Der Schuss ging hinten raus

Er lümmelt grimmig herum. Er wäre so gerne der Alpen-Trump geworden. Jetzt ist er hässig. Zeigt, dass ihn dies alles nichts mehr angeht. Dabei hatte Oskar Freysinger solche Momente wie die Vereidigung der neuen Walliser Polizistinnen und Polizisten in der Kathedrale von Sitten immer genossen. Samt Fanfare, alten Waffen und beleibten Klerikern.

Doch im März hat ihm das Volk Böses angetan. Es hat den SVP-Staatsrat, den Vizepräsidenten der mächtigsten Partei des Landes, abgewählt. Es hat den Retter des Wallis, der Schweiz und des Abendlandes ans Kreuz genagelt. Den «Menschenjäger», der im Ulk-Film die «Grüezini» (Rest-Schweizer) vor die Flinte nahm (goo.gl/VUCfT8), hat es unter Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Vorhang für den Bänkelsänger und Pissoirpoeten.

Das unverdaute Trauma

Sorgen muss sich Freysinger (57) deswegen keine machen. Er kassiert eine Regierungsratsrente von über 80 000 Franken pro Jahr. Lebenslang. Plus, in ein paar Jahren, AHV und die zweite Säule der Lehrer-Pensionskasse. Das ist fürstlich: Der Zürcher Justizminister Martin Graf (Grüne) etwa musste sich nach der Abwahl im Jahr 2015 mit 14 Monatslöhnen begnügen. Aber Freysingers Flop ist eine Ohrfeige für die SVP. Sie hat nun in der Romandie keinen Regierungsmann mehr. Das Trauma der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat (2007) bekommt neues Futter.

Derweil atmen die Walliserinnen und Walliser auf. Etwas erschrocken über sich selbst: 2013 hatten sie Freysinger mit einer Rekordstimmenzahl in die Kantonsregierung gewählt. Der erste SVPler in der CVP-Herrschaft. Der Mann mit dem Rossschwanz jubelte: «Das Wallis wird nie mehr dasselbe sein.» Viele hofften, auch unter den Christlichen, der SVP-Nationalrat werde die alte Clan-Wirtschaft im Kanton etwas aufmischen. An Korruption und Justizwillkür kratzen. Ein bisschen jedenfalls. Ein Gymilehrer, und sei er von der SVP, konnte so schlimm nicht sein. Er hatte ja auch gegen die Zweitwohnungsinitiative geweibelt. Jedenfalls war er kein Sozi. Aber fast so schlagfertig wie Peter Bodenmann, der auch mal Regierungsrat war und Präsident der SP Schweiz. Da sah man Freysinger den häufigen Griff ans eigene Gemächt billigend nach. Dass er als Nationalrat kräftig für die Anti-Minarett-Initiative geweibelt hatte und auch sonst ein radikaler Islamhasser war, freute viele Walliser CVPler. Schliesslich gehen manche noch immer bei den katholischen Fundis von der Piusbruderschaft in Ecône zur Beichte.

Der sadistische Sheriff

Doch aus der Minne zwischen SVP und CVP wurde nichts. Bodenmann ahnte, Freysinger sei ein «Flipperkasten». Tatsächlich ging Freysinger vom ersten Tag an daran, sich selbst zu demontieren. Von Skandal zu Skandal. Ein Bonmot in den Visper Beizen geht so: «Was ist die kürzeste Distanz zwischen zwei Fettnäpfen: 1 Freysinger.»

Es begann damit, dass Freysinger sich nicht aus dem Nationalrat zurückziehen wollte. Er musste. Dann forderte der Erziehungsminister von seinen Lehrerinnen und Lehrern, sie sollten Kinder von Sans-papiers denunzieren – damit sie samt Eltern ausgeschafft werden könnten. Viele Lehrer hatten Freysinger gewählt, weiss Mathias Reynard, mit 30 Jahren schon wiedergewählter Walliser SP-Nationalrat und Lehrer (und Unia-Mitglied). Reynard rief zum Widerstand auf, die Lehrkräfte verweigerten den Denunzierungsbefehl. Reynard: «Danach sind immer neue Konflikte aufgebrochen: Weil Freysinger das Budget für die Erziehung kürzte. Weil er gegen kleine Klassen war. Weil er die Zweisprachigkeit schwächte. Den Rest gab ihm die Affäre Cleusix.»

Jean-Marie Cleusix, Freysingers Erziehungsdirektor und ehemaliger Berufsmilitär, agierte, so der Lehrerverband, «kontrollsüchtig», «paranoid» und «sadistisch». Übername: «Sheriff». Freysinger deckte den katholischen Reaktionär Cleusix drei Jahre lang. Unterlagen über eine angebliche hohe Steuerschuld verschwanden. Am Ende war der Mann nicht mehr zu halten. Vom Parlament suspendiert, bekam er einen Job am Collège von Saint-Maurice. Dort soll er, ausgerechnet, politische Ethik unterrichten. Studierende wehrten sich mit einer Petition, drei Parteien und die Lehrerschaft protestierten.

