Königreich der Angst

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Königreich der Angst

«Was mich bis heute an der Politik reizt: die Diskussion gegen den Mainstream. Darum finde ich die SVP so interessant»: Alexander Segert.

Er ist eine der einflussreichsten und umstrittensten politischen Figuren der letzten zwanzig Jahre. Dabei ist er ein Werber, kein Politiker. Alexander Segert lehrte die Schweiz mit seinen Plakaten für die SVP einst das Fürchten, heute gilt er als verschwiegener Hintermann der AfD-Parteispendenaffäre.

Von Carlos Hanimann (Text) und Helmut Wachter (Bilder), 07.11.2020

«Links abbiegen!», quäkt das Navigations­gerät, «links abbiegen», aber Alexander Segert dreht nach rechts. Eben haben wir noch darüber gesprochen, wie er es findet, dass sein Sohn an den Black-Lives-Matter-Protesten teilnimmt, und wie es seine Kinder finden, wenn der Papi auf Plakaten wieder einmal die Schweiz unter­gehen lässt, als Segert merkt, dass er zu weit gegangen ist. «Wir hätten eine Ausfahrt früher rausmüssen.»

Er wendet den schwarzen Gelände­wagen, fährt zurück zur Autobahn und sagt: «Ich mag die politisch kontroverse Diskussion.»

Wir befinden uns auf dem Weg nach Windisch im Kanton Aargau, wo trotz Pandemie gleich 400 Delegierte der SVP zusammen­kommen und einen neuen Partei­präsidenten wählen werden. Segert fährt hin, um Kampagnen­material unter die Leute zu bringen. Der Wagen ist bis oben voll mit Plakaten, Flug­blättern und Broschüren: Eine rote Hand greift in ein Portemonnaie. Das Sujet warnt vor dem «teuren Vaterschaftsurlaub».

Der Regen prasselt hart auf die Windschutz­scheibe, und Segert, der gebürtige Hamburger, sagt: «In Deutschland ist es nicht mehr möglich, kontrovers zu diskutieren. In der Schweiz geht das noch, aber ich kriege auch hier langsam ein beklemmendes Gefühl. Darum bin ich froh, dass wir miteinander reden, dass Sie verstehen wollen, was hinter dem Segert steckt.»

Dann drückt uns eine unsichtbare Kraft in den Sitz, Segert reisst das Lenkrad rum und sagt: «Iiiirgh, sorry!» Wir sind der Leitplanke bedrohlich nahe gekommen.

Segert kurvt weiter durch den Aargau auf der Suche nach der SVP, und wir streiten über Cancel-Culture, das aktuelle Lieblings­thema aller Rechten. Segert sagt, er kenne viele Leute, die sich nicht mehr zu sagen trauten, was sie denken. Und ich sage, dass ich es ganz gut fände, wenn die Leute Angst hätten, gewisse Dinge zu sagen, die sie früher ohne Hemmungen sagten. Das wiederum findet Segert gar nicht gut, er schleudert mir ein «Hallo?!» entgegen.

«Finden Sie es etwa richtig, dass man nicht mehr alles sagen darf?»

«Man darf schon», antworte ich. «Aber wenn jemand am Stammtisch unbedingt ‹Neger› sagen will, dann muss er halt damit rechnen, dass ich ihm das Bier über den Kopf giesse.»

«Ich finde, das geht zu weit», sagt Segert.

«Das ist mir schon klar.»

«Keine Gewalt, Herr Hanimann, keine Gewalt.»

Ich zögere. Dann gebe ich zu, dass das Ausgiessen von Getränken aus einer demokratie­politischen Warte nicht zu den besten Argumenten zählt, aber dass ich persönlich eine gewisse Toleranz dafür entwickelt hätte. Segert nimmt den Blick von der Strasse, schaut zu mir und fragt: «Muss ich jetzt Angst haben?»

Dann beginnt er zu lachen. Ich wünschte, ich lachte nicht mit.

1. Mann im Hintergrund

Kaum jemand kennt Alexander Segert, aber jeder kennt seine Plakate: weisse Schafe, die ein schwarzes aus der Schweiz kicken; eine voll verschleierte Frau und Minarette, die die Schweiz durch­stossen; schwarze Stiefel, die über die Schweiz trampeln; dunkle Hände, die nach Schweizer Pässen gieren; Südländer, die die Schweizer Fahne aufschlitzen, um sich Zutritt zu verschaffen.

Segert ist kein Politiker. Aber seine Plakate für die SVP haben die Politik der letzten zwanzig Jahre nachhaltig verändert. Sie klingt heute schriller, die Debatten sind schärfer, die Kampagnen aggressiver – Segert hat wesentlich zur Polarisierung der Schweiz beigetragen. Wer heute SVP sagt, meint fast immer auch Segert und seine Plakate.

Der Einfluss des SVP-Werbers beschränkt sich nicht auf die Schweiz: Mehrere rechts­populistische Parteien und rechts­extreme Gruppierungen in Europa haben seine Sujets übernommen. Einige baten den Werber um Beratung, viele kopierten seine Plakate, ohne zu fragen.

Wer also ist der Mann, der seit zwei Jahrzehnten die Geschicke einer kleinen PR-Agentur im Zürcher Weinland lenkt und von dort aus Rechte in ganz Europa begeistert?

Ist Alexander Segert ein Ideologe, der am Zusammen­schluss der europäischen Rechten arbeitet, wie manche vermuten? Oder ein Opportunist, der seine Dienste an den Höchst­bietenden verkauft?

Anfang Jahrtausend, als er seine grössten Erfolge hatte, gab Segert gerne Auskunft. Er empfing die Journalisten zu Interviews, teilte Kommunikations­tipps, machte Werbung in eigener Sache.

Heute gilt Segert als verschwiegen und schwer zu sprechen. Um seine Agentur, seine Kunden und seine Verbindungen zu Rechts­populisten in Europa ranken sich Gerüchte. Spätestens seit Segert in der Partei­spenden­affäre der deutschen Rechts­aussen­partei AfD als undurchsichtiger Hinter­mann beschrieben wurde, ist er zurück­haltend geworden darin, Journalisten an sich heranzulassen.

