Luzerner Zeitung: Vergangenheitsbewältigung · Was soll mit Adolf Hitlers Geburtshaus passieren? Österreich sucht den angemessenen Umgang mit einem schwierigen Erbe.
Die Enteignung der Eigentümerin von Adolf Hitlers Geburtshaus im oberösterreichischen Braunau am Inn ist beschlossene Sache. Bis Ende Jahr soll das historisch schwer belastete Gebäude in den Besitz der Republik übergehen. Heftig debattiert wird jedoch weiter über die künftige Gebäudenutzung. Die Kontroverse legt den Finger in eine offene Wunde der österreichischen Erinnerungskultur: Im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit tut man sich noch immer schwer.
Seit mehr als 15 Jahren streitet Österreich um den angemessenen Umgang mit Hitlers Geburtshaus. Befeuert hatte den Streit der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) zu Wochenbeginn. Unter Berufung auf die Empfehlung einer Expertenkommission hatte er angekündigt, das Gebäude solle abgerissen werden. Allein: Diese Empfehlung war nie formuliert worden, wie die Expertenkommission eilig klarstellte. Auch Sobotka ruderte schnell zurück. Man wolle gemäss der Expertenempfehlung eine «tief greifende architektonische Umgestaltung» herbeiführen, «um sowohl den Wiedererkennungswert als auch die Symbolkraft des Gebäudes dauerhaft zu unterbinden», korrigierte er am Montagabend seine eigene Aussage.
Das Haus in der 16 000 Einwohner zählenden Kleinstadt gilt als Pilgerstätte für Neonazis, die Debatte kreist vor allem darum, welche Art der Gebäudenutzung die Anziehungskraft für Rechtsextreme verhindern könnte.
Eine optische Veränderung des Hauses löse das Problem nicht, sagt der Innsbrucker Politikwissenschaftler Andreas Maislinger. «Erstens basiert diese Idee auf der Vorstellung, dass Neonazis Hitlers Geburtshaus weniger anziehend fänden, wenn es anders aussähe. Zweitens würde eine architektonische Veränderung noch mehr Aufmerksamkeit auf das Haus lenken. Jeder würde sich fragen, warum ein 300 Jahre altes Gebäude verändert wird. Und die Antwort wäre: Weil es Hitlers Geburtshaus ist. Das ist eine Überhöhung Hitlers.»
Haus unverändert stehen lassen?
Maislinger plädiert dafür, das unter Denkmalschutz stehende Haus unverändert stehen zu lassen. Zugleich bezweifelt er, dass die Abrissbirne mit dem jüngsten Dementi des Innenministers vom Tisch ist. Sobotka hatte bereits in der Vergangenheit den Abriss des Gebäudes als Option ins Spiel gebracht und damit die Vermutung nahegelegt, er wolle sich eines leidigen Themas entledigen. «Dadurch würde international der Eindruck entstehen, in Österreich werde versucht, eine unliebsame Vergangenheit unter den Teppich zu kehren», sagt Robert Eiter, Sprecher des Oberösterreichischen Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus und Vorstandsmitglied im Mauthausen-Komitee.
Als Reaktion auf den Missbrauch durch Neonazis hatte sein Netzwerk 2012 die Auflösung der Grabstätte von Hitlers Eltern Alois und Klara im oberösterreichischen Leonding erreicht. Im Falle des Geburtshauses sei die Sachlage jedoch eine andere, betont Eiter: «Für Rechtsextreme ist nicht das Geburtshaus das wesentliche Symbol, sondern Braunau als Geburtsort Hitlers an sich.» Die Tatsache, Hitlers Geburtsort zu sein, werde die Stadt nicht mehr los. «Das ist nun einmal so. Man kann nur einen positiven geschichtspolitischen Umgang damit finden.»
Einen solchen sieht Eiter in der Idee des Politikwissenschaftlers Maislinger, aus dem Geburtshaus ein «Haus der Verantwortung» zu machen. Das Geburtshaus soll demnach zu einem Zentrum werden, in dem eine intensive Auseinandersetzung mit Demokratie, Menschenrechten und Zivilcourage stattfindet.
Mit dem Konzept will der Politikwissenschaftler Maislinger der Stadt ein neues «Framing» verleihen. Der Begriff stammt aus der Kognitionsforschung. «Wenn Sie den Namen einer bestimmten Stadt hören, verbindet sich damit sofort ein bestimmtes Bild. Wer Braunau hört, denkt sofort an Hitler.» Das will Maislinger ändern: «Wenn künftig jemand in New York den Namen Braunau sagt, soll sein Gegenüber denken: Das ist die Stadt der Verantwortung.»