Aargauer Zeitung: Politiker in Bern suchen nach Wegen, wie Neonazi- Konzerte wie jenes im Toggenburg verhindert werden können. Thema wird ein Index wie in Deutschland
Das Neonazi-Konzert in UnterwasserSG vom Wochenende bringt die Bun- despolitiker in Rage. Vor der Sicherheitskommission (SIK) des Nationalrats musste sich Markus Seiler, Chef des Nachrichtendienstes (NDB), gestern erklären: Warum hat der Dienst nicht früher vor dem Konzert gewarnt, zu dem 5000 Rechtsextreme aus halb Europa anreisten?
Seiler vermochte die Gemüter zu beruhigen. Der NDB hatte etwa Mitte Woche von einem ausländischen Partnerdienst erfahren, dass die Rechtsextremen ein Konzert organisieren wollten. Umgehend warnte er die Kantone. Erst wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn kannte der Geheimdienst allerdings den genauen Ort. Zu spät offenbar für die St.Galler Kantonspolizei, mit einem Grossaufgebot zu reagieren.
«Sache der Kantone»
Corina Eichenberger, Aargauer Nationalrätin und SIK-Präsidentin, sagt: «Wir haben von NDB-Chef Markus Seiler Auskunft zur Sache erhalten.» Inhaltlich will sich die SIK-Präsidentin nicht zu Seilers Ausführungen äussern. Sie betont aber: «Der NDB hat aufgrund der gesetzlichen Vorgaben gehandelt. Im Moment sehe ich keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Was man tun muss: Augen und Ohren offenhalten.» Der NDB habe also richtig reagiert und schnell gewarnt. «Danach war es Sache des Kantons, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen.»
Was tun gegen die braune Brut? SVP-Nationalrat Adrian Amstutz (BE) sagt: «Was es vor allem braucht, ist mehr Aufmerksamkeit: Da sind gerade die Vermieter von solchen grossen Hallen zusammen mit den Standortgemeinden und Kantonen gefordert.» Er macht klar: «Die Texte dieser Nazi-Bands sind absolut nicht tolerierbar. Aber Rechts- und Linksextremisten gehören in die gleiche Kategorie der Demokratiefeinde, das ist das gleiche Pack, nur sind die Linksextremen in der Schweiz weit gewalttätiger.» Amstutz beklagt, ähnlich wie Corina Eichenberger, dass dem NDB auch mit dem neuen Gesetz «leider die Hände gebunden» seien: «Er kann hier nicht einfach vorsorglich Telefone abhören, das wollten die rotgrünen Parteien ja nicht, wir wären da eher weiter gegangen.»
Die Frage, die Politiker umtreibt: Braucht es mehr Gesetze, um solche Aufmärsche zu verhindern? GLP-Nationalrat Beat Flach (AG) sagt: «Lieber nicht, aber wenn solche Vorfälle sich häufen, müssen wir uns diese Frage stellen. Es darf nicht sein, dass unsere Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit von solchen Gruppen missbraucht wird. Die Schweiz darf nicht zum braunen Fleck auf der Landkarte werden.» Er betont: «Es zeigt sich auch, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten im Ausland ist, sie muss noch verstärkt werden. Auch bei den kantonalen Stellen muss das Vorgehen bei solchen Ereignissen noch besser koordiniert werden.»
Alarmiert ist Jakob Büchler, CVP-Nationalrat (SG). In Deutschland seien die Auftritte solcher Bands offenbar verboten, sagt er. Die Schweiz müsse prüfen, ob sie ihre Gesetze angleichen müsse. Um zu verhindern, dass die Nazis zu uns ausweichen.