Es brauchte denn auch einige Anläufe, bis Segert zunächst einem informellen Gespräch zustimmte und der Republik später auch aufgezeichnete Interviews gab.

«Ich bin mir selber nicht ganz sicher, warum ich diese Arbeit mache», sagte Segert bei einem dieser Treffen. «Darum rede ich mit Ihnen: weil solche Gespräche immer zur Selbst­reflexion anregen.»

Derzeit weibelt Segert im Auftrag der SVP gegen die aussichts­reiche Konzern­verantwortungs­initiative. Zuvor arbeitete seine Agentur monatelang an der Kampagne zur Begrenzungs­initiative. Das halbe Land plakatierten er und die SVP mit einem dicken EU-Hintern voll, der die Schweiz erdrückt. Doch an der Urne scheiterten die National­konservativen kläglich: 38,3 Prozent Zustimmung – ein Debakel, das niemand schönreden konnte.

Das Schlimmste für Segert: Niemand sprach über seine Kampagne. Der einzige Aufreger war ein rassistisches Video, in dem ein Mädchen durch den angeblichen Sünden­pfuhl Zürich spaziert. Produziert hatte es aber nicht Chefwerber Segert, sondern Hobby­filmer und Nationalrat Thomas Matter mit der undurchsichtigen Stiftung für bürgerliche Politik.

Letzten Frühling sagte mir Segert noch selbstbewusst, gutes Campaigning gründe auf Erfahrung und Gespür: «Man muss einschätzen können, wie die Menschen wirklich ticken.» Nach der jüngsten Schlappe vom 27. September stellt sich die Frage: Hat der Mann, der die Schweizer Politik einst das Fürchten lehrte, seinen politischen Instinkt verloren?

2. Rechte Sekte

Alexander Segert, 57, braune Lederjacke, Seiden­foulard, Bluejeans, halbhohe Stiefel, steht auf dem Sechseläuten­platz in Zürich und versucht einen Regen­schirm zu öffnen, der immer wieder zuklappt. «Werbegeschenk», spottet er.

Es ist ein Donnerstagnachmittag im Frühling 2020. Die Corona-Pandemie hat Touristinnen und Shopper aus der Altstadt vertrieben. Der Lockdown sitzt allen in den Knochen. Ein kalter Aprilregen fällt vom Himmel. Wir spazieren durch die engen Gassen und plaudern über die Pandemie, die Rolle des Bundesrats und die Frage, ob die grosse Verunsicherung in der Bevölkerung der SVP nützen oder schaden wird, als Segert anfängt, die Entwicklung hin zu einer «Jammer­gesellschaft» zu kritisieren, die sich sofort beklage, wenn sie sich nur ein wenig einschränken müsse.

«Meine Mutter», erzählt Segert, «lebte fünf Jahre in sowjetischer Kriegs­gefangenschaft. Sie wusste nie, ob sie genug zu essen kriegen würde. Sie wurde über Minen­felder geschickt, Hand in Hand mit dem Nachbar. Da war die Frage: Trete ich auf eine Mine oder der andere? Da war die Frage: Werde ich heute einmal oder zweimal vergewaltigt? Leute wie meine Mutter haben trotzdem eine Familie gegründet und sind glücklich geworden. Aber wir jammern rum, wenn wir uns ein paar Wochen lang weniger bewegen dürfen? Auch wenn Corona vielen Menschen viel Leid zugefügt hat, haben wir doch den Bezug zum Leben verloren.»

Alexander Segert wurde 1963 als jüngstes von drei Kindern in Hamburg geboren. Die Eltern waren kaufmännische Angestellte. Durch­schnittlicher Mittelstand, eher konservativ – «nichts Bewegendes», sagt Segert. Er studierte Germanistik und Geschichte in Konstanz, schloss das Studium in Zürich ab. Dass er Deutschland Mitte der Achtziger­jahre verliess, begründete er einmal mit dem politischen Klima in Europa, das ihn zunehmend an die Sowjetunion erinnert habe.

Deutschland unter Helmut Kohl auf dem Weg in den Sozialismus?

Heute sagt Segert, Deutschland sei verschlafen gewesen, die Schweiz prosperierend, «eine tolle Adresse!». Darum habe er sich Mitte der Achtziger­jahre an der Universität Zürich eingeschrieben. «Was ich immer phänomenal fand, war der Schweizer Eigensinn: nicht links, nicht rechts, sondern eben – Eigensinn.»

Eine andere Erklärung für den Umzug in die Schweiz bietet der emeritierte Literatur­professor Michael Böhler, bei dem Segert 1991 die Uni abschloss. Zürich sei in den Achtziger­jahren für zwei Dinge bekannt gewesen: den Platzspitz und die «Lieblinge».

Der anarchistisch angehauchte Psychologe Friedrich Liebling hatte die «Zürcher Schule für Psycho­therapie» geprägt und eine grosse und treue Anhängerschaft versammelt, die nach seinem Tod 1982 in einer Art autoritärer Sekte aufging, dem Verein zur Förderung der Psychologischen Menschen­kenntnis, kurz: VPM.

«Die einen gingen in die Drogen», erzählt Professor Böhler am Telefon, «die anderen zum VPM.»

Mit Drogen hatte Segert nichts zu tun. Sein ganzes Leben hat er sich dagegen eingesetzt: zunächst als Mitglied beim VPM, der alles «Rauschgift» verteufelte; dann in den frühen Neunziger­jahren als Redaktor des Anti-Drogen-Bulletins «Alarm» von Ulrich Schlüer; und heute als Sekretär der parlamentarischen Gruppe Drogenpolitik, die von der Polizistin und SVP-National­rätin Andrea Geissbühler geführt wird.

Als Segert Ende der 1980er-Jahre mit dem VPM sympathisierte, wähnte der Verein bereits überall «Gesinnungs­terror», «Unter­wanderung» und «Denunziation» und rief in Inseraten zur Gegen­wehr gegen «linksmilitanten Aktivismus» auf. Segert unterschrieb 1991 einen öffentlichen Protest­aufruf gegen den späteren «Weltwoche»-Journalisten Eugen Sorg, der ein Buch über die Umtriebe des VPM veröffentlicht hatte. Der unterzeichnende Segert prangerte dessen Recherche als «Hasstirade und Lügen­konstrukte» mit an.

