In einem vollen Saal in Val-de-Ruz hat Dieudonné seinen vorerst letzten Auftritt in der Schweiz abgehalten. Mit im Publikum war auch der Gemeindepräsident – er sucht nach einer Antwort auf die Polemik.
Der Gemeindesaal von Fontainemelon, