Die Wochenzeitung
Eine Studie bringt erstmals den Waffen- und Kunsthandel von Emil G. Bührle zusammen. Zwei Gutachten bestätigen, dass es bei der Forschung zu nicht tolerierbaren Einmischungen kam. Warum die Kontroverse der Aufarbeitung des Bührle-Komplexes nicht geschadet hat.
Von Kaspar Surber (Text) und Florian Bachmann (Foto)
Die Maltechnik der ImpressionistInnen versteht jedes Kind sofort: Du kannst ein Bild immer zweimal betrachten, einmal aus der Ferne und einmal aus der Nähe, zuerst als Gesamteindruck, dann als Nahaufnahme aus Flächen und Punkten. Doch immer bleibt es dasselbe Bild.
Auch die Aufarbeitung der Geschichte von Emil G. Bührle (1890–1956), der ein Vermögen mit der Waffenproduktion für die Nazis anhäufte und es in Meisterwerke des Impressionismus investierte, kann man nach dieser Logik betrachten: einmal aus der Ferne, als Gesamtbericht, dann aus der Nähe, als Streit um einzelne Wörter und Formulierungen. Mit dem Effekt allerdings, dass einem schwindlig wird. Denn ob man weit weg steht oder nahe herangeht: Das Problem mit Bührle wird nur immer grösser.
Brisante Erkenntnisse
Diese Woche wurde der mit Spannung erwartete Bericht des Bührle-Forschungsprojekts präsentiert. Die Forschung sollte die Entstehungsgeschichte der Sammlung aufarbeiten, pünktlich zur Eröffnung eines Erweiterungsbaus des Zürcher Kunsthauses. In einem Tresorbau von Stararchitekt David Chipperfield – Kostenpunkt 206 Millionen Franken – wird die Bührle-Sammlung künftig zu sehen sein. Anfang dieses Jahres war zwischen Forschungsleiter Matthieu Leimgruber, Geschichtsprofessor an der Universität Zürich, und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Erich Keller eine Kontroverse entbrannt. Mitglieder des Steuerungsausschusses, so Kellers Kritik, hätten sich in die Forschung eingemischt. Sein Arbeitsverhältnis liess er auslaufen.
Die WOZ machte die Vorwürfe unter dem Titel «Bührle wird beschönigt» publik (vgl. WOZ Nr. 34/20), die Universität gab daraufhin zwei Gutachten in Auftrag, die ebenfalls diese Woche veröffentlicht wurden. Doch beginnen wir mit dem Blick aus der Distanz.
Dem Forschungsbericht, den Matthieu Leimgruber präsentierte, gelingt es erstmals, die Waffengeschäfte von Bührle und den Aufbau seiner Kunstsammlung schlüssig miteinander zu verknüpfen. Der Bührle-Komplex erscheint so in seiner ganzen Problematik.
Mit der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon WO, die Bührle ab 1925 leitete und ab 1938 dank dem Kapital seines Schwiegervaters finanziell kontrollierte, arbeitete er erst für die verdeckte Aufrüstung Deutschlands und belieferte auch andere Länder mit Waffen. Im Zweiten Weltkrieg explodierte Bührles Vermögen förmlich dank den Rüstungsexporten ans NS-Regime. Nach einer kurzen betriebswirtschaftlichen Sinnkrise – Bührle stand auf den schwarzen Listen der Alliierten – fügte er sich nach dem Krieg schlank ins antikommunistische Abwehrdispositiv des Kalten Krieges ein. Behilflich war ihm dabei auch William J. Donovan, Geheimdienstkoordinator unter Franklin D. Roosevelt. Bührle konnte nun an die USA Pulverraketen für den Koreakrieg liefern. Mit einem Vermögen von rund 150 Millionen Franken war Bührle 1950 der reichste Mann der Schweiz.
Seine Kunstsammlung wuchs, parallel zum Vermögen, bis zu seinem Tod 1956 auf über 600 Bilder und Skulpturen. Die Sammlung wurde einerseits durch den Ertrag der Waffenverkäufe möglich, andererseits wegen der tödlichen Naziverbrechen, die sie mit befeuerten. «Bührle profitierte nicht nur von den Chancen, die sich aus der Auflösung und Enteignung jüdischer Sammlungen ergaben, sondern auch von der Neuordnung des internationalen Kunstmarkts in der Nachkriegszeit, die teilweise ein Ergebnis dieser Verfolgungen war», heisst es in der Studie.
Der Bericht thematisiert auch neue Details zur Verbindung von Sammlung und Kunsthaus. «Die Geschichte von Bührle», so Leimgruber an der Pressekonferenz, «lagert seit Beginn des Zweiten Weltkrieges gewissermassen im Keller des Kunsthauses.» War Bührle 1940 als Mäzen in die Sammlungskommission eingetreten, finanzierte er den ersten Erweiterungsbau mit sechs Millionen Franken. Über die Kunst fand Bührle Eingang in die Zürcher Elite.
Besonders brisant in diesem Zusammenhang: Der Präsident der Kunstgesellschaft, der Bankier Franz Meyer-Stünzi, sowie der Quästor Emil Friedrich sympathisierten mit den Nazis. Sie unterzeichneten die «Eingabe der 200», die vom Bundesrat einen Maulkorb für nazifeindliche Zeitungen forderte. Als die Petition 1946 skandalisiert wurde, verteidigte Bührle, der die Eingabe wohlweislich nicht unterzeichnet hatte, Meyer-Stünzi: «Die uneingeschränkte Unterstützung, die Bührle dem Präsidenten bot, festigte seine Position in der Kunstgesellschaft», folgert der Bericht.
Dass sich das Kunsthaus bisher nie von sich aus bemühte, den Bührle-Komplex adäquat aufzuarbeiten, lässt eine einfache Erklärung zu: Es war schon immer Teil davon. Damit zur Betrachtung aus der Nähe, zur Kontroverse um die Einmischung und ihre Klärung durch die beiden Gutachten.
Entschuldigungen und Schweigen
«Freikorps», «Antisemitismus», «Zwangsarbeit»: Bei diesen historischen Begriffen brachten Mitglieder des Steuerungsausschusses Änderungsvorschläge ein, die vorerst von Leimgruber übernommen wurden. Der Ausschuss bestand aus VertreterInnen von Stadt und Kanton Zürich, des Kunsthauses, der Kunstgesellschaft und der Stiftung Bührle. Als besonders aktiv bei der Einmischung zeigte sich Stiftungsdirektor Lukas Gloor.
Er pochte darauf, dass der Begriff «Freikorps» aus dem Bericht gestrichen wurde, obwohl Bührle nach dem Ersten Weltkrieg mit einem solchen rechtsextremen Trupp unterwegs war, um sozialistische ArbeiterInnen zu jagen. Auch wollte Gloor einen Beschwerdebrief von Bührle an den «Nebelspalter» nicht als antisemitischen Ausfall bewertet sehen. Die Satirezeitschrift hatte Bührle zwischen Geldsäcken schlafend karikiert, Bührle beklagte sich über diese «fratzenhafte jüdische Vorstellung».
Die beiden Gutachten über die Studie kommen zum klaren Verdikt, dass die Einmischungen nicht tolerierbar seien. «Obwohl der Bericht im Allgemeinen der Best Practice der historischen Auftragsforschung folgt, sind die beiden Eingriffe nicht konform damit», schreibt Jakob Tanner, als emeritierter Geschichtsprofessor einer der Gutachter. Esther Tisa Francini, die am Museum Rietberg die Provenienzforschung leitet und das zweite Gutachten verfasst hat, fordert Leimgruber ebenfalls auf, den Antisemitismus klar zu benennen – auch wenn es die einzige bekannte Äusserung dieser Art sei. Leimgruber hat dies in der Schlussfassung denn auch getan.
Kommentare des städtischen Kulturdirektors Peter Haerle zu den Profiten von Bührle aus NS-Zwangsarbeit halten die GutachterInnen indes für korrekt. Einen pauschalen Vorwurf von Keller, Leimgruber habe wissenschaftlich unhaltbare Kommentare übernommen, lassen die GutachterInnen deshalb nicht gelten. Was nichts daran ändert, dass es nachweislich zu Einmischungen kam. Jakob Tanner kritisiert die Forschungsorganisation denn auch scharf, insbesondere die Einsetzung eines Steuerungsausschusses. «Als Regel gilt: je kontroverser das Thema, desto schwieriger die Zusammenarbeit mit einem solchen Gremium.»
Bei vergangenheitspolitischen Auseinandersetzungen in öffentlichen Streitzonen erhöhe ein politisch zusammengesetztes Begleitgremium stets das Reputationsrisiko: Die Auftraggeber würden unter Dauerverdacht stehen, sich einzumischen, die Forscherinnen wiederum, sich instrumentalisieren zu lassen. Trotz entsprechendem Druck wurde bei der Unabhängigen ExpertInnenkommission (UEK) zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg auf ein solches Gremium verzichtet. Tanner hält den Fall Bührle von der «historischen Tiefendimension» her für vergleichbar. «Aus meiner Sicht war es ein Fehler, eine Steuerungsgruppe einzurichten.» Dieses Eingeständnis machten an der Pressekonferenz auch Stadtpräsidentin Corine Mauch und Regierungsrätin Jacqueline Fehr.