Heute sagt Segert, seine Verbindungen zum VPM würden schwer missverstanden. «Ich war nie ‹in den Fängen des VPM›. Auch das Etikett ‹rechte Psychosekte› kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Ich habe mich nie wie in einer Sekte gefühlt und wurde auch nie so behandelt. Ich war während der Studienzeit Mitglied, und beim Austritt erhielt ich die Hälfte des Jahres­vereinsbeitrags erstattet.»

Die ersten Kontakte zum VPM hatte Segert bereits als Jugendlicher geknüpft. «Die halfen mir in der Schule, brachten mir Lerntechniken bei. Ohne diese Leute hätte ich das Abitur nicht bestanden.» In Zürich habe er seine Beziehungen weiter gepflegt, während des Studiums in Lesegruppen «alle Anarchisten rauf- und runtergelesen». Das fand er bereichernd.

Dass der VPM als «rechte Psychosekte» galt, dass er wegen autoritärer Tendenzen kritisiert wurde oder dass seine Mitglieder bei Journalisten einbrachen, um Buch­manuskripte zu klauen – das alles entlockt Segert dreissig Jahre später nur ein Schulter­zucken. Das habe er nicht mitbekommen. An das Inserat gegen den Journalisten Sorg kann er sich nicht erinnern, die Beschreibung des VPM als «Sekte» hält er für einen politischen Kampf­begriff. Für ihn sei der VPM vor allem eine Organisation gewesen, die ihm als werdendem Lehrer Weiter­bildungen ermöglicht habe. «Ich möchte meine Zeit beim VPM nicht negieren», sagt Segert. «Darum distanziere ich mich auch nicht davon. Das gehört zu meinem Leben.»

3. Aufklärung und Kontroverse

Die Universität schloss Alexander Segert mit einer Lizenziats­arbeit über Heinrich Heine ab: «Die Rehabilitation der Aufklärung». «Eine gute Arbeit», sagt sein damaliger Betreuer, der Literatur­professor Michael Böhler. Segert habe den Schrift­steller Heine, der gemeinhin als Romantiker galt, zwischen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und der Dialektik der Aufklärung bei Horkheimer/Adorno verortet. Als «intelligent und sinnvoll» bezeichnet Böhler den Ansatz. «Segert bewies ein hohes Niveau in der Erfassung der Aufklärungs­problematik», sagt er und staunt, wohin sich der stets korrekt und bieder auftretende Segert entwickelte. «Umso eklatanter der Widerspruch zu seinem späteren Auftauchen und Wirken in der radikal gegen­aufklärerischen ultrarechten Szene.»

Frage an Segert: Aufklärung im Studium, Gegen­aufklärung als Werber der Rechten. Wie passt das zusammen?

Segert lächelt.

«Die Frage ist, was man unter Aufklärung versteht», sagt er. «Für mich ist es der Glaube und die Freude an der Kontroverse. Und der Wunsch, dass aus der Kontroverse etwas Neues entsteht. Deshalb diskutierte ich als 15-Jähriger bis morgens um fünf Uhr mit meinen Eltern über Sinn und Unsinn des Kommunismus. Darum fand ich den VPM bereichernd, wo wir viel gelesen haben. Das ist es auch, was mich bis heute an der Politik reizt: die Diskussion gegen den Mainstream. Darum finde ich die SVP so interessant. Ich habe Freude daran, gegen den Strom zu schwimmen.»

«Ist es nicht die Lebenslüge der Rechten», frage ich, «dass sie gegen den Mainstream kämpfen? Die Schweiz ist stockbürgerlich, die SVP die stärkste Partei – mehr Mainstream geht nicht.»

«Ist es nicht die Lebenslüge der Linken», fragt Segert zurück, «dass die Schweiz bürgerlich sei?»

«Was ist sie denn sonst?»

«Schauen wir uns die letzten Abstimmungen vom 27. September an: Hallihallo! Schauen wir uns die Parlaments­wahlen von 2019 an: Hallihallo! Da haben nicht die Rechten gewonnen. Es ist ein grosser Erfolg der Linken, dass sie das Feindbild aufrecht­erhalten können, wonach die Schweiz ein Hort des Bürgerlichen und Konservativen sei. Aber schauen Sie doch mal, wer im Parlament den Ton angibt: Christian Levrat war praktisch der achte Bundesrat! Wer führt das Zepter im Bundeshaus? Die SP! Trotzdem machen die Linke und die NGOs alle glauben, sie kämpften gegen den grossen kapitalistischen Feind. Dabei gibt es den längst nicht mehr. Oder zumindest sitzt er nicht an den Schalt­hebeln der Macht. Wer in der Schweiz das Sagen hat, ist die Linke.»

Ich muss lachen.

«Ja, das hören Sie als Linker natürlich nicht gern», fährt Segert fort. «Das greift Ihre Identität an. Die Linken rechtfertigen ihr Handeln, indem sie sich als Underdog, als Outlaw inszenieren: Ich muss auf die Strasse gehen, weil ich in der Minderheit bin. Das ist eine der besten Kommunikations­lügen, die die Linken aufgebaut haben.»

«Sie glauben das im Ernst, ja?»

«Sie glauben das ja auch im Ernst.»

4. Angst und Schrecken aus Andelfingen

Sein erstes Plakat gestaltete Alexander Segert für die SVP-Regierungs­rätin Rita Fuhrer. Ein warmes, weich gezeichnetes Gesicht, eine angedeutete Blume im Hinter­grund. Der Slogan: «schafft menschliche Nähe». Und ganz klein, drei grüne Buchstaben: SVP.

«Wenn man Kampagnen für die SVP führt, muss man sich bewusst sein, was das SVP-Label auslöst», sagte mir Segert bei einem Gespräch über Campaigning. «Für viele ist gleich klar: SVP – nein! Da fängt sofort das Denkverbot an.»

Nach seinem Studium war Segert für kurze Zeit Lehrer. Dann stieg er bei der PR-Agentur von Hans-Rudolf Abächerli ein, der späteren Goal AG. Abächerli hatte schon seit 1979 eng mit Christoph Blocher für die Zürcher SVP gearbeitet. Bei ihm, «dem Doyen der politischen Kommunikation», lernte Segert sein Handwerk. Bis heute steht ihm der 92-jährige Abächerli hin und wieder mit Rat zur Seite.

