will mich unser Hohes Gericht knebeln und zum Schweigen bringen.» Der verurteilte Rassist stört sich vor allem daran, dass er vom IZRS angezeigt wurde, dessen Führungsduo 2020 wegen Terrorpropaganda verurteilt wurde. Die Strafverfolgungsbehörden hätten aber ohnehin von Amts wegen tätig werden müssen – Verstösse gegen die Rassismus-Strafnorm sind ein Offizialdelikt.
Eine Tatsache, die Addor als ausgebildeter Jurist mit Sicherheit bekannt ist, die aber nicht in seinen Plot passt: Auf der einen Seite die bösen und willfährigen Helfer von islamistischem Terror, auf der anderen Seite niemand ausser Addor: Er, der hehre Verteidiger von Vaterland und Meinungsfreiheit, die letzte Bastion vor der Islamisierung des Abendlandes.
«Nein, ich werde nicht schweigen, ich werde unser Land und unsere Zivilisation weiterhin verteidigen», schreibt Addor denn auch als Reaktion auf das Bundesgerichts-Urteil.
Gerichtssäle als Bühne
Bereits die erste Verhandlung vom Mai 2017 vor dem Bezirksgericht Sitten wurde von Addor und seinem Verteidiger Marc Bonnant zu einem Theaterstück gemacht. Vor zahlreich erschienenen Sympathisanten, darunter auch Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung «Résistance Hélvetique» («Infosperber» berichtete mehrmals, siehe Links am Ende des Textes), zogen Addor und sein Verteidiger eine regelrechte Show ab.
Addors Anwalt schien mehr zu den anwesenden Journalisten und den erschienenen Sympathisanten als zum Richter zu sprechen. Die Schiesserei in St. Gallen blieb für ihn eine «mafiöse Abrechnung». Dass sie in einer Moschee stattgefunden hat, sei «ein Detail». Der Fall dokumentiere den Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität. Islamophobie sei nicht nur legitim, sondern die Pflicht jeder strukturierten Intelligenz in «unserer jüdisch-christlichen Zivilisation».
Verteidiger Bonnant sprach von einem «triumphierenden Islam» und malte ein düsteres Bild von «unserer Zivilisation», die an den Tugenden der «Gastfreundschaft und Toleranz sterben wird». «Wenn Ihre Töchter den Niqab tragen und Ihre Söhne nach Mekka beten, werden Sie sich fragen, was der ‚Artikel 261 bis‘ (Rassismusstrafnorm) des Strafgesetzbuches und seine Auslegung durch deutsch-schweizerische Juristen wert war». Besagter Artikel sei ein «Schurkengesetz», das aufgehoben werden solle.
Das Publikum fand derartige Aussagen amüsant, lachte und applaudierte. Der Richter musste verärgert zur Ordnung rufen: «Wir sind nicht beim Zirkus». Dass Bonnant und Addor die Verhandlung vor allem zu Propagandazwecken nutzen wollten, zeigte folgende Aussage von Bonnant, der zu seinem Mandanten sagte: «Lassen Sie mich verlieren! Sie verdienen es, ein Märtyrer und Widerstandskämpfer zu werden, und Sie könnten Ihre Wahlbasis festigen».
Auch bei der zweiten Verhandlung am Kantonsgericht tätigten Addor und Bonnant krude Aussagen. Bonnant hielt erneut ein theatralisches Votum und behauptete etwa, dass der «Islam» «erobernd und siegreich» sei. Das Christentum gehe unter, Demokratien würden zerfallen, das Abendland sterbe. Er aber, wolle seine christliche Zivilisation «nicht sterben lassen». Nach dem erstinstanzlichen Urteil hätten «die Muslime» gejubelt und es als «Sieg des Islams» angesehen. Weil sonst die Falschen gewinnen würden, wollte Bonnant für seinen Mandanten einen Freispruch erwirken.
