St. Galler Tagblatt: Der St. Galler Sicherheitschef Fredy Fässler wehrt sich gegen den Vorwurf, die Polizei habe auf die Rechtsextremen im Toggenburg falsch reagiert. Und er sagt, warum auch eine Bundespolizei das Problem nicht gelöst hätte.
Fredy Fässler, der Neonazi-Aufmarsch im Toggenburg liess sich offenbar nicht verhindern. Müssen wir mit solchen Anlässen leben?
Nein, das sehe ich nicht so. Wir wollen hier keine solchen Anlässe und werden alles dafür tun, dass sie nicht stattfinden.
Am Samstag ist das nicht gelungen.
Man wusste hier schlicht zu wenig. Diese 5000 Leute standen irgendwann plötzlich in Unterwasser. Die Polizei hat etwa eine Stunde vor Beginn erfahren, wo der Anlass stattfindet. Bekannt war, dass irgendwo im süddeutschen Raum ein Rechtsrock-Konzert stattfinden wird. Man wusste aber nicht, wo.
Wieso nicht?
Diese Organisatoren mieten jeweils drei, vier verschiedene Hallen an und geben den tatsächlichen Veranstaltungsort erst im letzten Moment bekannt. Die Besucher bleiben so lange in Warteräumen, am Samstag waren dies Basel und Ulm. Diese Leute wurden observiert. Wir wussten aber nicht, wo sie hinwollten. Wir hätten auch keine rechtliche Handhabe gehabt, um sie zu stoppen.
Wie können solche Anlässe trotzdem verhindert werden?
Wir müssen bei der Bewilligung ansetzen. Die Gemeindepräsidenten müssen bei Gesuchen für solche Konzerte viel genauer hinschauen: Wer stellt das Gesuch? Was für ein Konzert findet statt? Welche Bands treten auf?
Die Veranstalter vom Samstag gaben vor, ein Konzert für Nachwuchsbands zu organisieren.
Ja. Und das wurde auch bewilligt. Was dann tatsächlich stattgefunden hat, wäre nie und nimmer bewilligt worden. Das war aber am Samstag nicht mehr relevant, diese 5000 Leute waren nun einmal da. Um eine solche Versammlung aufzulösen, wäre ein gigantisches Polizeiaufgebot nötig gewesen. Man musste ja davon ausgehen, dass darunter etliche gewaltbereite Personen waren.
Was hat konkret gefehlt, um den Anlass zu verhindern?
Die Information. Der Gemeindepräsident hätte den Anlass niemals bewilligt, wenn er gewusst hätte, was hier abgeht.
Laut Polizei war die Verfolgung von strafbaren Handlungen gegen das Antirassismusgesetz nur zweitrangig. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, solche Verstösse festzustellen.
Natürlich hätte man reingehen und Videoaufnahmen machen können. Aber das braucht mehr Vorbereitung. Die Veranstalter haben die Besucher aufgefordert, keine Handys und Kameras in die Halle mitzunehmen. Die wollten also nicht, dass gefilmt wird. Wir wissen nicht, wie die Leute auf filmende Polizisten reagiert hätten.
Letztlich ging es also um Schadensbegrenzung.
Ja. Etwas anderes ist in einem solchen Fall nicht mehr möglich. Das Risiko einer Eskalation wurde von der Polizei als zu hoch eingeschätzt. Sie konzentrierte sich deshalb auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in Unterwasser.
Die St. Galler Kantonspolizei hätte ohnehin nicht genügend Beamte, um einen solchen Aufmarsch zu verhindern.
Das ist keine Frage der Grösse des Polizeikorps. Solange ein Anlass mit 5000 Leuten nicht ausartet, löst man ihn nicht auf. Das ist nicht zu verantworten.
Wie viele Polizisten würden denn zur Verfügung stehen?
1500, möglicherweise auch 2000. Aber nur, wenn man es planen kann. Beim WEF oder dem Europacupfinal weiss man zwei Monate im Voraus, wie viele Polizisten man braucht. Dann kann man bei anderen Kantonen zusätzliche Beamte anfordern. Aber innerhalb von zwei Stunden geht das niemals.
Diskutiert wird nun auch wieder, ob die Kantonspolizei das richtige Organ ist, um einen solchen Aufmarsch zu verhindern. Braucht es eine Bundespolizei?
