zentral+: Seit einer Woche, seit dem Grossaufmarsch von Neonazis im Toggenburg, fragt sich die Schweiz: Wie konnte es soweit kommen? Und warum blieb die Polizei untätig? Warum verschlief der Nachrichtendienst des Bundes den Event? Lange Jahre gehörte auch die Zentralschweiz zu den Zentren der Skinhead-Subkultur. Neonazis werden geduldet.
Autor/in: Hans Stutz
Eigentlich war alles wie schon so oft, nur die Zuschauerzahl war aussergewöhnlich hoch. Mehr als 5000 Besucher, meist Männer, an einem Naziskin-Konzert, das hat es in der Schweiz noch nie gegeben.
«Die Schweiz hat in der Naziskin-Szene den Ruf als ‹Konzertparadies›»
Den bis anhin grössten Anlass hatten die Schweizer Hammerskins im August 2002 hingelegt, als rund 1200 Rechtsextremisten aus mehreren Ländern in einem grossen Festzelt ob Affoltern am Albis sechs Musikgruppen zuprosteten. Die «Sonntagszeitung» hatte damals Wochen vorher vom geplanten Konzert berichtet, allerdings ohne den exakten Ort nennen zu können. Die Polizei hatte die Ankommenden kontrolliert, Medienschaffenden jedoch die Annäherung an den Veranstaltungsort verunmöglicht.
Die staatlichen Ordnungshüter hatten später von den Rechtsextremisten Lob erhalten: «Sie (die Polizisten) machten ihre Arbeit korrekt und waren stets freundlich. Insbesondere entsprachen sie auch unserem Wunsch, die Medien fernzuhalten.»
«Der Nachrichtendienst des Bundes – gemäss Webseite des NDB ‹ein kleiner, aber wirksamer und effizienter Nachrichtendienst› – hatte bis zum Event nichts Genaueres mitteilen können.»
Polizei-Durchsuchungen vor der Konzerthalle.
Neo-Nazi Security lässt Kantonspolizei alt aussehen
Wie üblich war am vergangenen Samstag das Naziskin-Konzert in Unterwasser im Toggenburg konspirativ organisiert. Der Saal war mit einer unzutreffenden Legende angemietet worden, diesmal sollte es sich um den Nachwuchs-Wettbewerb einiger Bands handeln. Den Mietvertrag abgeschlossen hatte ein Mann, der bis anhin noch nie als Rechtsextremist aufgefallen war. Zumindest nicht in der Schweiz. Die anreisenden Zuschauer, die man in den Grossraum Ulm zu reisen hiess, erhielten erst kurzfristig Kenntnis vom tatsächlichen Konzertort, so konnten die Veranstalter das Risiko einer kurzzeitigen Kündigung des Mietvertrages markant verkleinern.
Die St. Galler Kantonspolizei hatte erst vom tatsächlichen Konzertort erfahren, als die ersten Besucher bereits eingetroffen waren. Der Nachrichtendienst des Bundes – gemäss Webseite des NDB «ein kleiner, aber wirksamer und effizienter Nachrichtendienst» – hatte bis zum Event nichts Genaueres mitteilen können. So blieb der St. Galler Kantonspolizei nichts anderes übrig, als im Umfeld der Tennis- und Eventhalle in Unterwasser ein bisschen nach dem Rechten zu sehen. Wie in dieser Subkultur üblich, hatten die Veranstalter einen eigenen Sicherheitsdienst mit 150 Mann aufgezogen, auch, um bei Schlägereien im Saal sofort einschreiten zu können.
Eintrittskarte für das Konzert in Unterwasser.
Noch waren die letzten Besucher nicht auf dem Heimweg, berichtete die Antifa Bern – wieder einmal als erste – über das «Rechtsrock»-Konzert, das unter «den wohlwollenden Augen der Polizei» stattgefunden habe. Die Kantonspolizei bestätigte dies umgehend, lobte die Veranstalter und erklärte auch, sie habe keine Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm feststellen können. Unerwähnt liess sie, dass sie kaum Anstrengungen unternommen hatte, solche Verstösse überhaupt zu dokumentieren. Das ist das Raster, nach dem in der Schweiz rechtsextreme Konzerte ablaufen.
«Zu mir kannst du ruhig Nazi sagen, denn ich stehe dazu.»
Dass es bei Naziskin-Konzerten zu Widerhandlungen gegen die Rassismus-Strafnorm kommt, liegt quasi in der Natur der Sache, die veröffentlichten Tonträger der auftretenden Bands belegen den Verdacht. Auch für das Konzert in Unterwasser. Der Neonazi-Rapper Makss Damage meint über sich: «Zu mir kannst du ruhig Nazi sagen, denn ich stehe dazu.» Auch kokettiert er mit Untaten der nationalsozialistischen Diktatur: «Ich stecke sie [die Zecken] alle gemeinsam in den nächsten Zug nach Buchenwald / Wasch mich mit der Seife ab, genieß den Lampenschirm.»