1993 schaltete die SVP das berüchtigte Messerstecher-Inserat, eine Erfindung aus dem Hause Abächerli, laut Blocher das beste Sujet der Partei­geschichte: Ein schwarzer Schatten sticht auf eine Frau ein. Slogan: «Das haben wir den Linken und den ‹Netten› zu verdanken: mehr Kriminalität, mehr Drogen, mehr Angst.»

«Ein in seiner Wirkung unheimlich brutales Inserat», sagt Segert rück­blickend. Aber es folgte ganz der Linie von Segerts Vorgänger Abächerli: aggressiv, auf den politischen Gegner gezielt, skrupellos. Abächerli soll einmal gesagt haben: Ein Plakat müsse man nach zwei Sekunden verstehen, sonst sei es wertlos. Bis heute ist es das Credo von Alexander Segert.

Ulrich Schlüer, ehemaliger SVP-Nationalrat und Verleger der rechts­nationalen «Schweizerzeit», sagt über Abächerli: «Er war mehr als ein Werber: Er war einer der besten Polit­strategen der Schweiz.» Abächerli habe an Partei­sitzungen teilgenommen, gemeinsam mit Blocher Strategien festgelegt und darauf geachtet, dass sie umgesetzt wurden. «Abächerli war ein schöpferischer Mensch. Das ist Segert auf seine Art auch», sagt Schlüer am Telefon. «Die Goal AG war immer wichtig für die SVP: Sie hat verstanden, was die Partei wollte. Insbesondere die Vorhaben von Christoph Blocher hat die Agentur sehr genau umgesetzt. Goal und SVP passten ideal zusammen.»

Von Beginn an überschritten die SVP-Kampagnen unter Zürcher Führung Grenzen: des guten Geschmacks, des demokratischen Rahmens, der Redlichkeit. Sie setzten dabei auf Mittel, die auch die Nazis verwendet hatten: Politische Gegner wurden mit Läusen, Ratten und Würmern verglichen, Grafiken verzerrt, Ausländer als Verbrecher, gierige Eindringlinge und Messer­stecher verunglimpft.

1991 etwa zeichnete die SVP Grüne und Sozial­demokraten auf Inseraten als Filzläuse. 1998 forderte sie: «Kosovo-Albaner Nein» (klein und abgesetzt stand «Kontaktnetz für» auf dem Plakat). 2004 griffen dunkle Hände nach Schweizer Pässen. Im gleichen Jahr nagten rote Ratten an einem Portemonnaie. 2007 kam das Schäfchen-Plakat, 2009 das Minarett-Plakat. 2014 trampelten schwarze Stiefel in die Schweiz («Massen­einwanderung»). 2019 umschlang ein blauer Krake die Schweiz, und «linke und nette» Würmer zerstörten die Schweiz.

Die Kuratorin Bettina Richter sagte anlässlich einer Ausstellung von SVP-Plakaten, sie seien «eine Art visuelle Vergewaltigung». Die SVP knüpfe «eindeutig an die polarisierende Feindbild­propaganda der politischen Plakate der Weltkriegs­jahre an». Schwarz-weisse Fotomontagen mit roter Signal­farbe. Die SVP habe diese Farben mit neuer Symbolik versehen: «rot-weiss für die Schweiz, schwarz für die bösen Eindringlinge».

Auch Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, erinnerten die Minarett-Plakate von Segert an die Dreissiger­jahre, wie er 2009 in einem Interview sagte. Loewy war zuvor von einem FPÖ-Politiker, für den Segert die Wahl­kampagne machte, antisemitisch angegriffen worden. «Die Tschador­figur», sagte Loewy mit Blick auf das Minarett-Plakat, «knüpft insofern an antisemitische Klischees an, als sie die ‹Verschlagenheit› des anderen ins Spiel bringt.»

Ein Plakat, das nicht innert zweier Sekunden verstanden wird, ist wertlos: Segert mit einem seiner Werke.

Alexander Segert mag solche Kritik nicht hören. Mal gibt er den Ahnungs­losen («Wir haben die Ratte gewählt, ohne zu wissen, dass das Bild von den Nazis verwendet wurde»), mal gibt er einen Vorwurf zurück («Rassis­muskeule»). «Tiersymbole werden von links bis rechts immer wieder verwendet», sagt Segert, «weil viele Tiersymbole konkrete Assoziationen hervorrufen. Denken Sie zum Beispiel an den ‹Miet-Hai›, den die Linke immer wieder benutzt.»

Als ich ihn fragen will, wie er sich von Rechts­aussen abgrenze und welche Verbindungen er zu rechts­extremen Parteien unterhalte, reagiert er eingeschnappt und bricht den Kontakt vorüber­gehend ab: «Müllfragen», schreibt er in einer Mail.

Später reden wir dann doch noch über die fremden­feindliche und ausgrenzende Bildsprache seiner Plakate. Er sagt: «Mir geht es darum, der Angst eine Stimme zu verleihen. Wenn wir ein Problem mit hoher Ausländer­kriminalität haben, dann muss man darüber sprechen können – ohne dass gleich der Vorwurf Rassismus kommt. Das sind ja Realitäten. Die Gegner meiner Kampagnen holen die ‹Rassismus­keule› heraus, weil sie keine Argumente haben.»

So geht Segerts Logik, so geht die Logik der meisten Rechts­populisten: Erst Angst schüren und dann die Angst zum Thema machen. In einem Interview sagte Segert einmal, er finde es legitim, die Angst zu nutzen, um eine politische Botschaft unter die Leute zu bringen. Als ich ihn darauf anspreche, sagt er: «Wissen Sie, so funktionieren Kampagnen nun mal: Man spricht Emotionen an. Sie sprechen über Emotionen, als wären sie etwas Schlechtes. Natürlich ziele ich auf das Bauch­gefühl. Kommunikation funktioniert nur so. Die Frage ist: Welche Gefühle kann man in einer politischen Kampagne ansprechen, ohne dass man sich mit jedem Wähler zwei Monate lang hinsetzen muss, um ihm eine Vorlage zu erklären? Da ist Angst ein unheimlich tolles Gefühl.»

