von 12.5.2017, 14:15 Uhr
Mitte Dezember 2015 kochte in der Schweiz die Affäre um eine Lehrerin im zürcherischen Gossau hoch, die ihren Schülern verboten hatte, Edelweisshemden im Unterricht zu tragen. Dies nahm ein Redaktor von «20 Minuten» zum Anlass, in der Online-Ausgabe seines Gratis-Mediums einen Artikel unter der Überschrift «Wenn harmlose Kleidung zur Provokation wird» zu veröffentlichen. Dem Artikel war eine 18 Fotos umfassende Bildstrecke beigefügt. Ein Bild zeigte ein schwarzes Fan-T-Shirt der Rockgruppe «Frei.Wild» mit dem Schriftzug «Freiwild Südtirol». Unter der Foto erschien die Legende: «Eine rechtsextreme Überzeugung lässt sich auch versteckter transportieren, zum Beispiel durch T-Shirts von Bands wie Freiwild, Landser und Skrewdriver.» Laut Anklage hatte der Redaktor damit die vier Mitglieder der Band «Frei.Wild» wahrheitswidrig in die rechtsextreme Ecke gerückt und sie in ihrer Ehre verletzt.
Missbrauch von Harmlosem zu politischen Zwecken?
Eine Einzelrichterin am Bezirksgericht Zürich verurteilte den 43-jährigen Redaktor im Oktober 2016 wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 180 Franken. Dagegen ging der Journalist vor Obergericht in Berufung. Die Bandmitglieder verzichteten auf Anschlussberufung, erschienen aber am Freitag vollzählig persönlich zur Verhandlung in Zürich. Der «20 Minuten»-Redaktor beantragte einen Freispruch. Die Fotobeispiele habe er zusammengestellt, um die These zu untermauern, dass etwas völlig Harmloses wie ein T-Shirt politisch missbraucht werden könne und dass das Edelweisshemden-Verbot absurd sei. Es sei um Leute gegangen, die solche T-Shirts missbrauchten, nicht um die Band.
Das Wort «rechtsextrem» sei zudem nicht ehrverletzend und bezeichne etwas, das am äusseren Rand des politischen Spektrums, aber durchaus noch im demokratischen, rechtsstaatlichen Rahmen angesiedelt sei. Sein Anwalt untermauerte diese Aussage mit Beispielen über die Politiker Roger Köppel, Cédric Wermuth und Richard Wolff, die in der Schweiz öffentlich als rechts- oder linksextrem bezeichnet worden waren und trotzdem keine Ehrverletzungsklagen angestrebt hatten. Er behauptete zudem auch, das Wort «rechtsextrem» werde in der Schweiz anders verwendet als im «sensibilisierteren» Deutschland.
Der Anwalt der Band forderte eine Bestätigung des Urteils. Für jeden Durchschnittsleser, der das Bild betrachte, werde in der Legende der Eindruck erweckt, dass die Band «Frei.Wild» in denselben Topf gehöre wie die tatsächlich verbotenen rechtsextrem Bands «Landser» und «Skrewdriver». Der Sänger der Band, Philipp Burger, führte aus, es sei das erste Mal in 15 Jahren, dass sich die Band gerichtlich gegen eine solche Bezeichnung wehre. Sie seien gegen Rechtsextremismus und einfach nur eine konservative Heimatband. In «Fascho-Kreisen» seien sie sogar verhasst. Sie seien Familienväter, und in ihren bisher 350 Liedern gebe es keine einzige rechtsextreme Textpassage. Der Begriff «rechtsextrem» sei für sie ein verletzender Begriff.
Freispruch mit Vergleich zu Fussballfans begründet
Der Gerichtsvorsitzende Christoph Spiess erklärte in seiner Begründung des Freispruchs, ob das Wort «rechtsextrem» ehrenrührig sei, komme immer auf den Kontext an und sei nicht klar zu definieren. Für den Prozess habe diese Frage aber gar keine Relevanz. Es gehe nicht um das Wort «rechtsextrem», sondern um den Artikel im «20 Minuten». Die Bildlegende könne man nicht aus dem Kontext lösen. Der Redaktor habe damit aufzeigen wollen, dass ein T-Shirt einer Band, die sich nicht als politisch sehe, von Leuten benutzt werde, die etwas anderes damit aussagen wollten. Das sei dasselbe wie bei Fussballklubs, die von ihren Fans missbraucht würden und dafür nichts könnten. «Wir glauben der Band, wenn sie sagt, wir wollen das nicht.»
Die Aufzählung in der Legende im Zusammenhang mit den zwei anderen Bands sei allerdings tatsächlich grenzwertig. Würde diese Aufzählung für sich allein, isoliert stehen, könnte sie durchaus ehrverletzend sein, sagte Spiess. Man dürfe das aber nicht aus dem Gesamtkontext reissen. Er habe Verständnis für den Ärger der Band, aber ehrverletzend im Sinne des Gesetzes sei die Aussage nicht. Ausgangsgemäss erhielt der Redaktor 16 000 Franken Prozessentschädigung für seine Anwaltskosten zugesprochen.