Der Landbote: Urteil Ein 27-jähriger Neonazi, der im Zürcher Niederdorf einen Mann angeschossen hat, ist vom Bezirksgericht Zürich zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Zudem ordnete das Gericht eine Verwahrung und eine ambulante Behandlung an.
Die Bluttat ereignete sich in der Nacht auf den 5. Mai 2012. Der Beschuldigte hielt sich in einer Bar im Zürcher Niederdorf auf und traf zufällig einen ehemaligen Gesinnungsgenossen. Kurz nach zwei Uhr traten die beiden Männer auf die Strasse und gerieten in einen Streit. Plötzlich zückte der Beschuldigte eine Pistole und schoss seinem Gegner in die Brust. Als dieser flüchtete, gab er einen zweiten Schuss ab, verfehlte aber das Ziel. Der Geschädigte überlebte nur dank einer Notoperation. Der Schütze setzte sich nach Hamburg ab, wo er kurz darauf verhaftet wurde.
Notwehr geltend gemacht
Gestern stand der mit Tätowierungen übersäte 27-Jährige unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Bezirksgericht Zürich. Der Grund für das Polizeiaufgebot im Gerichtssaal war schnell klar: Es erschienen mehrere Mitglieder des berüchtigten Motorradklubs Hells Angels als Zuschauer. Sie unterstützten den in zahlreichen Kinderheimen aufgewachsenen Täter, der die Schüsse zwar grundsätzlich nicht in Abrede stellte, jedoch berechtigte Notwehr geltend machte. Er sei von seinem Kontrahenten mit einer Bierflasche beworfen und attackiert worden. Deshalb habe er in Panik zur Pistole gegriffen und abgedrückt. Der zweite Schuss sei aus Versehen erfolgt. «Ich kannte meinen Gegner zu gut und wusste, zu was er fähig war», rechtfertigte er seine Tat.
«Verrat isch nöd verzeihbar»
Gegen ihn sprach allerdings ein SMS, das er kurz nach der Tat einem Bekannten schrieb: «Verrat isch nöd verzeihbar, das isch für das», stand darin. Die Medien hatten dies als Indiz für eine Abrechnung in der rechtsradikalen Szene gewertet. Der Beschuldige verneinte das vor Gericht. Er zeigte aber auch nicht die geringsten Anzeichen von Reue. Auch entschuldigte er sich nicht.
Die zuständige Staatsanwältin Claudia Kasper verlangte eine hohe Freiheitsstrafe von 15 Jahren und die anschliessende Verwahrung des vorbestraften Beschuldigten. Die Anklägerin stützte sich auf ein psychiatrisches Gutachten, das eine überdurchschnittlich hohen Rückfallgefahr feststellte.
Die Verteidigung ging nur von einer versuchten schweren Körperverletzung aus. Sein Mandant habe sich gegen den Geschädigten, der von einem Begleiter unterstützt worden sei, bloss wehren wollen, plädierte Rechtsanwalt Ivo Harb. Er stufte eine Verwahrung als völlig unverhältnismässig ein und forderte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
Das Gericht folgte aber in weiten Teilen der Anklage. So setzte es wegen versuchter vorsätzlicher Tötung eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren fest und ordnete die anschliessende Verwahrung des gebürtigen Erlenbachers an. «Selbstschutz, Angst und Panik fallen als Motiv für die Schussabgabe weg», führte der Gerichtsvorsitzende Roland Heimann aus und berief sich auf diverse Aussagen von Zeugen, die keine Angriffshandlungen beobachtet hatten.
Das Gericht sprach von gewissen Rachemotiven nach einem zufälligen Treffen. Es attestierte dem Schützen eine affektive Komponente, die zu einer leichten Verminderung der Schuldfähigkeit geführt habe. Irgendwelche Abrechnungen für frühere Konflikte schrieb das Gericht medialen Phantasien zu.
Verwerfliche Tat
Allerding sprach Heimann auch von einer verwerflichen Tat, da der Beschuldigte sofort geschossen und dem Opfer keine Chance gelassen habe.
Zur Verwahrung hielt das Gericht fest, dass bereits mehrere Therapien gescheitert seien. Auch vor den Schranken lehnte der Beschuldigte eine stationäre Massnahme kategorisch ab. Heimann verwies auf den gefährlichen Charakter des in schlimmen Verhältnissen aufgewachsenen Rechtsradikalen. Als Jugendlicher hatte er einer damaligen Freundin in den Kopf geschossen. Das Opfer hatte Glück, weil das Gewehr klemmte. «Mir ist es ein Rätsel, warum es damals nicht zu einer Anklage wegen versuchter Tötung gekommen war», sagte Heiman.
Mit dem Urteil wurde der Täter verpflichtet, dem Geschädigten grundsätzlich Schadenersatz und Schmerzensgeld von 18 000 Franken zu bezahlen. Der Beschuldigte nahm das Verdikt mit einem Kopfschütteln und bissigen Kommentaren entgegen. Attila Szenogrady