Sonntagsblick: Frank A. Meyer
Der Tatbestand ist rasch referiert: 5000 Neonazis versammelten sich im Ort Unterwasser. Die meisten waren aus Deutschland in den Kanton St.Gallen gepilgert, um dort ihrer Ideologie zu frönen: dem Nationalsozialismus, dem Dritten Reich, dem Führer.
Zu diesem Zweck war ein Rockkonzert geplant, weshalb die Veranstaltung auch als «Rocktoberfest» ausgegeben wurde. Die Öffentlichkeit sollte ja nicht aufgeschreckt werden, bevor die Nazi-Heerschau vonstattenging.
Und so verlief alles nach Wunsch. Die Gesänge feierten Gewalt: «Einen Tag regieren, das wär schön. Keiner würd’ den Pöbel jemals wieder seh’n.» Oder auch: «Keine Angst, ihr Volksverräter, keinen werden wir verschonen.»
Es rockte auch die Schweizer Neonazi-Band Amok, die in ihrem Repertoire ein Lied mit dem Refrain hat: «Wetzt die langen Messer, lasst die Messer flutschen in den Judenleib.»
Ganz ähnlich grölten einst die Vorbilder der heutigen Neonazis. Am 30.Januar 1933 feierte Hitlers SA die Ernennung ihres Führers zum Reichskanzler mit dem Lied: «Wenn der Sturmsoldat ins Feuer geht, ei, dann hat er frommen Mut / Und wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s nochmal so gut.»
Ja, was soll man dazu sagen? Eigentlich nichts, ganz im Sinne des genialen österreichischen Schriftstellers Karl Kraus: «Mir fällt zu Hitler nichts ein.»
Einem Politiker jedoch, der die Schweizer «Fraue und Manne» immer wieder mit Leidenschaft zur patriotischen Ordnung ruft, kurzum: dem Politiker, dessen Einzigartigkeit sich inzwischen zur Enormität gesteigert hat, ist etwas eingefallen. Er verbreitete sich zur Neonazi-Feier über einen ihm gewidmeten Fernsehkanal mit folgenden Worten: «Am Morgen wurde ja gesagt: Es war ja nichts, es seien alles ganz anständige Typen gewesen, gute Ordnung, nichts.» Und weil diesem allprächtigen Politiker gewöhnlich der Mund überläuft, wenn er ein Mikrofon vor sich sieht, nannte er die braune Fete auch noch «eine ganz anständige Versammlung».
Ja, was soll man dazu sagen? Fällt einem dazu noch etwas ein? Es fällt einem etwas auf: das Wörtchen «Ordnung».
Ordnung ist ein fundamentaler Wert der Neonazis, prägte der Begriff doch bereits die Nazi-Herrschaft zwischen 1933 und 1945 – bis Deutschland in Trümmern lag, was dann leider Unordnung war, welche allerdings der Feind angerichtet hatte.
Die Ordnung bestimmt schon die Fortbewegung in der Nazi-Welt: Es wird marschiert, in Kolonnen, zu Märschen, Hass-Märschen damals, Hass-Rock heute, alles in aggressivem Takt, in guter Ordnung.
Einst schaffte auch die Uniform Ordnung: Rangordnung. Heute, in uniformfeindlicher Zeit, beschränkt sich das Uniforme auf Glatzen und Springerstiefel. Aber auch das vermittelt gute Ordnung.
Ganz besonders hielten es die in Unterwasser besungenen Hitler-Schergen mit der Ordnung bei der Vernichtung ihrer Opfer, der sechs Millionen Juden, die sie systematisch ermordeten, also in guter Ordnung. Die letzte Habe der ausgeplünderten Männer, Frauen, Kinder wurde säuberlich zur Weiterverwendung sortiert: Schuhe, Brillen, Haare, Goldzähne, Schmuck – alles in Auschwitz heute zu besichtigen.
Der Anblick vermittelt einen Eindruck davon, wie wichtig den Nazis Ordnung war. Und Sauberkeit: die saubere Erledigung des grossen historischen Auftrags, dem die Neonazis in Unterwasser huldigten, selbstverständlich in «guter Ordnung», wie der grösste Schweizer Politiker aller Zeiten den Anlass zu belobigen wusste.
Ihm fiel auch das Wörtchen «anständig» ein – in seiner Wertung «eine ganz anständige Versammlung». Es enthält ebenfalls eine schauerliche Reminiszenz: Anstand war den Massenmördern, die das Tausendjährige Reich betrieben, dieses nostalgisch zurückersehnte Paradies der Neonazis, ganz besonders wichtig.
Dazu sei aus berufenstem Munde zitiert. Heinrich Himmler, Reichsführer SS und oberster Befehlshaber der Judenvernichtung, pries in einer Rede seine SS-Untergebenen, denen das Vernichtungs-Handwerk oblag: «Von Euch werden die meisten wissen, was es heisst, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.»
In Unterwasser, Kanton St. Gallen, gedachten 5000 Neonazis selig dieses Ruhmes, den sie so liebend gerne für sich selbst in Anspruch nehmen würden. Ihr Gedenken vollzogen sie, wie es sich seit jenen ruhmreichen Zeiten gehört: in «guter Ordnung», als «anständige Typen». Dies versicherte ihnen der Politiker, der wie kein anderer über das Richtmass für alles und jedes verfügt.
War da was in Unterwasser? Nichts war.