Tages-Anzeiger: Kritiker werfen dem Sozialamt Dübendorf vor, Hilfesuchende bewusst schlecht zu behandeln.
Bei der Sozialhilfe in Dübendorf herrscht eine Anti-Willkommenskultur. So jedenfalls beschreibt es Familienvater S. K.: 45 Jahre alt, gelernter Koch mit Weiterbildung an einer Hochschule, ausgesteuert und nach drei schwerwiegenden Eingriffen in der Magengegend nur beschränkt arbeitsfähig. Die erste Frage, die ihm auf dem Amt für Sozialhilfe gestellt wurde: «Haben Sie alle Dokumente?» K. zögerte und wollte bejahen, doch die Sozialarbeiterin unterbrach ihn: «Wenn Sie nicht alle Dokumente dabeihaben, können Sie gleich wieder gehen.»
Bei der städtischen Angestellten handelt es sich um P. B. Die Leiterin der Sozialhilfe geriet vergangene Woche in die Schlagzeilen, weil sie auf ihrem Facebook-Account rechtsextreme Inhalte teilte. Viele entrüsteten sich darüber, dass eine Frau privat ausländerfeindliche Hetze betreibt, während sie in ihrem Beruf eben jenen Menschen helfen soll. Ihre Stammklientel: die Mittellosen, nicht selten Flüchtlinge. B. sieht in ihnen vor allem potenzielle Plünderer der Sozialkasse. Von einem Rücktritt der Sozialhilfechefin wollte der Stadtrat Dübendorf nichts wissen. Nach einigen Tagen im Ausstand und einer schriftlichen Verwarnung darf P. B. nun ihren Job in unveränderter Position fortführen. Die Facebook-Einträge sind mittlerweile gelöscht. Wie es um ihre Gesinnung steht, bleibt offen.
40 Franken für drei Wochen
Der Fall P. B. löste zahlreiche Reaktionen aus, die auf Missstände im Dübendorfer Sozialamt hinweisen. Politiker, Sozialarbeiter, Rechtsanwälte oder Sozialhilfeempfänger: Alle äusserten gegenüber dem TA ihren Unmut über das Sozialamt Dübendorf. Darunter befinden sich Geschichten wie jene von S. K. Es sind Menschen, die sich durch die Angestellten der Sozialhilfe nicht ernst genommen fühlen. Ein Flüchtling erzählt, dass ihm die Stadt Mietnebenkosten in der Höhe von 40 Franken nicht bezahlen wollte. Dies soll sie mit seinem hohen Zigarettenkonsum begründet haben: Wer sich das leisten könne, der sei auch fähig, höhere Mietkosten zu zahlen.
Dann eine Arabisch sprechende Frau, frisch getrennt von ihrem Mann, mit zwei Kindern, mittellos. Auch sie soll auf dem Sozialamt abgeblitzt sein, ohne eine persönliche Beratung erhalten zu haben: «Alles, was sie bekam, waren Migros-Gutscheine – 40 Franken für einen Zeitraum von drei Wochen», sagt die Frau, die für sie auf dem Amt übersetzte.
Weitere Sozialhilfebezüger schildern ähnliche Erlebnisse. In einem Punkt sind sich alle einig: Die Art, wie sie auf dem Amt behandelt wurden, sei diskriminierend. Einige der Betroffenen hätten im Grunde Anrecht auf Sozialhilfe. Doch weil sie sich den Gang aufs Amt «nicht mehr antun wollen», verzichten sie freiwillig darauf.
So wie der erwähnte Familienvater S. K., der im vergangenen Juli freiwillig aus der Sozialhilfe trat – dies, obwohl er immer noch ausgesteuert ist: «Keine zehn Pferde bringen mich mehr auf dieses Sozialamt», sagt K. Ständig sei ihm das Gefühl vermittelt worden, ein Schmarotzer zu sein. «Das habe ich satt.» Eines Tages hat der städtische Berater ihm vorgeworfen, er lüge «wie gedruckt». Es ging um die Einkünfte seiner Frau, die der Berater höher eingeschätzt haben wollte. «Das stinkt doch zum Himmel», sagte der Angestellte. Darauf hat ihm K. die Belege auf den Tisch gelegt. Der Berater habe geschwiegen, doch entschuldigt habe er sich nicht.
Dass sich eine Gemeinde in der Sozialhilfe restriktiv verhält, ist ihr gutes Recht. Ein Gerichtsentscheid, der dem TA vorliegt, zeigt jedoch, dass sich das Sozialamt Dübendorf bisweilen widerrechtlich verhält. Die Sozialbehörde kürzte im Jahr 2012 einem heute 73-jährigen Schweizer den Grundbetrag für seinen Lebensunterhalt, obwohl dieser dagegen einen Rekurs eingereicht hatte und dies gemäss Verwaltungsrechtspflegegesetz die Kürzung aufschiebt. Der Bezirksrat Uster verpflichtete die Sozialbehörde Dübendorf, die gekürzten Beträge in der Höhe von rund tausend Franken an den Mann nachzuzahlen.
