St. Galler Tagblatt. Rorschachs Stadtpräsident Thomas Müller provoziert mit Aussagen zu Rassismus und Islam. Die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus findet Müllers Worte deplatziert und verantwortungslos.
Ein Interview mit dem Rorschacher Stadtpräsidenten und SVP-Nationalrat Thomas Müller hat gestern schweizweite Beachtung erlangt. Im Gespräch, das auf der «Rorschach»-Seite des «St.Galler Tagblatts» sowie in der Online-Ausgabe publiziert worden war, äusserte sich Müller zu persönlichen Fragen und diversen regionalen und nationalen Themen, darunter dem Autobahn-Anschluss in der Region und seinen Leistungen für die Stadt Rorschach. Als er von der Journalistin auf seine Präsenz in Rorschach angesprochen wurde, kam Müller auf Brasilien zu sprechen. Seine Frau sei Brasilianerin, deshalb verbringe er viel Zeit dort. «Ich bin der einzige Ausländer in der Familie, der nur den Schweizer Pass hat. Alle anderen haben auch den brasilianischen Pass», erklärt er. Auf die Nachfrage der Journalistin antwortet Müller: «Wissen Sie, die Brasilianer sind gesunde Rassisten.» Und dann fügt er an: «Die bringen es auf den Punkt, wenn sie jemanden nicht haben wollen. Die sind nicht so kniefällig gegenüber dem Ausland und fremden Kulturen wie Schweizer, sondern haben als Land ein gewisses Selbstbewusstsein. Wir hingegen denken, wir müssten uns überall anbiedern.»
Die Reaktionen kamen gestern prompt. Auf den sozialen Medien hagelte es Proteste, Politiker und Journalisten meldeten sich zu Wort. «SVP-Nationalrat Thomas Müller beginnt den Begriff ‹Rassist› positiv zu werten», twitterte ein NZZ-Bundeshausredaktor. Und Komiker Mike Müller fragte auf dem gleichen Kanal: «Thomas Müllers Familie besteht also aus ‹gesunden Rassisten›. Und was ist er? Ein ungesunder Rassist?» Keine Reaktion kam gestern von Müllers Partei. Die Zentrale in Bern hüllte sich in Schweigen, eine Anfrage an Präsident Albert Rösti blieb unbeantwortet.
«Müller spielt mit Vorurteilen»
Stellung bezog dafür Martine Brunschwig Graf. Die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus kennt Müller noch aus ihrer Zeit im Nationalrat. Müller war damals noch in der CVP, Brunschwig Graf vertrat die Genfer Liberalen in der Grossen Kammer. «Es gibt keinen gesunden Rassismus», sagt Brunschwig Graf. «Thomas Müller ist auf dem falschen Weg.» Als Präsident einer Stadt habe er eine politische Verantwortung. Er müsse sich deshalb zweimal überlegen, was er sagt. «Vor allem, wenn es um so heikle Themen wie Rassismus geht.» Brunschwig Graf geht es auch um die Verantwortung, die ein Politiker trage, wenn er sich öffentlich äussere. In einer Zeit, in der so stark pauschalisiert werde, sei es umso wichtiger, dass Politiker sich um Differenziertheit bemühten, sagt sie. «Müller tut das nicht. Er spielt mit Vorurteilen, ein Teil seiner Aussagen sind deplatziert und diskriminierend.» Auch wenn Müller seine Rassismus-Unterstellung offensichtlich als Kompliment an die Adresse der Brasilianer verstanden wissen wolle, könne sie sich kaum vorstellen, dass Müller Rassismus gutheisse. «Rassismus ist keine blosse Meinungsäusserung, sondern kann ein Delikt sein. Thomas Müller weiss das.»
Müller stiess mit seinen Aussagen auch auf Zustimmung. Das zeigen Leserreaktionen auf die Online-Version des Interviews. «Ein mir in mancher Hinsicht unangenehmer Zeitgenosse, dieser Müller, aber in mindestens einem Punkt hat er recht: Der Islam gehört nicht hierher, und man muss den Mut haben, das zu sagen», schreibt ein Leser.
Juristische Konsequenzen dürften Müllers Aussagen kaum haben. Auch seine Aussagen zum Islam («Der Islam hat hier nichts verloren») sind angesichts der bisherigen Rechtssprechung in Sachen Rassismus eher nicht justiziabel. Offiziell bestätigen wollen dies die Juristen der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus zwar nicht. Aber man lässt dort durchblicken, dass man die Äusserungen Müllers zwar nicht goutiere, aber auch nicht für juristisch relevant halte.
«Mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde»
Es ist nicht das erste Mal, dass Äusserungen von Thomas Müller öffentlich debattiert werden. Im März 2009, in der Debatte um das schweizerische Bankgeheimnis, griff Müller den damaligen deutschen Finanzminister Peer Steinbrück öffentlich an: «Peer Steinbrück, das darf man in aller Offenheit sagen, definiert das Bild des hässlichen Deutschen neu. Er erinnert mich an jene Generation von Deutschen, die vor 60 Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind.» Die beiden Sätze warfen auch in Deutschland Wellen und waren etlichen deutschen Publikationen, darunter etwa der «Spiegel» und die «Zeit», längere Artikel wert.