1000 Hassmails – wegen eines unbedachten Hinweises
an jüdische Touristen.
SonntagsZeitung. Das Aparthotel «Paradies» könnte auf der
Buchungsplattform Booking.com kaum besser abschneiden. Die
Unterkunft am Dorfrand von Arosa erhält bei 128
Gäste-Bewertungen die Note «sehr gut», das sind im Schnitt 8,2
von 10 möglichen Punkten. In der Unterkategorie Personal ist
das Resultat sogar noch besser: Da gibt es im Schnitt 9,1 Punkte
und das Prädikat «hervorragend».
Eigentlich wäre das ein Grund zur Freude für Ruth Thomann –
denn das Personal, das ist im Wesentlichen sie. Seit mehreren
Jahren kümmert sich die Aroserin um die Réception und die
Vermietung der Wohnungen im «Paradies». Angestellt ist sie von
den Eigentümern der Appartements.
Doch die Bewertungen halfen ihr nicht, als sie diese Woche von
der Weltpresse in der Luft zerrissen wurde. Von England bis
Australien, von Amerika bis Israel hauten sie Journalisten in die
Pfanne. Es hiess, sie sei eine Antisemitin. Im Sekundentakt
klingelte ihr Telefon. Die Anrufer schrien sie an und
beschimpften sie. Bis zum Freitag erhielt Ruth Thomann über
1000 E-Mails aus aller Welt. Den Inhalt mag sie gar nicht mehr
vorzeigen – vieles war «unter der Gürtellinie», wie sie sagt.
Trotzdem druckt sie alle Zuschriften aus und legt sie in Ordnern
ab.
Der israelische Botschafter intervenierte
in Bern
Alles begann vor einer Woche. Eigentümer und Gäste im
«Paradies» beschwerten sich über jüdische Besucher, die vor
dem Gang in den Pool nicht duschten. Thomann, pflichtbewusst
und um Sauberkeit bemüht, fertigte ein Plakat an, das sie an die
Glastür zum Schwimmbad klebte. Da war zu lesen: «An unsere
jüdischen Gäste: Bitte duschen Sie, bevor Sie schwimmen
gehen.»
Ein jüdischer Gast fotografierte das Plakat und liess es
israelischen Medien zukommen. Dann rollte die Empörungswalze
an. Die stellvertretende israelische Aussenministerin wandte sich
an den israelischen Botschafter in der Schweiz. Dieser
intervenierte beim Aussendepartement. Und so bekam Ruth
Thomann am Montag einen Anruf eines Diplomaten aus der
Bundesverwaltung. Er wollte wissen, was passiert sei.
Die Frau hat eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hat. Sie
hat sich entschuldigt. Es war zu spät. Die Buchungsplattform
Booking.comsperrte das «Paradies». Und Jonathan Kreutner,
Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen
Gemeindebundes, liess sich in den Medien vielsagend zitieren:
«Wir überlegen uns nun die weiteren Schritte.»
Wenn Ruth Thomann letzte Woche von der Arbeit nach Hause
kam, zog sie jeweils den Stecker des Festnetztelefons. Und sie
schlief schlecht. Doch sie ging jeden Tag zur Arbeit und im Büro
immer ans Telefon.
An diesem Freitagmorgen klingelt es nur dreimal – jeweils
dieselbe Nummer aus Frankreich. Zweimal sagt der Anrufer
nichts, beim dritten Mal lallt er eine Melodie. Ruth Thomann legt
den Hörer auf.
Der orthodoxe Gast will nächstes Jahr
wiederkommen
Langsam ebbt der Shitstorm ab. Die Verantwortlichen von Arosa
Tourismus haben Booking.com gebeten, das «Paradies» wieder
aufzuschalten. SIG-Generalsekretär Kreutner sagt jetzt, die «nicht
enden wollenden Diskussionen» seien «definitiv übertrieben».
Man müsse «einen Punkt machen und in die Zukunft blicken».
Ruth Thomann sagt: «Wer auch nur ein wenig denken kann,
weiss, dass ich nichts Böses im Sinn hatte.» Im Gegenteil, sie
schätzt die jüdischen Gäste, kommt ihnen entgegen. So dürfen
sie ihr koscheres Essen, das sie von zu Hause mitbringen, in einer
Tiefkühltruhe lagern, die in einem Privatraum des «Paradies»
steht.
An der Réception steht ein Gast, der zahlen will. Ein orthodoxer
Jude aus Basel, der heute in Israel lebt. Darüber, was passiert ist,
kann er nur den Kopf schütteln. «Was soll das mit
Antisemitismus zu tun haben?» Der Mann, der namentlich nicht
genannt werden will, hat vor, im nächsten Sommer wieder nach
Arosa zu kommen. Er sagt zu Ruth Thomann: «Machen Sie sich
keine Sorgen wegen Booking.Der Journalist Benny Epstein lebt als Schweizer Jude in Zürich
«Wer den Fall Arosa für seine politische Agenda missbraucht,
schiesst ein Eigentor»