«Man wirft uns in einen Topf»

Tagblatt der Stadt Zürich. Für Jenische und Sinti wird es immer
schwieriger, Plätze und Arbeit zu erhalten. Laut Daniel
Huber, Präsident der Dachorganisation, hat das mit
dem wachsenden Rassismus zu tun.


Sie wehren sich dagegen, als «Fahrender» bezeichnet zu werden.
Was ist falsch an dem Begriff?

Daniel Huber: Zuallererst bin ich ein Schweizer Jenischer. Das
Wort «Fahrende» ist verallgemeinernd, es wirft uns alle in einen
Topf. Wenn eine Familie den Platz dreckig hinterlässt, ist das
nicht die Schuld des ganzen Volkes. Doch die Medien berichten
immer von «Fahrenden», so schürt man den Rassismus. Wenn
eine jüdische Person negativ auffällt, sagt man auch nicht, dass
«die Juden» schuld seien. Letztes Jahr hat Bundesrat Alain Berset
die Schweizer Jenischen und die Sinti offiziell als nationale
Minderheiten anerkannt. So wollen wir auch genannt werden.

Jenische, Sinti und Roma. Was ist der Unterschied?
Es gibt praktisch keine Schweizer Roma, die fahren.
Reisegruppen von Romas stammen aus dem Ausland und sind
nur temporär in der Schweiz. Sie bewegen sich in grösseren
Konvois von rund 100 Wohnwagen. Die Jenischen und Sinti in der
Schweiz zählen rund 40 000 Personen. Viele Sinti – einige
Hundert – sind hier geboren und haben sich mit uns Jenischen
vermischt. Heutzutage ziehen schweizweit nur noch rund 3500
Jenische und Sinti umher, die anderen sind sesshaft. Alle
Gruppen aber haben Mühe, Plätze zu finden.

In der Stadt Zürich gibt es für Jenische und Sinti einen Standplatz
und einen Durchgangsplatz, auf dem man auch überwintern
kann. Genügt das?

Es braucht dringend einen weiteren Standplatz; es wird Sache
des Kantons sein, einen solchen zu schaffen. Wir sind mit der
Situation in der Stadt aber grundsätzlich zufrieden. Der
Standplatz Eichrain in Seebach besteht aus rund 30 baulichen
Einheiten. Dort kehren wir für den Winter zurück und schicken
unsere Kinder in die Schule. Auf dem Provisorium in Altstetten
haben zudem 15 Wagen Platz.

Im Richtplan der Kantone steht, dass der Staat dafür sorgen
muss, dass Fahrende genügend Lebensraum bekommen. Wieso
gibt es dennoch zu wenig Plätze?

Die Kantone versuchen, ihren Auftrag umzusetzen. Trotzdem
wird bei der Raumplanung unser Lebensraum oft nicht
miteinberechnet. Falls dann doch Platz für uns vorgesehen ist,
sind es oft die Gemeinden, die sich weigern. Gerade letzthin
haben die Bewohner von Wileroltingen BE gegen einen
Transitplatz protestiert. Wenn die Gemeinden nicht mitmachen,
gibt es für Jenische und Sinti schlichtweg zu wenig Platz. Die
Folge davon ist, dass sie andere Haltemöglichkeiten bei Privaten
suchen oder sich illegal irgendwo niederlassen. Einige Bauern
geben uns ihr Land, doch auch diese sind misstrauischer
geworden, weil der Rassismus stärker wird und die Gemeinden
oft dagegen sind.

Macht es der wachsende Rassismus auch schwierig zu
hausieren?

So ist es. Wir leben davon, unser Handwerk anzubieten. Doch
sobald wir klingeln, sagen viele, sie wollen nichts mit uns zu tun
haben. Dabei brauchen wir Schweizer Jenischen und Sinti ein
gesamtschweizerisches Gewerbepatent und einen sauberen
Leumund, um dieses zu bekommen. Nun haben einige Kantone
sogar Vorstösse eingereicht, die das Hausieren einschränken
sollen. Ohne Arbeit wären wir Jenischen und Sinti auf die
Sozialhilfe angewiesen, könnten nicht mehr reisen und somit
unsere Kultur nicht mehr ausleben. Das macht mir Angst.

Woher stammen die Vorurteile?
Wir leben anders als die Sesshaften, wir sind
Überlebenskünstler. Viele haben Mühe, unsere Lebensweise als
Schweizer Jenische zu verstehen und kennen uns schlicht nicht.
Das Misstrauen führt auch dazu, dass wir auf offener Strasse als
«Dreckszigeuner» beschimpft werden. Dabei sind wir die am
besten kontrollierten Schweizer, die es gibt. Neben dem
Gewerbepatent müssen wir auf den Durchgangsplätzen unsere
Personalien angeben. Aber wir haben einen Schweizer Pass und
erfüllen unsere Pflichten, wir verlangen also auch unsere Rechte.

Wie kann man der Diskriminierung ein Ende setzen?
Es ist nötig, die Schweizer Jenischen und Sinti-Minderheiten und
die Roma in den Schulbüchern zu besprechen. Und man muss
sich kennen lernen, miteinander reden. Wir wünschen uns ein
friedliches Nebeneinander auf Augenhöhe.