Luzerner Zeitung. Eine Fachstelle wollte für das Thema Rassismus sensibilisieren. Stattdessen sei die Polizei an den Pranger gestellt worden, moniert ein SVP-Kantonsrat. Die Polizei verzichtete darauf, Gegensteuer zu geben.
Die Luzerner Polizei und ihre Mitarbeiter seien «unter den Generalverdacht des Rassismus gestellt und gezielt verunglimpft worden». So hat der Stadtluzerner SVP-Kantonsrat Pirmin Müller die Veranstaltung «Rassismus auf der Anklagebank» vom 29. Juni in der Theaterbox beim Jesuitenplatz erlebt. Mit dem Anlass habe man versucht, das Berufsbild der Polizei in der Gesellschaft «nachhaltig und vorsätzlich zu schädigen». Es sei versucht worden, das Publikum gezielt gegen die Arbeit der Polizei aufzubringen, schildert Müller seine Eindrücke.
Mit der Veranstaltung wollten die Organisatorinnen, die Fachstelle für die Beratung und Integration von Ausländerinnen und Ausländern (Fabia) sowie die Allianz gegen Racial Profiling, für das Thema Rassismus sensibilisieren. Am Anlass, der eine Gerichtsverhandlung imitierte und als Tribunal präsentiert wurde, nahmen rund 50 Personen teil.
Pirmin Müller sagt, das Tribunal sei dem Ziel einer differenzierten Unterhaltung nicht gerecht geworden. «Es gab ausschliesslich feindselige Voten gegen die Polizeiarbeit. Es war kein Dialog, sondern ein Monolog.» Ihn habe bereits das Flugblatt irritiert. Auf diesem sei festgehalten worden, dass es das Ziel des Tribunals sei, «sich über strukturellen Rassismus auszutauschen». Der angeblich strukturelle Rassismus sei damit kurzerhand als Fakt dargestellt worden. Deshalb habe er den Anlass besucht und sei konsterniert gewesen, dass nicht der Rassismus, sondern die Polizei pauschal auf die Anklagebank gesetzt worden sei. Das sei «befremdend und deshalb politisch zu prüfen», begründet Müller seine nun lancierte Anfrage an die Regierung.
Fachstelle erhält vom Kanton fast eine Million
Müller stört sich auch daran, dass die Fachstelle Fabia zu einem Grossteil von der öffentlichen Hand finanziert wird. Im letzten Jahr zahlte der Kanton beinahe eine Million Franken und steuerte damit mehr als zwei Drittel zum Budget bei. Auch die Gemeinden finanzierten die Fachstelle mit 183 000 Franken zu einem wesentlichen Teil mit.
Ylfete Fanaj hat den Abend anders in Erinnerung als ihr Kantonsratskollege. Die SP-Fraktionschefin sagt, es sei nicht speziell um die Luzerner Polizei gegangen, und sie habe «nie das Gefühl erhalten, dass das hiesige Polizeikorps am Pranger steht». Das Ziel der Veranstaltung – die Besucher für das Thema Rassismus zu sensibilisieren – sei erreicht worden. Deshalb kannFanaj Müllers Aufregung nicht nachvollziehen. «Seine Reaktion zeigt doch, dass etwas dran ist am Thema. Der Abend war zwar nicht perfekt, aber wir dürfen nicht die Augen vor der Realität verschliessen.» Die gemachten Erfahrungen seien real, und nicht nur die Polizei, sondern auch andere staatliche Stellen seien gegen Vorurteile nicht gefeit, sagt die Stadtluzerner Politikerin.
Dass die Sicht der Polizei eventuell zu kurz gekommen ist, sei möglich, sagt Hamit Zeqiri, Geschäftsführer der Mitorganisatorin Fabia. Doch er sagt auch: «Wir haben die Polizei selbstverständlich eingeladen. Doch sie hat die Einladung ausgeschlagen, weil das Format unpassend sei. Das habe ich sehr bedauert.» Zeqiri betont, man habe die Luzerner Polizei «auf keinen Fall verunglimpfen wollen». Im Gegenteil: Ihm sei sehr an einer differenzierten Diskussion gelegen. Die Haltung der Sicherheitskräfte habe man bewusst in die Diskussion einzubauen versucht, sagt Zeqiri. Doch es sei natürlich schon so: «Die Sicht der Polizei kann niemand so authentisch vermitteln wie die Polizei selber.»
Zeqiri sagt, die Fachstelle wäge bei kontroversen Veranstaltungen immer sorgfältig ab, ob und wie man diese durchführen wolle. Deshalb sei auch die Absage eine Option gewesen. Den Entscheid für die Durchführung begründet er so: «Es handelt sich um ein Thema, das viele Menschen beschäftigt und das man nicht totschweigen darf.» In einer Demokratie müssten auch heikle Themen öffentlich diskutiert werden können, so Zeqiri. Ausserdem sei der exakt gleiche Anlass in St.Gallen ein Erfolg gewesen. Im Gegensatz zum Pendant in Luzern war die Polizei in der Ostschweiz vor Ort: mit Ralph Hurni, dem Kommandanten der St.Galler Stadtpolizei.
Polizei: Man hätte einen Richter anfragen müssen
Eine Vertretung der Sicherheitskräfte am Anlass hätte sich auch Sibylle Stolz, Integrationsbeauftragte der Stadt Luzern, gewünscht. Sie habe versucht, die Polizei zur Teilnahme zu bewegen, «leider erfolglos». Dennoch habe sie die Veranstaltung als fair erlebt. Die Stadt Luzern unterstützte den Anlass, weil sie Mitglied der europäischen Städtekoalition gegen Rassismus der Unesco ist. Auch das Schweizerische Arbeiterhilfswerk oder die Katholische Kirche der Stadt Luzern leisteten ideellen Support.
Georges Dumont, stellvertretender Kommandant der Luzerner Polizei, bestätigt die Absage. Ein wesentlicher Grund sei gewesen, dass im Setting eines Gerichtsprozesses die Polizei keine Rolle habe. «Der richtige Vertreter wäre eine Person gewesen, die an einer Gerichtsverhandlung teilnimmt, also ein Staatsanwalt als Kläger oder ein Richter als Gerichtsvertreter.» Ob ein Vertreter der Polizei am Anlass hätte Gegensteuer geben können, lässt er offen. «Das wäre reine Spekulation.» Zu Dissonanzen zwischen der Polizei und der Fabia habe die Absage nicht geführt. «Die Kommunikation war konstruktiv und zielgerichtet.»