Aargauer Zeitung: Der Aargauer Sicherheitsdirektor Urs Hofmann nimmt erstmals ausführlich Stellung zum aufsehenerregenden Polizeieinsatz vom letzten Samstag gegen Fussballfans. Er bedauert, dass auch Unbeteiligte festgenommen wurden, macht aber gleichzeitig klar, wo die Grenzen der persönlichen Freiheit sind.
Herr Hofmann, wurden Sie auch schon mal als Unbeteiligter festgenommen? Zum Beispiel als SP-Politiker und Gewerkschafter bei einem 1.-Mai-Anlass?
Urs Hofmann: Nein, wir hatten in Aarau vor meiner Zeit als Regierungsrat zwar auch Polizeieinsätze. Aber die waren zum Schutz des Umzuges vor Neonazis oder bei Störungen durch Autonome. Die Polizei hat das immer sehr gut gemacht.
Beim Einsatz gegen FCZ-Fans vor einer Woche dagegen wurden offensichtlich auch Unbeteiligte festgenommen und in Gewahrsam genommen. Zum Beispiel KV-Stift Pascal Werner, der mit dem Zug aus Seengen anreiste und zu einer Geburtstagsfeier in Aarau wollte. Was sagen Sie dazu?
Die Polizei hatte den Auftrag, Gewalttaten zu verhindern. Das grösste Risiko lag beim Bahnhof durch unkontrolliert anreisende Fans. Zur Kontrolle musste die Polizei potenzielle Krawallmacher mitnehmen und kontrollieren. Ich bedauere es ausserordentlich, wenn es auch Unbeteiligte traf. Die Kantonspolizei entschuldigt sich dafür. Ich will aber zu bedenken geben: Diesen Unbeteiligten hätte viel Schlimmeres passieren können, wenn es zu Ausschreitungen gekommen wäre. Verletzungen durch Knallkörper, Splitterflaschen oder Gummischrot. Aber nochmals: Ich bedaure es für jeden einzelnen, der zu Unrecht festgenommen wurde.
Muss man «Kollateralschaden» bei einer solchen Polizeiaktion in Kauf nehmen?
Man muss ihn, wenn immer möglich, vermeiden. Ziel muss sein, dass keine Unschuldigen involviert werden. Aber offenbar ist das hier in Einzelfällen trotzdem passiert.
Müssen Unbeteiligte wirklich für Stunden eingesperrt werden? Kann die Polizei Verdächtige nicht vor Ort kontrollieren und Unbeteiligte nach ein paar Minuten gehen lassen?
Aufgrund der Anzahl von Personen war das nicht machbar. Es waren Szenenkenner und Datenbanken für die Abklärungen nötig. Aber wir werden die Abläufe anschauen und prüfen, ob man das besser machen kann.
Betroffene können Beschwerde einreichen. Bringt das im Nachhinein etwas?
Das steht ihnen selbstverständlich frei. Sie können sich bei der Polizei oder bei mir melden.
Rechtsanwalt Urs Oswald aus Bremgarten sagt, das polizeiliche Vorgehen widerspreche klar den rechtlichen Bestimmungen über vorläufige Festnahmen.
Wir gehen davon aus, dass die Polizei die Personenkontrollen korrekt durchgeführt hat.
Mit einer Woche Distanz: Beurteilen Sie den Polizeieinsatz immer noch als optimal?
Das Ziel wurde erreicht: Es gab keine Sachschäden und keine Verletzten. Nochmals: Ich bedaure, dass vereinzelt Unbeteiligte betroffen waren. Das sollte man vermeiden. Aber mit Sicherheit ausschliessen lässt sich dies bei einem solchen Einsatz wohl nicht.
Das heisst: Es kann wieder passieren?
Wie gesagt: Eine absolute Garantie gibt es wohl nicht. Genauso wenig wie, dass bei Ausschreitungen auch Unbeteiligte zu Schaden kommen.
Sicherheit oder Freiheit: Wo ziehen Sie die Grenze bei Fussballspielen?
Gerade bei einem Stadion wie dem Brügglifeld mitten in einem Quartier ist für mich klar: Der Schutz der Bevölkerung hat den höheren Stellenwert als die Freiheit von einzelnen, die Sau rauszulassen.
Was sagen Sie zu FCZ-Fans, die nach Aarau gekommen sind, um «friedlich» zu protestieren und sich im Nachhinein über die Polizei beschweren?
