Unbeirrt von linken Attacken, hat die Zürcher Volkspartei im Kongresshaus Geburtstag gefeiert – geschützt von einem riesigen Polizeiaufgebot. Man blickte zurück, klopfte sich ein wenig auf die Schultern und erinnerte sich an den «Auftrag».
Am 4. März 1917 gründeten 305 Delegierte des Zürcherischen Landwirtschaftlichen Vereins in der Zürcher Tonhalle eine neue Partei. Hundert Jahre später ist die SVP an den gleichen Ort zurückgekehrt. Feierlich wie in einer Kirche ist die Stimmung am Sonntagnachmittag im Kongresshaussaal, während linke Extremisten draussen Eier werfen. Die «Compagnia Rossini» trägt klassische Lieder vor, als auf der Leinwand der «Einzug der Mandatsträger» angekündigt wird. Man solle bitte sitzen bleiben. Amtierende und ehemalige Bundesräte defilieren in den Saal, ihm folgen Regierungs-, Kantons-, und Gemeinderäte – Frauen sind mit blossem Auge kaum zu erkennen. Auf der Bühne wartet Blumen- und Fahnenschmuck. Die grösste Partei der Schweiz habe guten Grund zum Feiern, sagt Doyen Christoph Blocher. Sie sei «körperlich und geistig in hervorragendem Zustand».
Lob und Ansporn
Zu einem runden Jubiläum gehören der Blick zurück, das gegenseitige Schulterklopfen und Preisen der gemeinsamen Errungenschaften, etwas Unterhaltung und schliesslich der gegenseitige Ansporn, nicht nachzulassen im Kampf für – ja, wofür eigentlich? «Für die schweizerischen Grundwerte», sagt Christoph Blocher, das sei «ganz einfach».
Im Gründungsjahr, zur Zeit der kommunistischen Revolution in Russland, hätten viele Politiker die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Schweiz preisgeben wollen, ebenso wie im Zweiten Weltkrieg während des Faschismus, ruft der Altbundesrat in Erinnerung. Auch gegen die Unruhen von 1968 und 1980 sei die SVP das entscheidende Gegengewicht gewesen, und 1992 habe sie nicht nur den EWR-Beitritt vereitelt. Ohne die SVP wäre die Eidgenossenschaft nämlich heute Mitglied der EU – einer «intellektuellen Fehlkonstruktion», wie Blocher findet – und in einer wesentlich misslicheren Lage, als sie heute sei. Die SVP habe nie gezögert, sich dem Zeitgeist entgegenzustellen.
Der Zürcher Regierungspräsident Mario Fehr, als Sozialdemokrat der einzige Redner mit einem anderen, ja entgegengesetzten Parteibuch, gewinnt den Saal schon nach der Anrede für sich: «Liebi Manne und Fraue», sagt er in den gleichen Worten wie sonst Christoph Blocher. Er erntet Applaus und kann es sich nun erlauben, den beiden SVP-Regierungsräten augenzwinkernd Nachhilfe im Schiessen anzubieten. Beim Ratsherrenschiessen machen Markus Kägi und Ernst Stocker ihrer Partei, die sich so stark mit Militär und Sicherheit identifiziert, offenbar nicht viel Ehre.
Mario Fehr rüffelt Störefriede
Sicherheitsdirektor Fehr ist übrigens der Einzige, der die linksextremen Störmanöver gegen die Jubiläumsfeier eines Wortes würdigt. «Wie alle Demokraten haben Sie ein Recht, diese Feier in Ruhe und Sicherheit durchzuführen», sagt er und dankt den Polizisten im Einsatz. Wer versuche, solche Veranstaltungen zu verhindern, der habe «nichts von unserer Demokratie» verstanden, stellt er klar. Für den Blick zurück schliesslich ist Christoph Mörgeli, alt Nationalrat und promovierter Medizingeschichtler, zuständig. Er hat sich pünktlich auf das Jubiläum hin mit einem über 700-seitigen Wälzer zur SVP-Geschichte als Parteihistoriker etabliert.
Blocher auf Hunderternote
Mehr der Sparte Unterhaltung zuzurechnen ist ein Vorschlag von Kantonalparteipräsident Konrad Langhart. Er beschreibt zunächst anhand der Hunderternote den Werteverlust, den die SVP in der Schweiz beklagt. 1917 sei darauf ein Bauer beim Mähen abgebildet gewesen. 1918 Wilhelm Tell und 1956 der heilige Martin als Symbol für Solidarität mit den Schwächeren. Auf die neuste Hunderternote hingegen werde man Skizzen zum Thema Wasser drucken, was nichts mehr mit der schweizerischen Eigenart zu tun habe. Eigentlich müsste die SVP die nächste Hunderternote selbst kreieren, um die richtigen Werte darauf zu verankern, fordert er daraufhin und fährt fort: «Wir sind uns in diesem Saal einig, wer auf dieser Note abgebildet sein müsste.» Der Saal weiss Bescheid und applaudiert.