Keinerlei Selbstkritik hingegen übte die Universität. Bereits im Sommer hatte sich Simon Teuscher, Vorsteher des Historischen Seminars, vor Leimgruber gestellt. Die übrigen ProfessorInnen bewahrten ein beredtes Schweigen. Vor den Medien präsentierte Prorektor Christian Schwarzenegger die Gutachten so, als hätte die Universität alles richtig gemacht. Die Kritik an den nachgewiesenen Einmischungen und der falschen Forschungsorganisation blendete er auch auf mehrfache Nachfrage aus.
Dabei könnte die Universität ihrem früheren wissenschaftlichen Mitarbeiter Keller durchaus dankbar sein. Es bleibt sein Verdienst, dass er mit der Konzeption des Berichts neue Forschungsfragen aufgeworfen hat, den Steuerungsausschuss problematisierte und die Beschönigungen durch die Bührle-Stiftung verhinderte. Auf Anfrage zeigt er sich zufrieden mit dem Ergebnis. «Ich habe mich zu Recht und mit Erfolg gewehrt. Passagen, die aufgrund der Eingriffe entfernt oder abgeschwächt wurden, sind nun weitgehend wiederhergestellt.»
Überhaupt hat die Kontroverse der Aufarbeitung des Bührle-Komplexes nicht geschadet. Die vorliegende Studie bedeutet einen historischen Sprung nach vorne. Dank der Gutachten kann nun auch eine öffentliche Diskussion darüber beginnen, wie die Ergebnisse vermittelt und die Forschung nun fortgesetzt werden kann.
Esther Tisa Francini schlägt vor, dass die Verflechtungen von Kunsthaus, Kunstgesellschaft und Sammlung Bührle vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart hinein untersucht werden. Jakob Tanner wiederum nimmt den Gedanken von Keller auf, den dieser schon in der ursprünglichen Konzeption des Berichts formuliert hatte: Auch die Geschichte der Provenienzforschung durch die Sammlung Bührle müsse untersucht werden. Nach welchen Überlegungen wurde die Sammlung in einen öffentlichen und einen privaten Teil aufgespalten, der heute die Räumlichkeiten der Privatbank IHAG schmückt? Welchen Kriterien folgte die Abklärung der Herkunft der Gemälde, und wie trugen sie zur Wertsteigerung der heute auf bis zu drei Milliarden Franken geschätzten Sammlung bei? Aufschluss darüber könnte nicht zuletzt das Bührle-Archiv geben, das nächstes Jahr ins Kunsthaus überführt werden soll. Erich Keller hat bereits ein Buch mit dem Titel «Das kontaminierte Museum» angekündigt.
Auszug der Kunstelite
Schliesslich hat der Konflikt einmal mehr gezeigt, wer das grösste Problem hat mit der Aufarbeitung der Bührle-Geschichte. Wie aus dem Forschungsbericht hervorgeht, haben nämlich das Kunsthaus, die Kunstgesellschaft sowie die Stiftung Bührle den Steuerungsausschuss verlassen, nachdem die Vorwürfe publik wurden. Hinter vorgehaltener Hand sagen mehrere Beteiligte, die Institutionen seien ob der Kritik beleidigt gewesen. Auf Anfrage beim Kunsthaus heisst es, man sei unzufrieden mit dem zeitlichen Verzug des Berichts gewesen und habe die Fertigstellung der Universität überlassen.
Um die Arroganz dieses Vorgangs zu begreifen, ein paar Zahlen: Die SteuerzahlerInnen der Stadt Zürich übernehmen 88 Millionen Franken für den Neubau des Kunsthauses. Die des Kantons tragen 30 Millionen Franken bei. Hinzu kommen Zuwendungen von Privaten. Auch das Forschungsprojekt – bescheiden mit 182 000 Franken ausgestattet – hat die öffentliche Hand finanziert. Obwohl sie sich selbst nie um eine historische Aufarbeitung gekümmert haben, nahmen die Kunstinstitutionen im Steuerungsausschuss Einsitz, angeführt von Walter Kielholz, dem Verwaltungsratspräsidenten der Kunstgesellschaft wie auch des Rückversicherers Swiss Re. Als Kritik an der Einmischung laut wurde, stahl sich die Zürcher Kunst- und Wirtschaftselite aus der Verantwortung.
Für die Vermittlung der Forschungsergebnisse wird künftig trotzdem das Kunsthaus in Eigenregie zuständig sein. Vorgesehen sind dafür offenbar keine eigenen Räume, sondern gemäss Auskunft Wandbeschriftungen, Audioguides, eine Onlinepräsentation und ein Buch. «Wir werden ein scharfes Auge haben, dass die Vermittlung umfassend geschieht», betonte Stadtpräsidentin Corine Mauch an der Medienkonferenz. So viel ist schon jetzt klar: Das Problem mit Bührle wird bleiben.