Die Selbstinszenierung geht weiter
Egal ob nach dem Urteil des Bezirks-, des Kantons-, und jetzt auch des Bundesgerichts: Sobald Addor seine Bühne in den Gerichtssälen verlässt, wechselt er ins Internet. Hier präsentiert er sich nicht nur als Verteidiger der christlichen Zivilisation und ihren Werten, sondern auch als Verteidiger der Meinungsfreiheit. So wie das alle machen, die gerne andere Menschen diskriminieren. Addor scheint immer noch nicht begreifen zu wollen, was Meinungsfreiheit eigentlich ist und dass sie auch Einschränkungen kennt.
Seinen Unterstützerinnen und Unterstützern sind solche augenfälligen Widersprüchlichkeiten – wie zum Beispiel auch Addors Wunsch Gleiches mit Gleichem vergelten zu wollen oder der eventuelle Gang an den oft gegeisselten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – scheinbar egal. Im virtuellen Raum erhielt Addor zahlreiche Unterstützungsbekundungen. «Was für ein tapferer und mutiger Mann. Du hast meinen tiefsten Respekt. In der Schweiz haben sie heute die Verbrennung von Hexen auf dem Scheiterhaufen wieder eingeführt!», schreibt ein User. Dabei hatte Addor öffentlich für die Wiederholung von Morden in Moscheen plädiert.
Corona: Addor malt sich die Welt, wie sie ihm gefällt
Aber Addor scheint sich vor seiner unkritischen Fanbasis nicht erklären zu müssen, wirkliche Inhalte und Fakten sind hier nicht gefragt. Hauptsache, die eigene Weltsicht wird bestätigt. Auch in Bezug auf die aktuelle Gesundheitskrise. So kritisierte der verurteilte Rassist etwa die damalige Corona-bedingte Beschränkung von zehn Gläubigen pro Gottesdienst in Walliser Kirchen als «versteckte Schliessung der Kirchen» – während die Fallzahlen im Kanton nach oben schnellten. Die Schliessung von Fitnesszentren beschreibt er vor demselben Hintergrund als «unbegründete Massnahme».
Statt die Bevölkerung zur Umsicht und zur Einhaltung der Corona-Massnahmen zu überzeugen, fordert Addor sie auf, «ihre Rechte zu verteidigen» und das Referendum gegen das COVID-19-Gesetz zu unterzeichnen. «Sie machen uns immer wieder Angst. Sie versuchen, uns wieder zu isolieren. Wenn wir ängstlich und allein sind, sind wir formbarer. (…) Vereinen Sie sich für Ihre Rechte!», schreibt Addor. Im Sonderweg von Schweden sieht Addor «keine Anzeichen dafür, dass das Land schlechter dran ist als wir». Er schreibt von Behörden, die «Menschen langsam sterben lassen und das ganze Land in die Knie zwingen» und macht sich über das Tragen von Masken und über Corona-Tests lustig.
Gemäss Addor hat das Virus «unendlich weniger Schäden in Form von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen verursacht, als die Massnahmen zu seiner Bekämpfung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht und in Bezug auf unsere Freiheiten verursacht haben.» In Bezug auf die Corona-Massnahmen spricht er von einer «Gesundheitsdiktatur», das Virus bezeichnet er als «chinesisches Virus».
Addor sass als einziger Vertreter des Parlaments im Komitee, die für ein Referendum gegen die «SwissCovid App» Unterschriften gesammelt hat und bereits daran gescheitert ist. Sein Engagement begründete Addor vor allem mit Datenschutzbedenken. Die App führe zu einer «digitalen Diktatur». Die Förderung der App gleiche mehr staatlicher Propaganda statt Werbung und führe zu einer massenhaften elektronischen Überwachung durch den Staat. Addor bezeichnete die App gar als «GestapoApp»– und machte ausgerechnet bei der Datensammelkrake und manipulationsanfälligen Fake-News-Maschinerie «Facebook» Stimmung dagegen.
Das alleine zeigt, um was es Addor eigentlich geht: Stimmungsmache und Polemik zum eigenen Vorteil – ohne sich wirklich mit der Materie oder den Fakten auseinanderzusetzen.