Der Fall fand eine Fortsetzung. Über einen Monat nach dem Entscheid des Bezirksrats Uster stellte das Sozialamt Dübendorf die Zahlung der monatlichen Sozialhilfe an den Mann komplett ein. Die Sozialbehörde wäre gemäss der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts verpflichtet gewesen, den Mann vorgängig über die beabsichtigte Leistungseinstellung zu informieren und ihm die Gelegenheit zu geben, Beweismittel für seinen Anspruch auf Sozialhilfe einzureichen. Der Mann und sein Rechtsbeistand erschienen danach persönlich auf dem Sozialamt und legten Beweismittel vor. Daraufhin wurde die Sozialhilfe wieder bezahlt.
Zwölf Rekurse gutgeheissen
Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Eine Anfrage beim Bezirksrat Uster, basierend auf dem Öffentlichkeitsgesetz, ergab, dass Sozialhilfekläger aus Dübendorf regelmässig zum Erfolg kommen. Seit 2011 wurden 43 Rekurse gegen Entscheide der Sozialbehörde eingereicht. Davon wurden 12 gut- oder teilweise gutgeheissen. SP-Gemeinderätin Flavia Sutter vermutet bewusste Verstösse gegen das Sozialhilfegesetz: Die Stadt sei verpflichtet, persönliche Hilfe zu leisten in Form von Beratung oder Betreuung. «Darüber kann sie sich nicht einfach so hinwegsetzen.»
Politiker von SP, Grünen und EVP wollen nun Transparenz schaffen. Vergangenen Mittwoch wurden zwei Vorstösse zur Situation in der Abteilung Soziales lanciert. Auf Anfrage wollte der Stadtrat keine Stellung zu den Vorwürfen der Politiker und der Sozialhilfebezüger nehmen. Er verwies auf die Pressekonferenz vom kommenden Dienstag, an der man über die Anschuldigungen informieren werde.
«Dübendorf hat keinen sonderlich guten Ruf in der Sozialhilfe», sagt ein NGO-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er wertet das Vorgehen in Dübendorf als «ein Zeichen der Zeit». Die Sozialhilfe einiger Gemeinden würde sich immer mehr durch Rigidität und Bevormundung auszeichnen, jedoch weniger durch Eigenermächtigung der Sozialhilfebezüger.
Der NGO-Mitarbeiter wurde 2013 bei der Gemeinde Dübendorf mit einem Sozialprogramm vorstellig: Seine Gesprächspartnerin war Sozialhilfechefin P. B. Sie betonte damals, dass sie keine Sozialarbeiterin sei und bewusst keine Sozialarbeitenden in ihrer Abteilung einstelle. «Darauf war sie sichtlich stolz», erinnert sich der Mann. Sie habe ihn darauf hingewiesen, dass die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) in Dübendorf nicht gelten würden. Als er sie auf die durch den Regierungsrat erklärte Verbindlichkeit hinwies, habe P. B. geantwortet, dass sie eigene Wege gehen würden. Gerne hätte der TA den Stadtrat Dübendorf damit konfrontiert. Dieser wollte allerdings keine Stellung beziehen.
Der Berufsverband Avenir Social stört sich daran, dass Dübendorf bewusst auf die Einstellung von Sozialarbeitern verzichtet. Die Mitarbeiter in der Sozialabteilung müssten wissen, was es bedeutet, in einem existenziell relevanten Abhängigkeitsverhältnis zur Behörde zu stehen. «Die Klienten zu demütigen und zu diskriminieren, ist nicht legitim, sondern Machtmissbrauch», sagt Avenir-Sociale-Mitarbeiter Kaspar Geiser. Von der zuständigen Behörde müsse erwartet werden, dass sie zur Bewältigung der Aufgabe fachlich und menschlich kompetentes Personal zur Verfügung stelle.
Eine externe Sozialarbeiterin wirft dem Sozialamt Dübendorf Intransparenz vor. Ihre Zusammenarbeit basiere vor allem auf «Misstrauen und Informationsverweigerung». So habe sie beispielsweise auch nach mehrmaligem Nachfragen die genauen Mietansätze für Sozialhilfebezüger nicht in Erfahrung bringen können. Man habe ihr lediglich mitgeteilt, dass die Miete von Fall zu Fall individuell entschieden werde: «Wer genau nach welchen Kriterien entscheidet, ist mir schleierhaft», sagt die Sozialarbeiterin.
Austritt aus der Skos
Unter dem langjährigen Sozialvorsteher Kurt Spillmann (SVP, ehemals Auto-Partei) verfolgt das Sozialamt einen eigenwilligen Kurs. Per Ende 2009 trat die Gemeinde aus dem Zweckverband für Soziale Dienste Bezirk Uster aus. 2013 verkündete Spillmann, dass die Gemeinde sich fortan nicht mehr an den Skos-Richtlinien orientieren möchte. 2014 geriet Dübendorf in die Schlagzeilen, weil es gemäss NZZ Sozialhilfeempfänger in Schimmelwohnungen untergebracht hatte. Die Sozialhilfequote liegt mit 1,1 Prozent weit unter dem nationalen Schnitt. Objektiv gesehen ein Erfolg, der vielleicht auch dank Menschen zustande kam, die sich freiwillig vom Amt abmeldeten. Menschen wie der eingangs erwähnte S. K., der sich durch die städtischen Angestellten schikaniert fühlte: «Ich suchte Hilfe auf dem Sozialamt und erhielt vor allem das Gefühl, minderwertig zu sein.»
«Klienten zu demütigen und zu diskriminieren, ist nicht legitim, sondern Machtmissbrauch.»
Kaspar Geiser, Avenir Sociale