Werdenberger & Obertoggenburger: Staatsschutz · Der Nachrichtendienst im Kanton St.Gallen wurde wegen der Terrorgefahr verstärkt. Ob er auch Rechtsextreme überwacht, ist offen.
Die rechtsextremen Veranstaltungen vom vergangenen Oktober in Unterwasser (Konzertabend deutscher Neonazis) und in Kaltbrunn (Pnos-Gründungen) haben nebst vielen kritischen Fragen zum Vorgehen der Kantonspolizei wieder einmal die Frage nach dem Staatsschutz im Kanton St.Gallen aufgeworfen. Immerhin war es der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), der die Kantone im Vorfeld gewarnt hatte, dass das für den süddeutschen Raum angekündigte Konzert am 15. Oktober auch in der Schweiz stattfinden könne. Auf den Antrag einer Einreisesperre für die Neonazi-Bands verzichtete der NDB allerdings, weil die «aktuellen Gewaltbezüge fehlten», wie er verlauten liess. Rechtliche Hürden, die etwa der St.Galler CVP-Nationalrat Jakob Büchler als «zu hoch» befand und deshalb eine Interpellation zum Thema ankündigte.
Um den Nachrichtendienst auf Bundes- und Kantonsebene geht es teilweise auch bei den hängigen Interpellationen zweier Fraktionen im St.Galler Kantonsparlament: Die CVP-GLP will von der Regierung unter anderem wissen, ob «links- und rechtsradikale Kreise auch in unserem Kanton unter Beobachtung stehen» und deren Aktivitäten den Behörden bekannt seien. Und SP-Grüne fragen nach dem Ausmass der Aktivitäten «von Organisationen oder Einzelpersonen, welche die Rassismusstrafnorm mit sogenannt privaten Anlässen zu umgehen suchen».
Nachrichtendienst hält seine Tätigkeit geheim
Hätten die Polizisten des Nachrichtendienstes in Bern oder in St.Gallen mehr tun sollen und beispielsweise Einreisesperren für die rechtsextremen Bands verordnen sollen? Die Frage bleibt strittig, zumal der Nachrichtendienst seit den beiden Fichenskandalen von 1989 und 2010 und der diskreditierten früheren «politischen Polizei» ausdrücklich nur «gewalttätigen Extremismus» überwachen darf. So heisst es im massgeblichen Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit (BWIS), dass die Sicherheitsorgane des Bundes und der Kantone Informationen über politische Betätigung lediglich dann bearbeiten dürften, «wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Organisation oder ihr angehörende Personen die Ausübung der politischen Rechte oder der Grundrechte als Vorwand nehmen, um terroristische, gewalttätig-extremistische oder verbotene nachrichtendienstliche Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen.» Sinngemäss ist diese Eingrenzung auch im kürzlich angenommenen neuen Nachrichtendienstgesetz enthalten.
Dass die Behörden das Neonazi-Konzert im Toggenburg mit über 5000 vorwiegend deutschen Besuchern nicht verhinderten, löste in der Öffentlichkeit Empörung aus. Was hätte aus Sicht des Nachrichtendienstes polizeilich anders laufen müssen? NDB-Sprecherin Carolina Bohren nimmt dazu keine Stellung: «Es ist nicht Sache des NDB, sich politisch zu äussern.» Ebenso knapp ist ihre Standardantwort auf die Fragen, ob der Nachrichtendienst Rechtsextreme überwache und ob der Staatsschutz hierfür sogenannte Spotter (Szenekenner) einsetze, wie es die Sicherheitspolizei im Umfeld gewalttätiger Sportfans tut: «Der NDB kann sich nicht zu seinen operativen Tätigkeiten äussern.»
Bekannt ist hingegen, dass der Nachrichtendienst seine Stellen in den Kantonen verstärkt hat: Aufgrund der Terrorbekämpfung beschloss der Bundesrat 2015 – neben zusätzlichen Stellen in Bern – zweimal zwei weitere Millionen Franken für die Kantone. Diese zusätzlichen Stellen im NDB und auf kantonaler Stufe sind auf drei Jahre bis Ende 2018 befristet, dürften angesichts der Weltlage jedoch verlängert werden. Die 12,4 Millionen Franken für die kantonalen Nachrichtendienste entsprechen – gemäss der festgelegten Entschädigung von 100000 Franken durch den Bund – 124 Vollzeitstellen. Laut der NDB-Medienstelle ist es «Sache der Kantone, zu entscheiden, auf wie viele Personen sie diese Stellenprozente aufteilen wollen». Mehr Mittel erhalten vor allem die Kantone Zürich (plus 650000 Fr.) und Genf (500000 Fr.), die nun auf 1,9 Millionen respektive 1,7 Millionen Fr. kommen.
