Polizeisprecher waren 2016 im Dauerstress

persönlich.com: Erst die tödliche Attacke in einem Zug in Salez, dann das Rechtsrock-Konzert mit 5000 Neonazis in Unterwasser – die Mediensprecher der St. Galler Polizei standen seit Mitte Jahr unter Druck und zum Teil in der Kritik.

Gian Rezzoli und Hanspeter Krüsi blicken auf intensive Monate mit vielen Überstunden zurück. Die beiden Sprecher der St. Galler Kantonspolizei mussten mit der Attacke in einem Regionalzug in Salez am 13. August und dem Grossaufmarsch von Neonazis im Toggenburg am 15. Oktober aussergewöhnliche Herausforderungen bewältigen.

In Salez, wo ein 27-jähriger Schweizer in der Südostbahn (SOB) eine brennbare Flüssigkeit ausgoss und anzündete und seine Opfer mit einem Messer angriff, kamen zwei Frauen im Alter von 17 und 34 Jahren sowie der Täter ums Leben. Vier weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt.

Ausländische Medien löcherten die Polizei sofort mit Fragen nach einem terroristischen Hintergrund der Tat. Der Grund: Nur wenige Wochen zuvor hatte ein Flüchtling in einem Regionalzug im deutschen Würzburg fünf Menschen mit einem Beil und einem Messer angegriffen und verletzt.

Journalisten wollten wissen, ob der Täter in Salez «Allah» gerufen habe und ob die Opfer Kopftücher trugen. «Sie wollten Bestätigungen für Gerüchte und Hypothesen erhalten, die wir nicht geben konnten», sagt Polizeisprecher Gian Rezzoli rückblickend. Die Polizei habe das Ereignis sachlich kommentiert, «auch wenn einzelne Medien gerne eine andere Geschichte gehabt hätten».

Terror-Szenario

Auch wenn die Tat von Salez kein Terrorakt war: Mit dem Szenario «Terroranschlag» setzt sich der Mediendienst der Kantonspolizei schön länger auseinander, wie Rezzoli der Nachrichtenagentur sda erklärte. «Wir erarbeiten derzeit Konzepte, wie wir ein solches Ereignis medial bearbeiten wollen, respektive können.» Die personellen Ressourcen in der Kommunikation seien beschränkt.

Vor allem der Einbezug von Sozialen Medien wie Facebook und Twitter, die immer wichtiger werden, sei aufwendig. Bei einem Terroranschlag müsste die Polizei die Bevölkerung über möglichst viele Kanäle informieren, wie sie sich zu verhalten habe und wo sie sicher sei. «Bei so einem Ereignis ist das mediale Informationsbedürfnis enorm.»

Eine rasche Veröffentlichung von Informationen über Täter und Opfer könne die Arbeit der Polizei stark beeinflussen, sagt Rezzoli. Aber auch sonst käme im Fall eines Terrorakts eine Informationsflut auf die Polizei zu, «wichtige Informationen, aber auch Falschmitteilungen». Dann dürfe man das Ereignis nicht aus den Augen verlieren und nur kommunizieren, was den Tatsachen entspreche.

Lob und Kritik

Im Fall von Salez wurde die Polizei für ihre zurückhaltende Kommunikation zum Teil kritisiert. Anders sah dies der Journalistik-Professor Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften: Angesichts der lange unsicheren Informationslage sei die Zurückhaltung richtig gewesen, sagte Wyss zwei Tage nach der Tat gegenüber der sda.

Die Situation war damals angeheizt mit Gerüchten, Hetzen und Verschwörungstheorien, verbreitet vor allem auf Social-Media-Plattformen. Die Polizei habe zurecht vermieden, diesen Spekulationen noch zusätzlichen Sauerstoff zu geben, fand Wyss. Doch hätte die Polizei in einer Prozesskommunikation noch stärker erklären sollen, weshalb sie gewisse Informationen nicht weitergab.

Kaum war «Salez» bewältigt, geriet der Polizei-Mediendienst erneut unter Dauerstress: Am 15. Oktober trafen sich rund 5000 Neonazis im Toggenburger Dorf Unterwasser zu einem Rechtsrock-Konzert. «Wir sind betreffend dem Veranstaltungsort überrumpelt worden», räumt Gian Rezzoli ein. Öffentlich geäusserte Polizei-Schelte und politische Forderungen liessen nicht lange auf sich warten.

Politische Seite unterschätzt

Den Anlass selbst habe die Polizei nicht anders bearbeiten können, verteidigt Rezzoli. «Wir haben dafür gesorgt, dass Ruhe, Ordnung und Sicherheit gewahrt wurde.» Die politische Komponente habe die Polizei aber unterschätzt oder schlicht nicht in Betracht gezogen. «Wir hätten offensiver über das Ereignis kommunizieren müssen», findet der Mediensprecher heute.

Selbstkritisch sieht die Polizei auch ihren Verzicht auf Medienkonferenzen in Salez und in Unterwasser. Dies stiess bei Medien angesichts der Grösse und Schwere der Ereignisse auf Unverständnis. «Wir haben erkannt, dass wir diesen Punkt überdenken und anpassen müssen», sagt Rezzoli.

Nach der Tat von Salez ist steht noch ein Schlussbericht der Staatsanwaltschaft aus. Unter anderem interessieren die Motive des Täters. (sda/Michael Nyffenegger)