Da habe ich kein Verständnis. Sie sind gekommen, obwohl die Polizei und der FC Zürich sie aufgefordert hatten, es zu unterlassen.
Die Polizei hat vor der Schliessung des Gästesektors gesagt, es gelte, «ein Zeichen zu setzen». Das wurde ein teures Zeichen.
Es ging nicht darum, ein Zeichen zu setzen. Es ging um eine Risikoeinschätzung. Aufgrund der Vorfälle im Vorfeld war es aus Risikogründen nicht vertretbar, das Spiel im Brügglifeld normal durchzuführen.
Der Polizeieinsatz kostet über 300000 Franken. Zahlen müssen Steuerzahler und der FC Aarau. Wer wie viel?
Das ist noch offen. Es war ein ausserordentlicher Fall. Es stellt sich deshalb die Frage einer gewissen Anpassung des Kostenteilers zugunsten des FC Aarau.
Alle zahlen, nur die Verursacher nicht: die FCZ-Fans. Ist das fair?
Das ist die gesetzliche Regelung. Der FC Aarau als Veranstalter haftet. Wenn man eine andere Regelung will, muss das der Fussballverband tun.
Was halten Sie von Ordnungsbussen für Fans, die Aufrufe der Polizei missachten?
Ein unkompliziertes Vorgehen in Richtung Ordnungsbussen, wie wir sie aus dem Verkehr kennen, ist prüfenswert. Heute sind Ordnungsbussen nicht möglich.
Das neue Hooligan-Konkordat hilft also nicht in jedem Fall.
Das Hooligan-Konkordat ist ein Mittel zum Zweck, aber keine Patentlösung. Polizeieinsätze lösen nie gesellschaftliche Probleme. Die Polizei hat für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen.
Der Aargau ist jetzt Vorreiter bei der Schliessung von Gästesektoren. Was sagen Regierungsratskollegen aus anderen Kantonen?
Ich habe nur positive Rückmeldungen bekommen. Weil man gesehen hat: Irgendwann geht es nicht mehr, man muss handeln.
Was lernen Sie aus der Aktion?
Wir ziehen aus jedem Einsatz Konsequenzen und schauen, was wir besser machen können. Dafür ist es jetzt aber zu früh.
Aber die gross angelegte Polizeiaktion ist ein Mittel, das Sie wieder anwenden würden?
Ja, im Extremfall ist das möglich.
Am Sonntag spielt Aarau daheim gegen Luzern. Was erwartet uns?
Über das Dispositiv der Polizei geben wir im Vorfeld keine Auskunft.
Aber eine Sperrung des Gästesektors oder eine andere besondere Massnahme gibt es nicht?
Stand jetzt nicht. Wir schätzen das Spiel im Rahmen wie andere ein, aber auch mit einem erheblichen Polizeieinsatz.
Sie sind selber Matchbesucher. Wie beurteilen Sie das ganze als Fussballfan?
In den Fankreisen, in denen ich verkehre, sind alle der Meinung, das Mass sei voll in Sachen Fangewalt.
Aber sie hätten auch lieber volle Gästesektoren?
Ja klar. Und am liebsten nur drei Stadtpolizisten pro Spiel. So wie früher.
Als FCA-Fan hoffen Sie auf den Ligaerhalt, nehme ich an.
Ja selbstverständlich!
Und als Polizeidirektor?
Auch. Es muss möglich sein, dass ein Klub wie Aarau in der Super League spielen kann. Ich kann als Polizeivorsteher nicht hoffen, dass der sportliche Misserfolg das Sicherheitsproblem löst.
Aber ein Abstieg würde Ihnen als Regierungsrat viel Ärger und Geld sparen.
Das ist klar. Aber Ziel muss doch sein, dass wir eine vernünftige Fussballmeisterschaft durchführen können. Und zwar ohne dass es ständig ein immenses Polizeiaufgebot braucht.
Zum Schluss: Können Sie Unbeteiligten wie Pascal Werner aus Seengen versprechen, dass er an einem Matchtag nach Aarau fahren kann, ohne gleich festgenommen zu werden?
Normalerweise ist das ja der Fall. Aber wenn es wieder so eine gravierende Situation gibt wie am letzten Samstag sind Einschränkungen der persönlichen Freiheit möglich. Sonst wäre die Konsequenz, solche Risikospiele gar nicht mehr durchzuführen und ganz zu verbieten. Das will niemand.
Chris Iseli