Die SVP wäre aber nicht die SVP, würde sie an ihrem fröhlichen Jubiläum nicht auch wieder zum nächsten Kampf aufrufen. Denn der immer wieder beschworene «Auftrag», er ist noch nicht erfüllt. Zu bekämpfen sei heute in erster Linie der Rahmenvertrag, den die EU der Schweiz aufzwingen wolle, sagt Vordenker Christoph Blocher. «Fremde Gesetze und fremde Richter darf die SVP niemals zulassen.» Und auch die Energiestrategie des Bundes ist der Volkspartei ein Dorn im Auge. «Planwirtschaftlich» sei sie, zwinge die Bürger, Energie zu sparen, und bürde ihnen hohe Kosten auf. Da müsse die Partei des Mittelstands laut Nein rufen. Nach dem Feiern solle sie sich «gestärkt und freudvoll» wieder an ihren Auftrag machen, sagt Blocher: «Er lautet: ‹Die Schweiz›.»
Vom Milchpreis zum Messerstecher-Plakat
Ein Rückblick auf hundert Jahre Zürcher SVP
tox. · 1917, in den Wirren des Ersten Weltkriegs, spaltet sich in Zürich die «Bauernpartei» vom Freisinn und von den Demokraten ab. Damals deutet nichts darauf hin, wie sehr die spätere Zürcher SVP die Politik der Schweiz beeinflussen wird. Zwar mausert sie sich schon bei den Kantonsratswahlen 1917 zur stärksten bürgerlichen Kraft. Ab 1951 nennt sie sich Bauern-, Gewerbe und Bürgerpartei (BGB), und 1971 fusioniert sie mit Bündner und Glarner Demokraten zur SVP. Aber das erhoffte Wachstum bleibt aus. 1975 sackt sie in den Nationalratswahlen auf 11 Prozent ab.
Die Wende kommt 1977 mit der Wahl von Christoph Blocher zum Präsidenten. Der junge Unternehmer sorgt schon bald dafür, dass die Partei sich nicht nur um Landwirtschaft und Finanzen kümmert, sondern auch um Aussenpolitik und Zuwanderung sowie um Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Ihre Haltung kippt von einem Mittekurs ins Konservative; neu ist aber vor allem der Ton. Das Messerstecher-Inserat, mit dem sie im Stadtzürcher Wahlkampf von 1994 die Linke provoziert, schlägt so hohe Wellen, dass die Partei diese Masche aufs nationale Parkett exportiert. Mit schwarzen Schafen, Ratten, Reitstiefeln und gefrässigen Raben setzt sie auf emotionsgeladene Sujets, foutiert sich um «political correctness» und erobert die Stammtische. Manche Plakate werden von rechtsextremen Parteien anderer Länder kopiert. In der Schweiz indes bleibt rechts von der Blocher-Partei bald kein Platz mehr – Schweizer Demokraten und Autopartei verschwinden weitgehend von der Bildfläche.
In den 1990er Jahren verhilft ein Thema der SVP zum grossen Aufschwung: die EWR-Abstimmung und die Diskussion über einen EU-Beitritt der Schweiz. 1999 kommt die Partei in den nationalen Wahlen auf einen Wähleranteil von 22,5 Prozent. In der Folge schwingt der radikale Zürcher Flügel gegenüber den gemässigten Bernern obenauf. Im gleichen Jahr tritt Christoph Blocher zum ersten Mal als Bundesratskandidat an. Als er scheitert, droht er mit Rache: «Wir sehen uns bei Philippi wieder», schleudert er den Parlamentariern entgegen.
2003, als die SVP klar wählerstärkste Partei geworden ist, erreicht Blocher sein Ziel. Doch seine Rolle als Bundesrat bleibt ein Intermezzo. Nach der Abwahl 2007 kündigt er eine noch härtere Oppositionspolitik an. Allerdings gibt sich die Partei mit einem Platz auf der Oppositionsbank nicht zufrieden. Seit der Wahl von Guy Parmelin ist sie wieder mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten. Und auch in der rot-grün dominierten Stadt Zürich, wo sie seit 1990 kein Exekutivmitglied mehr stellt, hat sie ihre Ambitionen nie begraben. Bei der urbanen Wählerschaft stösst ihre Politik der Abschottung auf weniger Anklang.