Schweiz am Sonntag: Der Bund verweigert Terroristen, Neonazis und Dieben häufiger die Einreise. Nur: Hilft das wirklich?
Es ist schon tiefe Nacht, als die Polizei ihn stellt. In Kaltbrunn SG, einer kleinen Gemeinde mit vielen Wiesen und noch mehr Kühen, verlässt ein Mann die Bühne der Dorfbeiz, der gar nicht dort sein dürfte. Später wird die Polizei sagen, dass sie die Situation nicht eskalieren lassen wollte und deshalb wartete, bis sein Auftritt vorbei war. Der Mann ist Sänger der deutschen Rechtsrock-Band Flak und spielte vor einer Woche als Ehrengast an einer Gründungsfeier der Pnos in Kaltbrunn. Dabei wurde nur Tage zuvor eine Einreisesperre gegen ihn verhängt.
Der Sänger ist einer von vielen. 2016 ist ein Rekordjahr für Einreisesperren. Allein in den ersten neun Monaten wurden 97 verhängt – über dreimal so viele wie im gesamten Vorjahr. Damals waren es noch 28. Wer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Schweiz darstellt, dem darf die Einreise ins Land verwehrt werden. Die Sperre kann wenige Tage dauern, um Hooligans nicht an ein Spiel zu lassen, und mehrere Jahre, wenn eine akute Gefahr besteht.
Kampf gegen Dschihad-Reisende
Neonazis wie in Kaltbrunn standen zuletzt selten auf der Liste. Der Grund für die massive Zunahme sind laut Bundesamt für Polizei (Fedpol) die Dschihad-Reisenden. Dabei handelt es sich um Personen, die sich einer Terror-Organisation wie dem IS anschliessen, um danach wieder zurück nach Europa zu reisen. Über die Personen auf der Sperrliste ist nicht viel bekannt. Das Fedpol und der Nachrichtendienst des Bundes halten sich bedeckt.
Doch was nützen Einreisesperren, wenn einige gar nicht durchgesetzt werden können? «Die Sperren erfassen lediglich die Spitze des Eisbergs», sagt Sicherheitsexperte Albert Stahel. Sie seien nur dann effektiv, wenn die betroffene Person per Flugzeug oder per Bahn ins Land reise und kontrolliert werde. Das sei längst nicht immer der Fall, da die Grenzen in Europa offen sind. Zudem sei es einfach, über die grüne Grenze ins Land zu gelangen. «In der Terrorbekämpfung neigen wir zu einer gewissen Naivität», sagt er. «Die Schweiz hat ein sehr grosses Sicherheitsdefizit, auch wenn wir nicht Zielscheibe Nummer eins für den IS sind.»
Der Genfer Sicherheitsdirektor schlägt in dieselbe Kerbe. «Die Bedrohung ist nochmals gestiegen», sagt Pierre Maudet, der sich seit längerem mit den neuen Gefahren auseinandersetzt. Kaum ein anderer kritisiert den Bund in Terror-Fragen so stark wie er. Deshalb begrüsst Maudet, dass der Nachrichtendienst künftig grössere Überwachsmöglichkeiten erhält. In einem Jahr soll das neue Gesetz in Kraft treten. Telefongespräche können dann abgehört und Privaträume verwanzt werden. Das sei in der Terrorbekämpfung nötig, sagt Maudet.
Die Ursache für die aktuelle Bedrohung liegt laut Sicherheitsexperte Stahel aber tiefer. Durch den Militärapparat der USA sei Europa während Jahrzehnten sicher gewesen. «Heute sind die USA machtpolitisch auf dem Abstieg und nicht mehr in der Lage, die Rolle der Schutzmacht zu erfüllen.»