Es rockt von rechts

Neonazi-Aufmarsch in einer Tennishalle im lieblichen Toggenburg, Ende Oktober 2016 war’s. Der deutsche Rapper Julian Fritsch, der sich Makss Damage nennt, skandiert: «Ich leite Giftgas lyrisch in Siedlungen, die jüdisch sind», und 6000 Rechtsextreme grölen mit. Am selben Konzert in Unterwasser (SG) singt die Band Stahlgewitter Sätze wie: «Wir brauchen sie wieder, das ist kein Witz, die Jungs in Schwarz mit dem doppelten Blitz.» Gemeint ist Hitlers «Schutzstaffel», die SS.

Ein Anlass, der nie hätte stattfinden dürfen. Die Polizei, wiewohl vorgewarnt, liess Musiker und Meute gewähren. «Der Einsatzleiter war mehrere Male in der Halle, der Wortlaut der Songtexte war schlichtweg nicht zu verstehen», begründete der St. Galler Polizeisprecher hernach das Nichteingreifen, «es wurde dementsprechend keine Zuwiderhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm festgestellt.»

Dumm nur, dass in einem publik gewordenen Video der Song einer Band namens Frontalkraft deutlich zu verstehen ist, zumal er aus Tausenden Kehlen mitgesungen wird: «Die Stärke deutschen Glaubens habt ihr deutlich unterschätzt. Doch die Antwort darauf, sie kommt jetzt. Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen, weiss sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut auf dem Asphalt.» Die Schweizer Rockgruppe Amok war schon 2005 dabei gefilmt worden, wie sie sang: «Wetzt die langen Messer, lasst die Messer flutschen in den Judenleib.» Amok spielten ebenfalls auf in Unterwasser. «Abhitlern» nannten Konzertteilnehmer ihr Tun später schwärmerisch auf Facebook.

Empörung ging durchs Land, Politikerinnen und Politiker aller Couleur bekräftigten, so etwas dürfe nicht wieder vorkommen. Aber nur wenige Wochen später, am 14. 1., durfte Neonazi Fritsch seine gesetzeswidrigen Verse im luzernischen Willisau schon wieder öffentlich darbieten. Eingeladen hatte die Partei national orientierter Schweizer (Pnos). Die Polizeikorps sechs verschiedener Kantone konnten das Konzert nicht verhindern. Auch Dominic «Gixu» Lüthard, der schon mehrfach auf der Pnos-Liste für den Berner Grossen Rat kandidierte, trat in Willisau auf.

Rock von rechts erschüttert die Schweiz, aggressiv, brachial, dummdreist. «Ihr linken Fotzen, bei eurem Anblick kann man ja nur kotzen», lautet ein Refrain von Amok. Die Texte sind rassistisch, antisemitisch, ausländer- und frauenfeindlich; wer will, kann sich die gebrüllten Naziparolen auf Youtube anhören.

Wir müssen von der Vorstellung Abschied nehmen, Rockmusik sei per Definition links. Anfänglich, ja, da war der Rock’n’Roll allein schon deshalb revolutionär, weil er gegen die Moral seiner Zeit verstiess: 1954 entfesselte Elvis Presley mit seinem Hüftschwung das prüde Amerika, und seine Musik war von enormer gesellschaftspolitischer Sprengkraft. Hier brachte ein Weisser die Musik der Schwarzen ins streng rassengetrennte weisse Radio, er adelte gleichsam die afroamerikanische Kultur und riss Rassenschranken ein.

Rock galt in der Folge als rebellisch, er wurde zum Soundtrack neuer Lebensformen, begleitete Flower Power, den studentischen Aufbruch von 1968, die Vietnam-Proteste und die Bürgerrechtsbewegung. Freilich war Rock, diese «junge», unangepasste Musik, stets nur ein Medium, welches das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Minderheit transportierte und deren Botschaften befeuerte: von «Make Love, Not War!» bis «Free Nelson Mandela!», von «Peace, Love and Happiness» bis «Sous les pavés la plage», von «Wo wo Wohnige?!» bis «AJZ bleibt!».