Angst – ein tolles Gefühl?

«Ich meine das positiv», fährt Segert fort. «Wir haben uns heute die Hand nicht gegeben, wir halten Abstand – weil wir Angst haben, uns mit Corona anzustecken. Wir gehen bei Rot nicht über die Strasse, weil wir Angst haben, überfahren zu werden. Nur weil wir Angst haben, sind wir überhaupt hier. Angst ist also ein unglaublich positives Gefühl für uns Menschen: Es sichert unsere ganze Existenz.»

Die Angst: Sie ist Segerts zentrales Motiv. Aber ist es wirklich die Angst, die uns am Leben hält? Oder nicht eher die Vernunft?

«Segert meint, er transportiere in prägnanten Bildern die Angst des ‹Volkes›», sagt sein ehemaliger Professor Michael Böhler. «Aber es ist natürlich seine eigene Angst, die er abbildet. Und aus dieser Angst wurde er der, der er heute ist.»

5. Europäische Avantgarde

Segerts grösster Erfolg, sagt sein einstiger Förderer Ulrich Schlüer, sei das Minarett-Plakat gewesen. Weil er damit eine Debatte über den Islam in der Schweiz ausgelöst habe, die für den Abstimmungs­sieg mitentscheidend war. Seither ist der Bau von Minaretten untersagt.

Segerts berühmtestes Plakat aber ist «das Schöfli-Plakat», wie er es selber nennt. «Ich fand es sehr gut, weil es funktionierte: Jeder hat es verstanden. Jeder kennt die Metapher vom schwarzen Schaf. Es war ein Plakat mit Augenzwinkern.»

Ein Plakat mit Augenzwinkern?

Ende August 2018 marschieren in Chemnitz Tausende Neonazis durch die Stadt, verfolgen und verprügeln Menschen, die sie für Ausländer halten, und skandieren Parolen wie «Adolf Hitler Hooligans». Mittendrin hält die Jugend­gruppe der neonazistischen NPD ein Transparent hoch: Weisses Schaf kickt schwarzes Schaf, darüber die Aufschrift «Ausländer raus!».

Jeder kennt die Metapher des schwarzen Schafs.

Der Historiker Damir Skenderovic, führender Schweizer Experte in Sachen Rechts­populismus, sagt: «Die zentrale Message von Segerts Plakaten ist: gegen Muslime, gegen Schwarze, gegen Ausländer. Die Botschaft ist immer dieselbe: Islamophobie und Rassismus – ikonografisch erfunden und umgesetzt in der Schweiz, exportiert nach Europa.»

Die zweite Hälfte der Nuller­jahre sind Segerts erfolgreichste Zeit: Die SVP ist die dominierende Kraft, bei Wahlkämpfen werfen die Nationalkonservativen mit Millionen um sich, auch die Goal AG gehört zu den Empfängerinnen der berüchtigten Barzahlungen der Partei. Segerts Plakate wirken über die Grenzen hinweg, islamophobe Rechtspopulisten in ganz Europa orientieren sich am Erfolg der SVP und an ihrer Bildsprache: Der rechts­extreme Front National wirbt 2010 in Frankreich mit einem kopierten Minarett-Plakat «gegen den Islamismus», im gleichen Jahr übernimmt es auch die rechtsextreme Kleinpartei «Pro NRW» im Wahlkampf.

Beide Parteien tun dies ohne Autorisierung der Goal AG, wie Segert sagt. Er habe weder das Schaf- noch das Minarett-Plakat je verkauft, auch wenn das vielerorts anders kolportiert worden sei – nicht dem Front National, nicht dem Vlaams Belang, nicht der AfD und schon gar nicht der NPD. Es hätten verschiedene Gruppen seine Sujets übernommen und für ihre eigenen Zwecke angepasst. Zu Beginn habe er das begrüsst, denn es habe bedeutet, dass das Sujet ankam – bei Linken, bei Fussballfans. «Als dann aber Parteien wie die NPD kamen, war das ein Image­schaden. Die Leute fragten mich: Habt ihr denen das verkauft? Und ich musste mich ständig rechtfertigen. Dass ich das denen verkauft hätte – wie kann man nur so etwas von mir denken?»

6. Kommunismus und Black Lives Matter

Alexander Segert stand nicht immer rechts. In seiner Jugend in Hamburg war er mehrere Jahre engagiertes Mitglied der sozialistischen Arbeiter­jugend, der Jugend­gruppe der Kommunistischen Partei. «Ich war auf Kader­schulungen und wurde von der Partei gefördert», erzählt Segert, als wir uns im September 2020 in seinem Büro in der Nähe des Bahnhofs Zürich treffen.

Wobei: Was heisst hier «sein» Büro?

Es ist ein merkwürdiger Ort, an dem er Gäste empfängt, denen er nicht über den Weg traut. Das Büro ist leer, eine Ahnung von kaltem Rauch hängt in der Luft, auf dem Tisch sieht man die Überreste eines schnellen Mittag­essens: Brotkrumen und eine halb leere Cola-Flasche. Nichts hier ist persönlich, nichts weist auf Segert hin oder auf seine Agentur. Nicht einmal auf dem Diplom an der Wand steht Segerts Name – als wäre hier nichts Sein und alles Schein.

Er sei bloss zur Untermiete hier, sagt Segert. Für unkomplizierte Treffen in Bahnhofs­nähe. Andelfingen aber, wo Segert lebt und wo er seine Agentur hat, ist tabu.

Eine Vorsichts­massnahme, sagt Segert. Dasselbe sagte er auch, als der Fotograf seine Ankunft an der SVP-Delegierten­versammlung in Windisch festhalten wollte: «Bitte keine Bilder vom Wagen. Den haben sie mir schon einmal angezündet.»

Das war 2011. Segert und seine Frau, die heutige SVP-Bundes­richterin Alexia Heine, hatten Gäste zu sich nach Andelfingen eingeladen. In der Nacht weckte sie ein Feuer: Segerts schwarzer Mercedes der G-Klasse brannte vollständig aus. Linksextreme vermeldeten den Brandanschlag kurz darauf online.