St.Galler Staatsschutz auf knapp fünf Stellen ausgebaut
Dem Nachrichtendienst in St.Gallen stehen 480000 Franken oder 4,8 Vollzeitstellen zur Verfügung, das sind 200000 Franken mehr als 2014. Damit liegt der Kanton gesamtschweizerisch auf der 9. Position, hinter Freiburg (500000 Fr.) und vor dem Wallis (400000 Fr.). Offensichtlich bestand in der Ostschweiz nur bei St.Gallen Nachholbedarf: Die Kantone Thurgau (160000 Fr.), Appenzell Ausserrhoden (90000 Fr.) und Appenzell Innerrhoden (9000 Fr.) erhalten unverändert gleich viele Mittel wie noch vor zwei Jahren. In Innerrhoden wird die Gefahrenlage für sehr minim eingeschätzt: Ein Zehntel einer Polizistenstelle muss unter dem Säntis reichen.
Wo und wie die St.Galler Staatsschützer arbeiten, darüber gibt der NDB keine Auskunft. Grundsätzlich gelte das BWIS sowie die Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes, heisst es. Die Aufträge würden im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen schriftlich erteilt. Entsprechend erstatten die kantonalen Nachrichtendienst-Polizisten auch dem NDB Bericht. Auf spezifische Gefahrenlagen im Grenzkanton St.Gallen will die Nachrichtendienst-Sprecherin in Bern ebenso wenig eingehen wie auf die Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei, wie gesagt: «Der NDB kann sich nicht zu seinen operativen Tätigkeiten äussern.» Tatsächlich arbeiten die vom Bund bezahlten Staatsschützer in St.Gallen bei der Kantonspolizei, wenn auch organisatorisch, räumlich und technisch getrennt, wie Fredy Fässler, Vorsteher des St.Galler Justiz- und Sicherheitsdepartements, erklärt. «Unsere Mitarbeitenden im Nachrichtendienst – bei uns Dienststelle Innere Sicherheit genannt – sind vom Kanton angestellt und administrativ der Kapo zugeordnet», sagt Fässler. «Sie arbeiten aber im Auftrag des NDB. Die Aufträge kommen also aus Bern, und dorthin wird auch rapportiert.»
Jihad-Reisende in St.Gallen auf dem Radar der Kapo
Der Kanton St.Gallen teilt seine 4,8 Vollzeitstellen im Nachrichtendienst laut Fässler auf vier Stellen in der Stadt St.Gallen sowie vier je 20-Prozent-Mandate in den Regionen auf. Was aber machen die St.Galler Staatsschützer den ganzen Tag? Sie überwachen terroristische oder extremistische Strukturen, Vereinigungen und Einzelpersonen, die staatsgefährdende Handlungen vorbereiten, ausführen oder unterstützen, wie die St.Galler Regierung 2010 in Beantwortung einer Interpellation schrieb. Dies tun sie gemäss Aufträgen und einer «Beobachtungsliste» aus Bern, aber auch aufgrund eigener Feststellungen und Hinweisen aus der Bevölkerung.
Die damaligen Antworten der Regierung seien unverändert gültig, sagt Fredy Fässler, auch wenn die Staatsschutz-Arbeit vor sechs Jahren noch von drei Kapo-Mitarbeitern verrichtet wurde. 2010 bemühte sich die Regierung, den Verdacht auf einen weiteren Fichenskandal zu entkräften, jedenfalls was den Kanton betraf. Es gebe keine St.Galler Datenbanken, und die Kantonspolizei arbeite «in jeder Hinsicht gesetzeskonform» und messe dem Datenschutz einen «hohen Stellenwert» zu, hiess es. Pikanterweise war es der damalige SP-Kantonsrat Fässler, der in seiner Interpellation «Fichenskandal II» den Staatsschützern unterstellte, «nichts gelernt zu haben», vielmehr noch immer «ohne System und ohne Vorstellung darüber, was denn nun konkret staatsfeindlich sein soll», Personen zu fichieren. Angesichts der Übergriffe in die Privatsphäre, die an die frühere Bespitzelung erinnerten, war er der Ansicht, «dass der Staatsschutz abgeschafft gehört».
Als Sicherheitsdirektor stellt Fässler heute den Staatsschutz nicht in Frage, zumal die Terrorgefahr auch hierzulande zugenommen hat. Dessen Tätigkeit im Kanton kommentiert er nicht, verweist indessen auf den jährlichen offentlichen Lagebericht des NDB. Jedoch sagt er immerhin, dass der Austausch der Nachrichtendienstler und der eigenen Kapo-Leute in der Abteilung Innere Sicherheit «direkt und intensiv» sei. Will heissen, bei Hinweisen auf strafbare Handlungen ist die St.Galler Polizei sofort involviert, speziell mit ihrem Ermittlungs- und Fahndungsdienst. So stehen die St.Galler Jihad-Verdächtigten und ihr Umfeld – vermutlich eine Handvoll unter den 77 Schweizer Jihad-Reisenden – «auf dem Radar» der Kantonspolizei.
Neu geregelt ist die kantonale Kontrolle des Staatsschutzes: «Wir haben die Aufsicht näher ans Departement genommen», sagt Sicherheitsdirektor Fässler. Aktuell nimmt sie der Leiter des Rechtsdienstes wahr.
Carolina Bohren
Stv. Chefin Kommunikation Nachrichtendienst des Bundes NDB
«Der NDB kann sich nicht zu seinen operativen Tätigkeiten äussern.»