Es ist nur folgerichtig, dass das Transportmittel Rock bald auch vom anderen Rand des politischen Spektrums vereinnahmt wurde.

In den USA bedienen sich längst auch stramme Patrioten der Rockmusik, allen voran Kid Rock. Er mimt den langhaarigen Sauf- und Raufbold, spricht – wie Donald Trump, den er offen unterstützte – bewusst die frustrierten weissen Männer an und schwenkt in seinen Shows die Konföderierten-Flagge, die für Sklaverei und Rassentrennung steht. Er und der reaktionäre Hardrocker Ted Nugent galten für Trumps Amtseinsetzung als gesetzt, stattdessen trat an den Feierlichkeiten dieser Woche dann nur eine Reihe kaum bekannter Musiker auf, dazu der Country-Haudegen Toby Keith.

Wenn sich Lemmy Kilmister von Motörhead Eicheln und Eichenblätter in einen handgefertigten E-Bass schnitzen liess – Motive, die er von alten SS-Uniformen abgeschaut hatte –, betonte er stets, er sympathisiere keinesfalls mit der Sache, ihm gefalle nur die Ästhetik. Die englische Band Skrewdriver aber setzte schon Ende der 1970er Jahre offen auf nationalistische Slogans und rechtsextreme Hetze. So richtig hässlich wurde es einige Jahre später in Deutschland. Die Rechtsrock-Bands trugen Namen wie Endsieg, Kahlkopf und Störkraft, an ihren Konzerten waren «Sieg Heil!»- und «Ausländer raus!»-Rufe zu hören. All diese Gruppen operierten klandestin, verbreiteten ihre Tonträger auf verschlungenen Wegen und wurden kaum je breit wahrgenommen. Ausser, es wurde wieder einmal ruchbar, dass sich rassistische Attentäter wie diejenigen von Mölln und Solingen an ihrer Musik aufgegeilt hatten.

Das änderte sich Ende der 1990er Jahre. Der Rechtsrock enterte, von grossen Plattenfirmen wie Virgin und Epic unterstützt, den Mainstream. Der Trick: Man bediene sich faschistoider Posen, ohne sich bei faschistischen Aussagen erwischen zu lassen. Vorreiterin war die Band Böhse Onkelz. Hatte sie früher Lieder mit Titeln wie «Türken raus!» und «Deutschland den Deutschen» gesungen, distanzierte sie sich nun halbherzig von solcherlei «Jugendsünden». Doch die Texte blieben von Blut-und-Boden-Vokabular durchsetzt und schürten ein dumpfes Wir-Gefühl. Ob sie Sex mit einer Leiche oder eine Inzestvergewaltigung besangen, die Onkelz forderten eine reaktionäre Lesart ihrer Lieder geradezu heraus. Weil sie zudem eine Namensänderung stets ablehnten, blieben sie trotz allen Beteuerungen bis heute eine Kultband der Rechtsextremen.

Subtiler machten es Rammstein. Die Punkmusiker aus Schwerin kamen aus der einstigen DDR in den Westen, besser: Der Westen kam zu ihnen. Und es war ein jähes Erwachen: Jedes Tabu war hier schon gebrochen. Wie sollten sie noch provozieren? Rammstein begannen mit rollendem Hitler-R und gewaltstrotzendem Herrenmenschengehabe zu kokettieren, sie sangen von Vätern, die sich an ihren Töchtern vergreifen – «mit ihrem eigen Fleisch und Blut sich paaren» –, und zeigten in einem Videoclip Szenen aus dem Film «Olympia» der Nazi-Filmerin Leni Riefenstahl. In England distanzierte sich der schwarze Künstler Goldie, wie Rammstein beim Plattenmulti Polygram unter Vertrag, vom «Nazi Video», wie der «New Musical Express» es nannte; in der Schweiz führten Parolen wie «Deine Grösse macht mich klein, du darfst mein Bestrafer sein» und «Bück dich, befehl ich dir» an die Spitze der Hitparade.