Farbanschläge war sich Segert schon gewohnt. Immer wieder sei das Büro, das sich damals in Dübendorf befand, verschmiert worden. «Aber ein Anschlag zu Hause, wo meine Familie lebt? Das hat mich erschüttert. Hätten wir den Brand nicht bemerkt, hätte fünf Minuten später das ganze Haus gebrannt.» Segert liess eine Mauer ziehen und Kameras installieren. Heute hält er Wachhunde zum Schutz. Journalistinnen müssen draussen bleiben.

Segert empfängt mich nun also in diesem fremden Büro, weil ein links­extremer Anschlag ihn hat vorsichtig werden lassen, und er erzählt von seiner Jugend als Kommunist: «Sie müssen sich vorstellen, meine Mutter war jahrelang in sowjetischer Kriegs­gefangenschaft gewesen, und dann kam ihr Sohn daher, schwärmte von Moskau und erklärte seinen Eltern in nächte­langen Diskussionen, dass der Kommunismus das Grösste sei. Ich rechne ihnen das heute hoch an, dass sie mich nicht hochkant rausgeworfen haben.»

Segert erzählt freimütig von der Geduld seiner Eltern, obwohl er sonst zurück­haltend mit Privatem umgeht. Vielleicht liegt es daran, dass er diesen Sommer selber einiges an elterlicher Geduld aufbringen musste. Sein erwachsener Sohn, adoptiert aus Nordafrika, Hautfarbe «noch etwas dunkler als Sie», nahm nach dem Tod von George Floyd in den USA an den Schweizer Black-Lives-Matter-Protesten teil und forderte damit auch den Vater, den Werber der SVP, heraus.

«Wir haben immer diskutiert zu Hause. Mit beiden Kindern. Die haben auch immer wieder erzählt, dass sie auf meine Plakate angesprochen wurden: War das wieder dein Papi? Vor allem mit dem Sohn habe ich kontroverse Diskussionen geführt. Dass er an diesen Demos war, fand ich gut. Ich war ja früher auch auf Demos. Aber natürlich lief das alles nicht ohne Konflikte ab.»

Segert spricht anerkennend über den Widerstand in der eigenen Familie. Das passt zu seiner Faszination für die Pole, die Provokation, das Nonkonforme. «Mir gefallen pointierte Aussagen, egal ob von links oder rechts», sagte Segert 2005 dem «Magazin». Heute nennt er das: «Freude an der Kontroverse». Bei seiner Arbeit als Werber stehe seine Welt­anschauung nicht im Vorder­grund. «Ich bin kein Gesinnungs­täter. Ich will die Welt nicht bekehren. Ich fahre vielmehr darauf ab, kommunikative Knack­nüsse zu lösen. Ich mache politische Werbung, so wie andere Kreuzwort­rätsel lösen.»

Ist das Koketterie?

Vielleicht. 2017 aber trat er den Beweis dafür an und gestaltete ein Plakat im Auftrag der Sozial­demokraten: Fabian Molina engagierte den SVP-Werber für eine Kampagne gegen eine Verkehrs­initiative der Zürcher SVP.

In Hamburg Mitglied einer kommunistischen Jugend­gruppe, in Zürich Sympathisant einer rechten Psychosekte, heute Chefwerber der wähler­stärksten Partei der Schweiz – Alexander Segert, der Konvertit. Was hat ihn zu diesem radikalen Wandel getrieben?

Kein Schlüsselerlebnis, keine Erweckung, eher «ein schleichender Prozess», sagt Segert. «Ich habe Geschichte studiert. Daher kommt meine Hoch­achtung für die Entwicklung der Menschen.» Im Mittelalter sei die Menschheit quasi vor sich hinvegetiert, und heute hätten wir ein unwahrscheinliches Ausmass an Freiheit zur persönlichen Entfaltung. Leider sehe er diese Entwicklung bedroht, sagt Segert. «Man geht liederlich mit der Geschichte um und will alles vom Sockel hauen, was vor zweihundert Jahren noch normal war. Aber wir können nicht alles aus dem Geschichts­bewusstsein verbannen.»

7. Deutsche Affären

Im Herbst 2016 lässt das Nachrichten­magazin «Der Spiegel» eine Bombe platzen: Es berichtet über eine «Swiss Connection der AfD». Lange war gerätselt worden, wer die rechts­populistische AfD finanziert. Und im Gegensatz zur Schweiz gibt es in Deutschland ein Partei­spenden­gesetz, das unter anderem Geld- und Sachspenden aus dem Nicht-EU-Ausland verbietet. «Der Spiegel» war der Spur des Geldes gefolgt und dabei in der Schweiz gelandet. Genauer: in Andelfingen bei der Goal AG von Alexander Segert.

Seither haben sich viele politische Beobachter und Journalistinnen gefragt: Welche Rolle hat der SVP-Werber bei der Finanzierung und der Unter­stützung der deutschen Rechts­aussen­partei AfD gespielt?

Die Antwort aus Andelfingen war stets: kein Kommentar. Eine einzige Stellungnahme veröffentlichte die Goal AG zur AfD-Affäre. Sie erschien im Sommer 2018. Darin hielt Segerts Agentur fest, sie arbeite nicht mit der AfD zusammen. «Die Goal AG hat noch nie für die AfD gearbeitet oder einen Auftrag von der AfD erhalten.»

So korrekt der Wortlaut der Medien­mitteilung gewesen sein mag, so sehr führte sie in die Irre. Denn die ganze Geschichte über die «Swiss Connection der AfD» liegt in dem, was Segert nicht sagte. Es ist eine Geschichte über Formalitäten, Taschen­spieler­tricks und Schlupf­löcher im Gesetz.

Vier Jahre nach der ersten Enthüllung ist klar, dass mehrere finanzstarke Geldgeber – auch aus der Schweiz – die AfD finanziell unterstützten. Einige taten dies direkt: etwa der in Zürich wohnhafte Immobilien­unternehmer Henning Conle, der laut «Tages-Anzeiger» und anderen Medien der AfD-Spitzen­politikerin Alice Weidel eine Gross­spende hat zukommen lassen. Andere indirekt: etwa der im Thurgau wohnhafte Baron August von Finck junior, der laut WOZ und «Spiegel» unter anderem die von Segert produzierte Gratis­zeitung «Deutschland-Kurier» finanzierte.