Der zu kleine Notausgang

So treibt’s Freysinger. Systematisch machte er sich Milieu um Milieu zum Feind. Sogar die Feuerwehr brachte er gegen sich auf. Als der regionale Feuerinspektor einen Notausgang eines Zermatter Clubs als zu klein befand, eilte Freysinger dem Clubbesitzer zu Hilfe, angeblich mit dem Metermass in der Hand. Der Club durfte eröffnet werden. Feuerwehrleute warnten darauf in den sozialen Medien vor vielen Toten im Brandfall – und vor der Wiederwahl Freysingers.

Offensichtlich hat die SVP ein Problem mit dem Regieren. Wo ihre Leute Wahlen gewinnen, scheitern die Rechtsaussen oft. Blocher sah sich als Superregierer, wollte den Bundesrat wie einen Verwaltungsrat rumbefehlen. Demokratie ist keine SVP-Qualität. Manche Blocher-Jünger spüren sich nicht mehr, sobald sie ein Ämtlein besetzen. Freysinger machte seinen Verleger, den ultranationalistischen Russenfreund Slobodan Despot zum Chefberater und Redenschreiber. Despot leugnet den Völkermord von Srebrenica, bei dem serbische Einheiten Tausende Muslime töteten.

Freysinger auch. Und er verehrt Putin. Vom russischen Ideologen Alexander Dugin inspiriert, rief der Walliser die «konservative Revolution» aus. Mit Trump als «Hoffnungszeichen». Dann holte er Piero San Giorgio als Sicherheitsberater zum Kanton. Der Mann, der in Wirklichkeit Piero Falotti heisst, ist ein rechtsextremer Apokalypse-Theoretiker. Kranke und Behinderte dürften nicht existieren, gab der Millionär, der vom Oracle-Konzern kommt, in einem Video zum besten. Nach Protesten wurde San Giorgio gefeuert. Freysinger mimte Unschuld, er kenne San Giorgio gar nicht. Dumm nur, dass er auf seinen eigenen Blog ein Filmchen stellte, das ihn im angeregten Weltuntergangs-Gefasel mit San Giorgio zeigt. Er duzt San Giorgio. Der brachte Freysinger auch mit dem französischen Neonazi Alain Soral zusammen. So wundert es wenig, dass Freysinger, der Mann mit der Reichkriegsflagge im Home-Office, von Rechtsradikalen, Islamfeinden und Ultranationalisten europaweit als Redner herumgereicht wird.

Genau dies werfen ihm einige SVP-Kader vor, trotz Freysinger-Verehrung in der «Weltwoche» (Roger Köppels «Ode an Freysinger»): dass er nicht kaschiert, worauf starke Teile der SVP wirklich bauen und abzielen.

Die falsche Maria

Inzwischen wird es wohl nur noch wenige Walliserinnen und Walliser geben, die nicht irgendwann eine Anti-Freysinger-Petition unterschrieben haben. Ein Wahlkampfplakat der SVP zeigte eine verhärmte «Maria», eine angebliche Familienmutter, die ihre Miete nicht mehr bezahlen kann. Und darunter der Satz: Der Staat bezahlt 650 000 Franken pro Monat für die Miete von Migranten. «Maria» gibt es nicht, das Foto wurde von einer Datenbank eingekauft. Daraufhin empfahlen die Juso, Freysinger solle seine 80 000-Franken-Rente doch einfach spenden. Ein Lehrer, Yannick Délitroz, schrieb einen Aufruf gegen die Plakate unter dem Titel: «Schande über Euch!». Worauf sich 1000 Leute an einer Anti-Freysinger-Demo in Sitten einfanden.

In der Not gab sich der SVP-Star selbst den Rest: In seinen Adern fliesse sowieso kein welsches Blut. Aber viel Tiroler Saft. Und deutscher. So scheiterte Oskar, der SVP-Trommler: Bei Europas Völkischen war er ein Star. Zu Hause brachte er das Volk ziemlich geschlossen gegen sich auf. Eine breite Abwahlkampagne, von «Schneiden wir ihm den (Ross-)Schwanz ab!» bis zum «Aufstand der Anständigen», schickte ihn nach Hause.

Wahlbetrug: Steile Thesen

2124 Stimmen fehlten Oskar Freysinger zur Wiederwahl. Das ist nicht knapp. Trotzdem verlangt die SVP eine Wiederholung der Wahl. Ihr Anlass: Wahlbetrug in Brig-Glis, Naters und Visp. In zwei Gemeinden stehen SVP-Männer an der Spitze, in der dritten ein CVPler. Offenbar wurden ein paar Dutzend Couverts mit den Wahlunterlagen aus Briefkästen gefischt.

Skandal. Eine erste SVP-Beschwerde gegen die Vereidigung der Staatsräte wurde vom Grossen Rat abgelehnt; weitere sind hängig. Allerdings: Die knapp 100 Wahlzettel verändern die Reihenfolge nicht. Über die Hintermänner wird – Wallis bleibt Wallis – heftig spekuliert. Steilste These: Der Wahlbetrug wurde von SVPlern inszeniert, die mit der Abwahl von Freysinger im zweiten Wahlgang rechneten – und auf Vorrat einen Skandal produzieren wollten. Die Untersuchungen dauern an. (stu)