St. Galler Tagblatt: Leitartikel
Nach dem FC St. Gallen scheint nun auch die St. Galler Kantonspolizei in eine Krise zu schlittern. Nur eine Woche nach der verunglückten Kommunikation im Zusammenhang mit dem Neonazi-Konzert in Unterwasser leisteten sich die Ordnungshüter einen groben taktischen Fauxpas. Anstatt den Auftritt eines rechtsextremen Musikers an einer Veranstaltung der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) in Kaltbrunn sofort zu unterbinden, liess man den Deutschen gewähren. Erst nach dem Konzert kam er in Gewahrsam und musste die Schweiz verlassen.
Das Vorgehen befremdet umso mehr, war es doch die St. Galler Kapo, die gegen den fraglichen Mann eigens beim Bundesamt für Polizei ein Einreiseverbot beantragt hatte. Der nonchalant kommunizierende Polizeisprecher Gian Andrea Rezzoli rechtfertigte die verblüffende Passivität der Polizei damit, es habe sich in Kaltbrunn um eine geschlossene Gesellschaft gehandelt. Hinzu sei ein Grosseinsatz gegen (linke) Demonstranten in Rapperswil gekommen, der zahlreiche Polizeikräfte gebunden habe.
So weit, so schlecht. Unsere Polizei lässt einen Sänger gewähren, dessen physische Präsenz eigentlich als Gefahr eingestuft worden ist. Zur Erinnerung: Einreiseverbote werden nur dann verhängt, wenn die innere oder äussere Sicherheit des Landes bedroht ist. Sie legt damit ein gerüttelt Mass an politischer Fahrlässigkeit an den Tag. Nur eine Woche nach dem unerwünschten Stelldichein europäischer Neonazis im Toggenburg wäre es umso wichtiger gewesen, einmal zu zeigen, wer hier Herr im Haus ist.
Am unangenehmsten ist diese Situation für die Polizei selbst. Gerät sie in den Ruch, bei linken Chaoten härter vorzugehen als bei rechten, gefährdet sie ihre Reputation als neutrale Ordnungshüterin. Schwerer noch als dieser Imageschaden wiegt hingegen der Glaubwürdigkeitsverlust in der Szene. Ein Polizeikorps, das nicht in der Lage ist, entschlossen durchzugreifen, wird von Extremisten nicht mehr ernst genommen.
Nach diesen Fehlleistungen sind nun die Verantwortlichen in der Pflicht: An vorderster Front Sicherheitschef Fredy Fässler (SP) und Polizeichef Bruno Zanga. Sie sind der Öffentlichkeit den Beweis schuldig, dass sich die St. Galler Polizei von Rechtsextremisten nicht an der Nase herumführen lässt – und sowohl gegen linke wie rechte Unruhestifter gleichermassen entschieden vorzugehen weiss.
Dass die Sozialdemokraten nun den Rücktritt von Polizeikommandant Zanga fordern, mag den Unterhaltungswert dieser Geschichte steigern. Zielführend ist die Forderung nicht. Das Powerplay der Genossen könnte sich gar als Rohrkrepierer erweisen, steht doch mit Regierungsrat Fässler einer der ihren dem Polizeichef vor. Wie unangenehm ihm das Vorgehen seiner Parteikollegen ist, zeigt seine sofortige Reaktion. Ohne lange zu fackeln, stellte sich Fässler gestern demonstrativ hinter seinen Kommandanten und sprach ihm das uneingeschränkte Vertrauen aus.
Politisch nicht minder fragwürdig ist die Reaktion der bürgerlichen Parteien, die in einem gemeinsamen Communiqué von einem «guten Krisenmanagement» und einem «erfolgreichen Einsatz» der Polizei sprechen. Wie man in diesem Kontext zu einem solchen Urteil kommen kann, bleibt ihr Geheimnis.
Unabhängig von den Ereignissen in Unterwasser und Kaltbrunn harrt die Frage einer Klärung, ob die Kapo grundsätzlich gut genug aufgestellt ist, um schwierigen Situationen künftig adäquat zu begegnen. Es ist eine Realität, dass sich der Kanton St. Gallen ein eher bescheiden dotiertes Polizeikorps leistet. Angesichts der anspruchsvollen und vielfältigen Aufgaben, mit welchen unsere Polizistinnen und Polizisten konfrontiert sind, sollte eine angemessene Bestandesgrösse eine Selbstverständlichkeit sein. 23