Der Historiker Mark Bray hat sich eingehend mit dem antifaschistischen Widerstand in den USA beschäftigt: Er erläutert, warum Präsident Donald Trump immer wieder die Antifa attackiert – und weshalb die Befürchtungen um Gewaltausbrüche rund um die Wahlen absolut berechtigt sind.
Interview: Jan Jirát
WOZ: Mark Bray, US-Präsident Donald Trump will die Antifa als Terrororganisation einstufen. Das ist absurd, weil die Antifa keine Organisation, sondern eine dezentral organisierte, heterogene Bewegung ist. Zugleich stellt sich die Frage, weshalb Trump so gezielt auf die vergleichsweise kleine Bewegung losgeht.
Mark Bray: Ein sehr aktueller Vorfall fasst das beispielhaft zusammen. Letzten Freitag bedrängten Trump-Anhänger in Pick-ups auf einer Schnellstrasse in Texas den Bus eines lokalen Wahlkampfteams des Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Der Vorfall führte zu Ermittlungen des FBI, woraufhin der US-Präsident twitterte: «In meinen Augen haben diese Patrioten nichts falsch gemacht. Stattdessen sollte das FBI gegen die Terroristen, Anarchisten und die Antifa-Aufwiegler ermitteln, die unsere demokratisch geführten Städte niederbrennen und unsere Leute verletzen.» Das ist sehr typisch. Trump spielt die reale und konkrete Gefahr, die von rechter und rechtsextremer Seite ausgeht, systematisch herunter und schürt stattdessen diffuse Ängste vor angeblich gewalttätigen linksradikalen Gruppen. Das ist leider sehr effektiv.
Inwiefern?
Trump richtet sich mit solchen Botschaften nicht primär an die Öffentlichkeit, sondern an seine Anhängerschaft. Sein Kalkül ist: Solange sich seine überwiegend weisse, konservative und christliche Anhängerschaft bedroht fühlt, lässt sie sich auch mobilisieren. Für seinen Machterhalt ist das überlebenswichtig. Hinzu kommt, dass die Haltung gegenüber der Antifa und anarchistischen Gruppen bis weit ins linke Lager hinein von Ignoranz und einer falschen Wahrnehmung als militanter Schwarzer Block geprägt ist. Kaum jemand steht hin und verteidigt diese Bewegungen. Die Antifa ist ein ideales Feindbild für Donald Trump.
Wie geht man innerhalb der antifaschistischen Bewegung damit um, von ganz oben zum Feind erklärt zu werden – gerade auch angesichts dessen, dass viele rechtsextreme Gruppen und Milizen in den USA schwer bewaffnet sind?
Die Szene ist sich dieser Gefahr sehr bewusst, spätestens seit ein Rechtsextremer 2017 in Charlottesville mit seinem Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten fuhr und dabei die 32-jährige Heather Heyer tötete sowie neunzehn Menschen zum Teil schwer verletzte. Strategien zur Selbstverteidigung spielen eine zentrale Rolle innerhalb der Szene, aber ich konnte keine signifikante Aufrüstung oder Aufrufe zum bewaffneten Widerstand beobachten. Eine Ausnahme ist die Gruppierung Redneck Revolt, die nach Charlottesville auch medial einige Beachtung fand. Sie inszeniert sich ganz bewusst als bewaffnete, antifaschistische Miliz. Das ist aber keinesfalls typisch.
Es ist bereits vor den Wahlen viel darüber spekuliert worden, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte.
Trump hat den Nährboden dafür ganz bewusst geschaffen. Einerseits spielt er die Gefährlichkeit von rechtsextremen Gruppen und White Supremacists, die eine weisse Vorherrschaft verteidigen, bei jeder Gelegenheit herunter. Andererseits verbreitet er immer wieder Gerüchte über angeblichen Wahlbetrug und radikale QAnon-Verschwörungsmythen, die von einem Deep State ausgehen, den nur er selbst stoppen könne. Seine Anhängerschaft ist radikalisiert, sie ist in Alarmbereitschaft. Gewisse Teile werden eine Wahlniederlage von Trump niemals akzeptieren. Die Gefahr von gewalttätigen Auseinandersetzungen ist leider sehr real. Und während das rechtsextreme Lager darauf vorbereitet ist und diese Situation sogar herbeisehnt, wirkt das demokratische und liberale Lager paralysiert und unorganisiert. Das ist eine sehr gefährliche Ausgangslage.
Angenommen, Joe Biden wird Präsident: Was würde sich ändern für die Antifa-Bewegung und anarchistische Gruppen?
Trump verfolgt sehr strategisch das Ziel, die radikale Linke in den USA zu zerstören. Indem er etwa die Antifa kriminalisiert und als Terrororganisation beschreibt, setzt er die Strafverfolgungsbehörden bewusst unter Druck, aktiv und sichtbar gegen diese Gruppen vorzugehen. Ich denke nicht, dass Biden diesen repressiven Druck aufrechterhalten würde. Antifa-Gruppen könnten sich dann endlich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: Nazis daran zu hindern, Raum und Macht zu erhalten – an Arbeitsplätzen, in Schulen und Institutionen wie der Armee.
Mark Bray (38) ist US-Historiker und Autor des Standardwerks «Antifa. The Anti-Fascist Handbook» (2017).