Die Wochenzeitung. Rechtsextremismus hat viele Gesichter – auch hierzulande. Eine neue Publikation der Antifa Bern versucht, einen Überblick zu schaffen. Auffallend ist die Nähe vieler TäterInnen zu Institutionen.
«23. 05. 2020: Tobias Steiger von der PNOS fordert die Zwangssterilisation jüdischer Menschen.» – «09. 10. 2020: In Zürich legen Unbekannte einen Schweinekadaver in den Briefkasten einer muslimischen Familie.» – «25. 10. 2020: Der Rechtsextremist Eric Weber wird in den Basler Grossrat gewählt.»
Vergangene Woche veröffentlichte das Berner Antifa-Recherchekollektiv (nach einer ersten Ausgabe 2012) die zweite Ausgabe ihrer Revue «Die braune Szene der Schweiz». Auf rund fünfzig Seiten hält die (aus Selbstschutz und um nicht kriminalisiert zu werden) anonyme Gruppe fest, wie es um die rechtsextreme Szene in der Schweiz steht, welche Gruppierungen, Parteien und Organisationen bekannt sind, wo sie mitmischen und wie sie aufgestellt und vernetzt sind.
Heterogene Szene
«Die braune Szene» vermittelt nicht nur Grundlagenwissen zu Auftreten und Symbolik Rechtsextremer. Die gut strukturierte, verständliche Aufarbeitung macht die heterogene Szene auch für ausserparlamentarisch eher Uninteressierte begreifbar. Nebst der chronologischen Aufarbeitung des Rechtsextremismus in der Schweiz seit den späten Achtzigern werden alteingesessene Neonazi-Gruppierungen wie die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) und besonders neuere Gruppen und deren Mitglieder vorgestellt: etwa die Kameradschaft Heimattreu, die Nationale Aktionsfront oder die in jüngster Zeit bekannter gewordenen Eisenjugend und Junge Tat. Neu im Fokus der Recherchegruppe stehen auch die selbsternannten, in manchen Fällen bis weit nach rechts offenen «CoronarebellInnen».
Erwähnt wird dabei auch der mehrfach verurteilte Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub, der an Anti-Corona-Massnahmen-Demos wie diesen März in Liestal gesichtet wurde. Schaub ist zudem der führende Ideologe der offiziell aufgelösten «Europäischen Aktion», von der mehrere Mitglieder im März im «Terror-Prozess» in Wien vor Gericht standen und verurteilt wurden. Ebenso zur Sprache kommt die internationale Vernetzung von Gruppierungen wie der Westschweizer Hooligangruppe Swastiklan, deren Mitglieder als Söldner in der Ukraine kämpften.
Begleitet werden die Texte von einer Timeline mit Ereignissen mit rechtsextremem Hintergrund zwischen 2018 und 2020 – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Was die aufgelisteten 168 Ereignisse besonders erschreckend macht: Immer wieder tauchen darin Namen gewählter Volksvertreter auf. So sind neben Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte diverse SVP- oder JSVP-Politiker aufgelistet, die öffentlich einen neuen «Onkel Dolf» für Deutschland wünschen, volksverhetzende Cartoons verbreiten oder die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus bedauern. Mitglieder rechtsextremer Kameradschaften mit höchsten militärischen Rängen stehen neben aufgedeckten Polizeichats mit rassistischen und antisemitischen Inhalten. Neben GC-Fans, die im Stadion eines Chemnitzer Neonazis gedenken, liest man von Messerkampfseminaren mit ukrainischen Neonazis und von grossen Waffen- und Munitionsfunden in der Agglomeration – oder von Ereignissen wie diesem: «18. 06. 2020: Ein Mann mit schwarz gefärbtem Gesicht verkauft Schokoladenküsse in Rorschach SG.»
Allein solche Beispiele verdeutlichen, wie nahtlos sich der Rassismus von Volksparteien, Fastnachtsgruppierungen und Stammtischwitzchen noch «extremeren» Beispielen annähert – und so dafür sorgt, dass die Grenzen des Sag- und Machbaren immer weiter nach rechts verschoben werden.
Unlängst in Liestal
Jüngstes, von der Revue nicht mehr aufgezeigtes Beispiel für einen parlamentarischen Rechtsextremisten wäre der Jungpolitiker Simon Andenmatten von der UDC Valais Romand, gemäss Rechercheportal «renversé» ein Mitbegründer der Neonazi-Gruppierung Militants Suisses. Diese ist für diverse Übergriffe gegen Linke und JournalistInnen im Kontext der Anti-Massnahmen-Demo in Liestal verantwortlich, wie «renversé» mit Bildmaterial belegt. Auf privaten Social-Media-Profilen von Andenmatten finden sich Fotografien von ihm beim Kampfsporttraining in Kleidern der französischen Neonazi-Marke Pride France. Auf einem Bild ist er zudem in einem T-Shirt mit der Aufschrift «Defend your Tradition» und einer stilisierten AK-47 zu sehen. Was wiederum zu der wohl zentralsten Erkenntnis aus der aktuellen Antifa-Revue führt: Der Rechtsextremismus in der Schweiz versteckt sich nicht.