Ausserdem existierte ein AfD-Unterstützer­verein namens «Verein zur Erhaltung von Rechts­staatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten». Verein und Partei sollen voneinander unabhängig gewesen sein. Eine Absprache wäre laut Parteien­gesetz jedenfalls illegal gewesen. Der Verein unterstützte die Partei tatkräftig mit Veranstaltungen und Gratis­zeitungen. Auf diese Weise konnte die AfD unterstützt werden, ohne dass die Spenden hätten deklariert werden müssen. Das Partei­spenden­gesetz in Deutschland konnte – legal – umgangen werden.

Klar ist weiter, dass nicht alle Zuwendungen für AfD-Spitzen­politiker aus der Schweiz deklariert wurden: Die Bundestags­verwaltung taxierte sie deshalb teilweise als illegal und büsste die AfD mit 400’000 Euro Strafe.

Klar ist zudem, dass sowohl bei der direkten wie auch der indirekten Unter­stützung der AfD die Goal AG von Alexander Segert eine entscheidende Rolle spielte. Vom AfD-Unterstützer­verein wurde sie beauftragt, sie führte Sekretariat und Briefkasten des Vereins und war immer wieder organisatorisch für Veranstaltungen des Vereins verantwortlich. Dabei blieb Segerts Werbe­agentur stets im Hintergrund.

Zudem führte die Goal AG Wahlkämpfe für die AfD-Politiker Jörg Meuthen und Guido Reil. Im Frühling 2019 gab Meuthen in einem Interview zu, dass er Wahlkampf­hilfen im Wert von knapp 90’000 Euro von der Goal AG erhalten habe: Flyer, Plakate, Grafiken. Die Unter­stützung sei von mehreren Personen gekommen. Weder Segert noch die Goal hätten ihm Geld gezahlt.

Wer also bezahlte die Wahlkämpfe für Meuthen und Reil? Gab es Absprachen zwischen dem AfD-Unter­stützer­verein und der AfD – was illegal gewesen wäre? Und welche Rolle spielte dabei Alexander Segert? Wer hat Segert und die Goal AG beauftragt? Mit welchem Geld? Und wie war Segert überhaupt mit den AfD-Politikern in Kontakt gekommen?

Und war angesichts der eingestandenen Wahlkampf­hilfe für Meuthen und Reil Segerts Behauptung, er habe «noch nie für die AfD gearbeitet oder einen Auftrag von der AfD erhalten», nur ein Lausbuben­trick, eine gezielte Irreführung oder schon eine Lüge?

Ulrich Müller hat für die deutsche NGO Lobbycontrol die Rolle der Goal AG in der AfD-Partei­spenden­affäre akribisch untersucht. Er sagt über Segert: «Er war eine zentrale Figur, sein Unter­nehmen eine zentrale Schalt­stelle bei der millionen­schweren verdeckten Wahlkampf­hilfe für die AfD.» Die Goal AG habe stets alles abgestritten – bis Belege auftauchten. Und auch dann habe sie immer nur das Minimum eingeräumt. «Ich habe das Handeln von Goal immer als Versuch wahrgenommen, sehr intransparent zu agieren.»

Am Tisch im schlichten Büro: Der Mann der Inszenierung mag die eigene Inszenierung nicht.

Alexander Segert sitzt an einem langen schwarzen Tisch in diesem Büro in Bahnhofs­nähe, das nicht seins ist, und sagt, er sei total transparent. Das hat er seit Anfang Jahr gesagt, als wir uns das erste Mal trafen: Er habe nichts zu verstecken, rede über alles, auch über die AfD. Bislang hat er noch nie ausführlich zur Spenden­affäre Stellung genommen.

«Herr Segert, wie würden Sie Ihre Rolle in der AfD-Spenden­affäre beschreiben?», frage ich.

«Für mich gibt es keine AfD-Spenden­affäre», sagt Segert. «Ich habe von Auftrag­gebern, die – soweit ich weiss – nichts mit der AfD zu tun haben, zwei Aufträge bekommen: eine Unterstützungs­kampagne für Jörg Meuthen zu machen und eine für Guido Reil.»

«Wer waren die Auftraggeber?» – «Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil die Auftrag­geber Diskretion wünschten.»

«Die Kampagne für Meuthen kostete rund 90’000 Euro. Wer gab Ihnen das Geld?» – «Kann ich nicht sagen.»

«Wusste Jörg Meuthen, dass ein Auftrag bestand?» – «Weiss ich nicht.»

«Jörg Meuthen hat gesagt, er habe im Herbst 2015 persönlich mit Ihnen besprochen, dass Sie eine Website für ihn machen. Stimmt das?» – «Ja, das ist korrekt», sagt Segert. «Das habe ich ihm angeboten. Ich kenne Jörg Meuthen persönlich schon lange, da gabs die AfD noch gar nicht.»

«Woher?»

«Schwierig», sagt Segert. «Wir können es nicht sagen. Ihm wurde die Frage ja auch schon hundertmal gestellt. Es ist jedenfalls sehr lange her, 30 oder 35 Jahre.»

Ich frage Segert, was er denn im Herbst 2015 mit Jörg Meuthen besprochen habe. «Ich habe gelesen, dass er kandidiert, und machte mich über seine Kampagne schlau. Da merkte ich: Er macht nichts. Jedenfalls nichts Sichtbares. Da habe ich ihn angerufen und ihm gesagt: Du hast ja nicht mal eine Website. Wenn du willst, mache ich dir eine, damit du wenigstens präsent bist. Ich habe ihm gesagt, das schenke ich dir. Für meinen Mediamatiker ist das ein halber Tag Arbeit. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass daraus in Deutschland eine Staats­affäre würde. Wenn Sie jetzt für den Stadtrat kandidieren würden, würde ich Ihnen auch eine Website machen …»

«In der Schweiz gibt es ja auch kein Partei­spenden­gesetz, das dies verbieten würde», entgegne ich. «Ja, und in Deutschland eben schon», sagt Segert. «Dort wäre es offenbar so: Wenn Sie ein paar Fotos für mich schössen, dann müsste ich das schon als Zuwendung deklarieren. Davon hatte ich damals keine Ahnung.»