Schlau und beredt wies Sänger Till Lindemann den Nazi-Vorwurf stets von sich. Doch die «falschen» Fans wurde er nie los. Was die Frage aufwirft, wie sehr Künstler für die Rezeption ihrer Werke verantwortlich seien. Campino von den Toten Hosen hat eine klare Antwort: «Diese diffusen Kapellen spielen mit dem Faschismus rum, ohne sich klar zu distanzieren, und nehmen es in Kauf, dass sie die Nazis im Konzert haben. Das fängt bei den Böhsen Onkelz an und hört bei Rammstein auf.» In ihren eigenen Konzerten dulden die Toten Hosen keine Skinheads und keine Hakenkreuze. «Wir wollen klar das linke Gegengewicht sein zur ganzen Rechts-Rock-Musik, die sich den Kids anbietet.»

Doch bald hatte jedes Label eine Band unter Vertrag, die mit gotischem Gedröhne und düsteren Gebärden Deutschtümelei betrieb, jedoch beteuerte, mit Politik nichts am Hut zu haben – als liessen sich die Gesten aus ihrem gesellschaftlichen Kontext lösen, als dürfte Rockmusik ihre Wirkung ignorieren. Das Genre hiess «Neue Deutsche Härte» und setzte auf das Protest- und Frustpotenzial einer desillusionierten Jugend, die ihre Eltern schockieren wollte. «Der Spiegel» ortete im Osten Deutschlands «eine rechtsradikale Subkultur, deren Pop-Begriff aus den Untiefen einer deutschnationalen Gefühlslage stammt».

Derweil mutierte diejenige Rockmusik, die einst als zu laut, zu derb, zu schräg angefeindet wurde, zu Biedermeier. Es ist kein Widerspruch mehr, dass sich der SVP-Saubermann Roger Köppel am AC/DC-Konzert zeigt. Und formal ist der Rock so gängig geworden, dass der Inhalt überhört wird. Bruce Springsteen muss sich immer wieder dagegen wehren, dass sein kritisches «Born in the USA» als patriotische Hymne missverstanden wird.

Nun dröhnt der Rechtsrock also in der Schweiz. Schon Gölä hätte uns 1998 lehren sollen, dass Rock nicht nur urban, juvenil und links ist, sondern sich auch an Büezer und bürgerliche Wähler richten kann. Mit harmlosen Liedlein bediente er kleinbürgerliches Fernweh, in Interviews sonderte er dagegen krude Sätze ab wie: «Wenn irgendwo eingebrochen wird, war es halt meistens ein Jugo.» Achtzehn Jahre später stürmt wieder einer die Charts, über den die Feuilletons keine Zeile verlieren: Trauffer. Mit rockiger Heimattümelei hat der KMU-Unternehmer aus dem Berner Oberland, der im Hauptberuf eine Schnitzerei für Holztiere betreibt, 2016 in der Schweiz mehr Platten verkauft als alle anderen. Natürlich ist Trauffers Musik kein Rechtsrock, nur ein Rechtsröcklein light, das niemandem weh tut und aufzeigt, wie domestiziert der Rock inzwischen geworden ist.

Der Rechtsrock hingegen, der in Unterwasser und Willisau an illegalen Konzerten zelebriert wurde, ist die einzige Jugendkultur, die Eltern noch erschrecken kann. Er hat, und dies ist die schmerzhafte Erkenntnis, all das, was Rockmusik einst so aufregend machte: das Rebellische, Aussenseiterische, Gefährliche, den Ruch des Verwegenen, Verbotenen. Nazirock ist die neue Gegenkultur – nur von der anderen Seite.

6000

Rechtsextreme marschierten Ende Oktober 2016 zu einem Neonazi-Konzert in Unterwasser (Toggenburg) auf. Die Polizei blieb untätig.

Dominic Lüthard

Der Vorsitzende der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) trat als Rocksänger in Willisau auf.

Die Band Stahlgewitter singt: «Wir brauchen sie wieder, das ist kein Witz, die Jungs in Schwarz mit dem doppelten Blitz.» Gemeint ist Hitlers SS.

Der Rechtsrock, der in Unterwasser und in Willisau zelebriert wurde, ist die einzige Jugendkultur, die Eltern noch erschrecken kann.