Die Mitglieder der Schweizer Band «Amok» sind vorbestraft wegen Rassendiskriminierung, da sie auf ihrem ersten Tonträger den Holocaust geleugnet und zur Ermordung von Menschen schwarzer Hautfarbe aufgerufen hatten. Vor über zehn Jahren hatten die vier Musiker jenen Auftritt, der bisher die grösste Beachtung erntete. Die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens SRF konnte im Herbst 2005 verdeckt aufgenommene Aufnahmen eines Konzerts in Brig ausstrahlen. Diese belegten den Vortrag übler antisemitischer Lieder sowie den Verkauf von neonazistischen Schriften und Tonträgern. Sie führten dazu, dass zum ersten – und bis anhin letzten – Mal die Organisatoren eines Neonazi-Konzertes verurteilt wurden. Auch damals hatte die Polizei zuerst gemeldet, sie sei vor Ort gewesen und alles sei ruhig abgelaufen.
«Weisse Rasse» und die Innerschweiz als «Konzertparadies»
Die Schweiz hat in der Naziskin-Szene den Ruf als «Konzertparadies», dies, weil die Polizei – anders als gelegentlich in Deutschland – erstens nicht gegen Konzerte vorgeht beziehungsweise diese nach Gesetzesverstössen abbricht. Allerdings fehlen den kantonalen Polizeikorps auch die Ressourcen, um innert kurzer Zeit genügend Personal für einen unfriedlichen Ordnungseinsatz aufbieten zu können.
Zweitens hat es die Polizei bis anhin unterlassen, Beweise für Widerhandlungen gegen die Rassismus-Strafnorm zu erheben. Eines ist sicher: Sobald die Organisatoren rechtsextremistischer Konzerte ebenso wie die auftretenden Musiker mit strafrechtlichen Folgen rechnen müssen, sinkt die Attraktivität als «Konzertparadies».
Zu Beginn der 1990er-Jahre gehörte die Zentralschweiz – insbesondere die Agglomeration Luzern – zu den Zentren der Deutschschweizer Skinhead-Subkultur. Luzerner Exponenten gründeten die Schweizer Hammerskinheads, das erste europäische Chapter des weltweiten «Weisse Rasse»-Netzwerkes. Einige Hammerskins waren bekannt für ihre Attacken gegen den Sedel.
Über 50 Hammerskins – darunter auch Luzerner – stürmten Anfang November 1995 ein antifaschistisches Festival in Hochdorf. Seit einiger Zeit lassen sich keine Rechtsextremen-Organisationen mehr nachweisen, ausser der Kameradschaft Morgenstern, aktiv im Raum Sempach.
Kanton duldete Neonazis
In den vergangenen Jahren haben auch in der Zentralschweiz Konzerte stattgefunden. Zum Beispiel im Juli 2015 auf dem Steinhuser Berg bei Wolhusen. Nach einem Konzert in Sarnen im Kanton Obwalden im Sommer 2001 berichtete ein deutsches Magazin: «Am Konzertort angekommen, sah man gleich die Bullen, aber wie es in der Schweiz normal ist, machten sie keinen Mucks.» Mehrmals fanden auch Konzerte im Partyraum eines Mitgliedes der Kameradschaft Morgenstern statt, einige Male auch zu den offiziellen Gedenkfeiern auf dem Sempacher Schlachtgelände.
Der Kanton, als offizieller Veranstalter, duldete die rechtsextreme Beteiligung, bis 2009 eine JUSO-Gegendemonstration ein grosses Polizeiaufgebot notwendig machte. Die Kantonspolizei kühlte ein bisschen ihr Mütchen, sie hinderte die Rechtsextremisten nicht daran, zum Schlachtfeld zu laufen, kesselte jedoch linke Gegendemonstranten ein, da einige gegen das Vermummungsverbot verstossen haben sollen.
Kranzniederlegung von Rechtsextremen zur Feier beim Sempacher Schlachtgelände im Jahre 2008.
Die Veranstalter änderten daraufhin das Konzept der Gedenkfeier, die Rechtsextremisten zogen ihre Szene-interne Feier auf. Durch zwei Änderungen des Reglements über die Benützung des Schlachtfeldes von Sempach versuchte der Kanton, die unbewilligten rechtsextremen Aufmärsche sanktionieren zu können, scheiterte jedoch damit bei der Staatsanwaltschaft Sursee.
Und da war ja noch etwas auf dem Rütli
Auch die Rütli-Kommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft reagierte jahrelang nicht auf rechtsextreme Beteiligung an der jährlichen Bundesfeier (1. August). Erstmals hatten 1996 einige wenige Skinheads unter den Feierenden gestanden und Besucher mit dem Kühnen-Gruss (gestreckter Arm, drei gespreizte Finger) provoziert. Kein Grund zur Reaktion für die Veranstalter, auch kaum Erwähnungen in den Medien.
Erst nachdem im Jahr 2000 erstmals über hundert Rechtsextreme bei der Feier erschienen waren und den Redner (Bundespräsident Kaspar Villiger/FDP) auspfiffen, titelte der «Blick» gross «Rütli-Schande» und löste eine landesweite Diskussion über Rechtsextremismus aus. Erst sieben Jahre später änderten die Bundesfeier-Organisatoren das Konzept, auch weil am 1. August 2005 die Rechtsextremisten knapp die Hälfte der Besucher ausmachten und Bundespräsident Samuel Schmid/SVP ausbuhten.