«Haben Sie sich juristisch beraten lassen?» – «Als wir den Auftrag erhielten: Ja.»

«Wer war der Anwalt?» – «Kann ich nicht sagen.»

Alexander Segert hat seine Rolle in der AfD-Partei­spenden­affäre stets kleingeredet. Dabei war er eine wichtige Figur: Er machte Wahlkampf für die zwei AfD-Spitzenpolitiker Jörg Meuthen und Guido Reil, er war der Briefkasten für den AfD-Unterstützer­verein «Recht und Freiheit». Segerts Versteck­spiel macht nicht den besten Eindruck. «Das kann ich so nicht nachvollziehen», sagt Segert. «Bei Meuthen und Reil gabs nichts zu verstecken. Aber ich will etwas zu Ihrer Frage sagen: Briefkasten – das klingt unheimlich verschwörerisch …»

«… es war doch ein Briefkasten?», wende ich ein.

«Quatsch», sagt Segert. «Das ist eine linke Verschwörungs­theorie. Wir haben vom Verein ‹Recht und Freiheit› das banale Mandat gehabt, das Sekretariat zu führen. Also haben wir in Deutschland ein Postfach in einem Büro-Service-Center eröffnet. Völlig legal. Briefkasten tönt nach Panama. Wir aber haben ein Sekretariat geführt.»

«Die NGO Lobbycontrol sagt, Sie seien ‹eine zentrale Figur bei der millionen­schweren verdeckten Wahlkampf­hilfe für die AfD› gewesen.» – «Das ist eine linke Verschwörungs­theorie», sagt Segert. «Das waren keine Millionen. Genau deswegen äussere ich mich nicht zu dieser Sache: In Deutschland gibt es ein Relotius-Virus. Ich weiss, das ist böse. Aber deutsche Journalisten sind furchtbar anfällig für Mutmassungs-Journalismus.»

«Lobbycontrol sagt weiter, Sie hätten sehr intransparent agiert.» – «Wenn ich intransparent wäre, würde ich nicht zehn Stunden mit Ihnen reden.»

«Wurden Sie schon zu der Affäre einvernommen oder befragt?» – «Nein. Das ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass da viel heisse Luft drin ist.»

An dieser Stelle wird es kompliziert. Segert hat sich stets als transparent und auskunfts­freudig dargestellt, tatsächlich aber gibt er im Interview nur auf wenige Fragen zur AfD-Spenden­affäre eine präzise Antwort. Immer wieder hat er mir gesagt, dass er die Angelegenheit für eine aufgeblasene Medien­geschichte halte, in der er nur eine marginale Rolle spiele. Wann immer ich ihn auf die AfD angesprochen habe, gab er sich desinteressiert oder wiegelte ab – als ginge ihn die Sache nichts an.

So verhält er sich auch während des Interviews: Er redet seine Rolle in der Affäre klein oder sagt gar nichts. Dann erhält er das Interview zur AfD-Spenden­affäre zum Gegenlesen.

Zunächst winkt er es ohne Anmerkungen durch. Kurz darauf meldet er sich noch einmal per E-Mail. Er habe das Interview zur AfD auch noch juristisch abklären lassen. «Scheinbar sind (…) Verfahren offen (wusste ich nicht). Ich muss aus juristischen Gründen daher auf eine Beantwortung der ‹Listen-Fragen› verzichten – sorry.»

Ein heikler Vorgang, aber vertretbar. Er zieht die Antworten auf folgende Fragen zurück, die ich ihm zu Ungereimtheiten bei den AfD-Spender­listen stellte. Die Fragen lauten:

«Laut Medienberichten haben Sie, wie auch Alice Weidel, eine Liste mit Spendern bei der Bundestags­verwaltung einreichen müssen. Ist das richtig?»

«Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen sagte, Sie hätten eine Liste vorgelegt und Sie hätten ihm die Echtheit der Liste bestätigt.»

«Stammt die Liste von Ihnen?»

«Lügt Jörg Meuthen etwa?»

«Auf einer Liste, die der Bundestags­verwaltung eingereicht wurde, stehen teilweise die Namen von Strohleuten. Auf Ihrer Liste und der Liste von Alice Weidel stehen die gleichen Strohleute. Warum haben Sie die gleichen, falschen Namen auf Ihren Listen?»

Im Gespräch antwortete Segert sehr wenig auf die Fragen. Aber selbst das Wenige ist offenbar zu viel, juristisch zu heikel.

«Herr Segert», fahre ich im Interview fort, «ein Strohmann sagte dem ‹Spiegel›, er habe 1000 Euro in bar gekriegt, damit er seinen Namen auf diese Liste setzen lässt. Kennen Sie diese Person?» – «Nein.»

«Haben Sie jemandem 1000 Euro gegeben?» – «Definitiv nicht.»

«Der erwähnte Strohmann spricht rückblickend von einem ‹Griff in einen grossen Mist­haufen›. Gilt das für Ihr AfD-Abenteuer ebenfalls?» – «Ich habe kein AfD-Abenteuer.»

«Nun, vier Jahre nach der ersten ‹Spiegel›-Enthüllung, gelten Sie weitherum als dubioser Hinter­mann in einer Partei­spenden­affäre. Was macht das mit Ihnen?» – «Es eröffnet mir einen Blick auf linke Verschwörungstheorien.»

Das ist unser letztes Treffen. Der Fotograf bittet Segert um ein paar Porträt­bilder: Segert sitzt am Bürotisch, Segert schaut aus dem Fenster. Als Segert für ein Bild die Arme hinter dem Kopf verschränken soll, wird es ihm zu viel. Er windet und weigert sich. Die Sache ist ihm peinlich.

Alexander Segert macht es keine Mühe, über sich und seine Arbeit zu reden. Aber er mag es nicht, im Zentrum zu stehen. Der Mann der Inszenierung mag die eigene Inszenierung nicht. Und so sitzt an einem wolken­verhangenen Tag im Herbst ein Mann im Hemd in einem eigenschafts­losen Büro in Bahnhofs­nähe und wünscht, er könnte sich an Ort und Stelle in Luft auflösen.