So wird jetzt ein Index wie in Deutschland ein Thema. Der Berner SP-Nationalrat Corrado Pardini sagt: «Wir brauchen ein Monitoring dieser Bands wie in Deutschland. Rockgruppen, die mit ihren Texten oder durch Bilder gegen die Rassismusstrafnorm verstossen, gehören auf einen Index und verboten.» Pardini schwebt vor, dass Veranstalter den Vermietern der Lokale zwingend den Namen der Band melden müssen. «Das ist ein einfaches Instrument und erleichtert Bund, Kantonen und Gemeinden die Arbeit.» Aber: «Es braucht ganz klare Regeln, wir dürfen nicht in Zensur verfallen», sagt Corrado Pardini.
«Einreisesperren möglich»
Politiker wie Beat Flach sind skeptisch: «Möglich ist bereits heute, gegen solche Bands eine Einreisesperre zu verhängen. Wie bei Hasspredigern und Holocaust-Leugnern.»
Der Bund kann schon heute Einreisesperren verhängen, wie Mediensprecherin Lulzana Musliu vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) sagt. Das geschehe durch das Fedpol, auf Antrag des NDB. «Das Verhängen einer Einreisesperre wäre theoretisch denkbar gewesen, wie das im Fall des kroatischen Sängers Thompson etwa geschehen ist», sagt sie zum aktuellen Fall. Gemäss Ausländergesetz darf einreisen, wer keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die internationalen Beziehungen der Schweiz darstellt.
Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) hat inzwischen Strafanzeige gegen die Veranstalter und die Bands in Unterwasser eingereicht. Die rechtsextreme Pnos kümmert das wenig. Sie organisiert am Samstag in Rapperswil ein Konzert mit einer deutschen Rechtsrock-Band.
Nachrichtendienst: «Erhebliches Gewaltpotenzial»
Vier Fragen über Rechtsextreme, die sich nach dem «Rocktober»-Konzert in Unterwasser stellen.
1 Wie gefährlich ist die rechte Szene in der Schweiz?
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hielt 2015 in seinem jährlichen Lagebericht fest: «Weiterhin besteht ein erhebliches Gewaltpotenzial in der rechts- wie in der linksextremen Szene.» Die Einschätzung wiederholte er Anfang 2016. «Ihre menschenverachtende Einstellung findet (wenn auch selten) ihren Ausdruck in körperlicher Gewalt. Waffen kommen dabei allerdings nur sehr vereinzelt zum Einsatz, auch Brandanschläge sind selten.» Der NDB geht davon aus, dass in der Szene «vielfach grössere Sammlungen funktionstüchtiger Waffen bestehen».
2 Wie sind die Rechtsextremen in der Schweiz organisiert?
Am bekanntesten sind die Skinheadgruppierungen «Blood&Honour» und Hammerskins, die international organisiert sind. Sie werden vom NDB beobachtet. Die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) bildet den politischen Arm.
3 Was haben Konzerte mit Rechtsextremismus zu tun?
Die Schweizer Gesellschaft lehnt rechtsextremes Gedankengut ab, wie der Nachrichtendienst in seinem Lagebericht 2016 schreibt. Deshalb sei es für Rechtsextreme schwierig, Versammlungsorte zu finden. Veranstaltungen, dazu zählen auch die Konzerte vom Samstag in Unterwasser oder vom nächsten Wochenende irgendwo in der Schweiz, werden deshalb «unter Angabe eines unverfänglichen Grundes gemietet», so der NDB. Und wie in Unterwasser passiert, wird der Ort bis kurz vor Veranstaltungsstart selbst für die Szene geheim gehalten. Musik und Konzerte sind eine Möglichkeit, rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten.
4 Darf man alles sagen – oder singen?
Nein, und deshalb hat die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus gestern Strafanzeige gegen die Veranstalter des Rechtsrock-Konzerts in Unterwasser und gegen die Bands eingereicht – wegen Verletzung der Rassismus-Strafnorm. Die Texte der Bands sind teilweise verboten.
