St. Galler Tagblatt: Leitartikel
Eine Woche ist vergangen, seit dem unheimlich anmutenden Grossaufmarsch von mehrheitlich ausländischen Rechtsradikalen in Unterwasser. Aus dem Nichts heraus feierte ein über 5000 Personen umfassender brauner Mob im beschaulichen Toggenburg eine Sieg-Heil-Party. Nur die Polizei hat davon angeblich nichts mitbekommen.
Die Rolle der Ordnungshüter wird seither kontrovers diskutiert. Zu Kritik Anlass geben sollte dabei nicht die Tatsache, dass die Polizei dem frivolen Treiben letztlich einfach zugeschaut hat. Was hätte sie auch anderes machen sollen angesichts der massiven numerischen Überzahl der testosterongeschwängerten Partygäste? Polizeikommandant Bruno Zanga hat wohl recht, wenn er sagt, ein Eingreifen hätte Tote verursacht. Sind die ungebetenen Gäste bereits da, ist es sicher klug, eine Deeskalationsstrategie zu fahren.
Weniger glücklich war freilich die Kommunikation von Polizei und Politik nach dem Ereignis. Wer so tut, als sei soeben ein friedliches Erntedankfest gefeiert worden, stellt sich ins Abseits. Wenn 5000 Hitler-Fans auf Schweizer Boden ihre grossdeutschen, rassistischen, menschenverachtenden Träume träumen, dann ist nicht nichts passiert. Dass Polizeikommandant Zanga und sein politischer Chef, Sicherheitsdirektor Fredy Fässler, nun kraftmeierisch ankündigen, so etwas werde man nicht mehr tolerieren, ist zwar verständlich. Jeder von uns würde das an ihrer Stelle auch sagen. Nur glaubwürdig ist die Ankündigung nicht. Warum?
Die Party von Unterwasser legt die Schwäche der staatlichen Sicherheitsorgane auf eindrückliche Weise offen. Mit generalstabsmässiger Planung ist es den Radikalen gelungen, schweizerische und deutsche Polizeikräfte sowie die Geheimdienste der beiden Staaten auszutricksen. Bis wenige Stunden vor den Konzerten hat niemand gewusst, wo genau und in welchem Umfang diese Hitler-Messe stattfinden soll. Als man es schliesslich in Erfahrung bringen konnte, war es unabhängig von der Rechtslage zu spät, wirksame und verhältnismässige polizeiliche Gegenmassnahmen zu treffen. Man konnte nur noch zuschauen und hoffen, dass nichts Schlimmes passiert.
Es ist vernünftig, wenn die St. Galler Polizei die Gemeinden sensibilisieren will, damit diese bei der Bewilligung von Veranstaltungen genauer hinschauen. Es ist auch notwendig, über eine Verschärfung von Gesetzen auf Bundesebene nachzudenken, wie sie da und dort gefordert werden. Doch letztlich sind das kosmetische Massnahmen, die das Katz-und-Maus-Spiel zwischen extremistischen Elementen und staatlichen Sicherheitsorganen nicht beenden können. So, wie es Terroristen immer wieder gelingt, unverhofft zuzuschlagen, dürften auch Nazis weiterhin Wege finden, klandestine Veranstaltungen an Recht und Ordnung vorbei zu organisieren. Sie antizipieren staatliche Überwachungsmethoden und kommunizieren über alternative Kanäle. Es gilt der Grundsatz: Wer nicht auffallen will, darf keine elektronischen Spuren hinterlassen. So hat selbst der deutsche Geheimdienst, der die Neonazi-Szene unterwandert, Personen zu Recherchezwecken mit Tarnidentitäten ausstattet und verdeckt an Treffen teilnimmt, offensichtlich nicht rechtzeitig gemerkt, was abläuft. Der viel kleinere schweizerische Nachrichtendienst sowie die personell bescheiden ausgestatteten kantonalen Polizeikorps waren entsprechend machtlos, dem Aufmarsch Einhalt zu gebieten.
Wie weiter? Dass sich die kleinräumig organisierte Schweiz als Partymeile anbietet, dürfte sich in extremistischen Kreisen herumsprechen. Wenig erbauliche Aussichten. Verschärfte Gesetze, Ausbau von Überwachungsstaat und zusätzliche Polizisten in Ehren: Ohne genug V-Leute in der Szene bekommt man diese leidige Sache kaum in den Griff. Gefragt ist nachrichtendienstliche Knochenarbeit.