Für mich ist der Fall klar: Das ist eine Aufgabe für die Kantonspolizei. Eine Bundespolizei würde das Problem nicht lösen. Diesen Anlass hätte man auch mit 1000 Polizisten nicht aufgelöst. Solange ein solcher Anlass nicht ausartet, kann er auch von einer Bundespolizei nicht mit Wasserwerfern aufgelöst werden.
Man hat aber nie eine Garantie, dass nichts passiert.
Das stimmt. Man wirft jetzt der Polizei ja vor, dass sie nichts gemacht habe. Wenn sie aber mit 500 Beamten aufmarschiert wäre und es Schlägereien und Verletzte auf beiden Seiten gegeben hätte, dann hätte es garantiert noch mehr Kritik gehagelt. Man muss immer abwägen.
Was ist schlimmer: Ein Aufmarsch von 5000 Neonazis ohne Zwischenfälle oder eine Demo von ein paar Dutzend Linksextremen mit Sachbeschädigungen in der Höhe von mehreren hunderttausend Franken?
Dieser Vergleich ist überflüssig. Ich will weder den Schwarzen Block noch Rechtsextreme im Kanton.
Das Bundesgericht hat festgehalten, dass Neonazi-Konzerte mit mehreren tausend Besuchern kein Privatanlass sein können. Die Polizei hat den Anlass in Unterwasser trotzdem als Privatveranstaltung bezeichnet. Eine Fehleinschätzung?
Natürlich war das kein privater Anlass. Ein Konzert mit 5000 Leuten kann niemals privat sein.
Im August haben die Zürcher Behörden ein Konzert des umstrittenen kroatischen Sängers Marko Perkovic verboten. Wäre ein Verbot auch in Unterwasser möglich gewesen?
Man sollte das gar nicht über das Strafgesetz lösen, sondern über das Bewilligungsverfahren. Wenn man gewusst hätte, welche Bands kommen, hätte man zuerst mit dem Besitzer der Halle gesprochen. Bei 5000 Besuchern ist auch der öffentliche Raum tangiert, die brauchen Platz, verstellen die Strasse. Sie hätten also auch eine polizeiliche Bewilligung benötigt. Da hätte man Auflagen machen können bis zum Abwinken.
Die Antirassismus-Strafnorm lässt kein präventives Verbot zu?
Doch, aus meiner Sicht schon. Wenn wir wissen, dass strafbare Handlungen geplant sind und dass wir diese verhindern können, dann würde ich nicht zögern, einen solchen Anlass zu verbieten. Aber wie gesagt: Am einfachsten und wirkungsvollsten ist es, wenn die Gemeinden von Anfang einen Riegel schieben.
Nur funktioniert das alles nicht, wenn die Informationen fehlen.
So ist es. Es sind auch nicht immer alle Hinweise zuverlässig. Zudem sind diese Veranstalter sehr vorsichtig…
…und professionell organisiert.
Ja. Sie kamen mit 150 eigenen Security-Leuten, brachten Absperrgitter und Toi-Toi-WCs mit und karrten ganze Lastwagen mit Getränken heran.
Für die Rechtsextremen war der Anlass ein Erfolg. Dass muss wie eine Einladung wirken, demnächst wieder in die Ostschweiz einzufallen.
Es ist denkbar, dass wieder solche Anlässe in der Ostschweiz stattfinden. Wenn das der Fall ist, muss man über ein generelles Verbot für solche Anlässe diskutieren.
SP fordert unnachsichtiges
Vorgehen der Polizei
Rechtsstaat «Es kann nicht sein, dass bei einem Neonazi-Treffen wie in Unterwasser ein rechtsfreier Raum entsteht. Dadurch erreichen die Neonazis ihre Ziele – und Verlierer ist der Rechtsstaat», sagt Max Lemmenmeier, St. Galler SP-Präsident. Mindestens so wichtig wie «die blosse Aufrechterhaltung einer scheinbaren Ruhe» sei die Durchsetzung des Rechtsstaats. Dazu gehöre die Verfolgung strafbarer Handlungen. Die SP zweifle, dass die Polizei genügend Straftatbestände aufgenommen habe und die Staatsanwaltschaft diese ahnden könne. Die Polizei müsse künftig «unnachsichtig» gegen solche Anlässe vorgehen – «wie sie dies wenn nötig auch bei Sportveranstaltungen tut». (ar, rw)