Bekannter Rechtsextremist kommt in die Ostschweiz
Die Pnos spricht von einem «Balladeabend». Der Flak-Sänger ist jedoch bekannt
6000 Rechtsextreme besuchten am Samstag ein Konzert im toggenburgischen Unterwasser. Die Schweiz ist schockiert – doch eine deutsche Rechtsband namens «Flak» kann das nicht verstehen. «Die Schweiz steht kopf – ohne Grund», postete die Band gestern Abend auf Facebook. Und: «Danke für die Werbung». Sie machte sich nicht nur lustig über die «schreibende Gutmenschen-Brigade», die «keine Beweise» für Straftaten habe. Die Band ruft auch noch auf, am Samstag wieder in die Schweiz zu reisen für einen «sympathischen Balladeabend von Phil». Aus der Nachricht wird deutlich, dass Phil am letzten Abend auch in Unterwasser war.
Phil, das ist der Sänger der Band Flak. Er tritt am Samstag an einer Veranstaltung der Pnos (Partei national orientierter Schweizer) auf. Gemäss der Organisation Antifa findet der Anlass in Rapperswil statt. Pnos-Präsident Dominic Lüthard will diese Information weder bestätigen noch dementieren. Er sagt nur, dass der Anlass in der Ostschweiz durchgeführt werde. Lüthard kann nicht verstehen, dass die Veranstaltung für Schlagzeilen sorgt. Sie sei nicht mit dem Konzert in Unterwasser vergleichbar – ausser dass es um ein ähnliches Gedankengut gehe. Die Pnos feiere die Gründung von fünf neuen Sektionen in der Ostschweiz. Für den musikalischen Rahmen sei der Sänger von Flak verantwortlich: «Es handelt sich nicht um ein Rockkonzert, sondern um einen Balladeabend.» Gemäss Lüthard wird die Veranstaltung in einem privaten Rahmen durchgeführt. Deshalb erstaunt es auch nicht, dass in Rapperswil-Jona kein Bewilligungsgesuch der Pnos eingegangen ist, wie Stadtschreiber Hansjörg Goldener sagt.
In den Augen des Pnos-Präsidenten, er bezeichnet die Berichterstattung um das Neonazi-Konzert im Toggenburg als «Hexenjagd», handelt es sich bei Phil also um einen harmlosen Balladensänger. Indes: Er ist in der rechtsextremen Szene ein beschriebenes Blatt. So ist der Sänger involviert in einen der grössten Neonazi-Prozesse in Deutschland. Am Landgericht Koblenz wird seit vier Jahren der Prozess gegen das Aktionsbündnis Mittelrhein verhandelt. Die Staatsanwaltschaft wirft den 26 Angeklagten unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen vor.
Die Band Flak hatte ihr erstes Album 2010 veröffentlicht, es wurde in Deutschland auf den Index gesetzt. Seit der Razzia gegen das Aktionsbündnis Mittelrhein im 2012 hat die Band keine Konzerte mehr gegeben. Im letzten Jahr hat sie nun ihr zweites Album veröffentlicht und im November wird die Band ihr erstes Konzert seit vier Jahren spielen: An einem Neonazi-Event in Deutschland – zusammen mit Frontalkraft, eine Rechtsrockband, die in Unterwasser auf der Bühne stand. Aus Facebook-Einträgen von Flak lässt sich schliessen, dass der Vorverkauf für den Event am letzten Samstag gestartet wurde – im Toggenburg.
Dominic Lüthard
Der 33-jährige Dominic Lüthard kommt aus dem Oberaargau und ist Präsident der Pnos (Partei national orientierter Schweizer). 2002 wurde er wegen Landfriedensbruch verurteilt. Lüthard fiel mehrfach durch seine Äusserungen auf. Die ehemalige Miss Schweiz Whitney Toyloy bezeichnete er etwa als «Geschwür». 2011 hetzte er auf dem Rütli gegen «ausländisches Lumpenpack». Gemäss Lüthard hat die Pnos 400 Mitglieder: «Wir sind Eidgenossen und unser Ziel ist, dass in 50, 70 oder 100 Jahren in der Schweiz die Eidgenossen immer noch in der Mehrheit sind.»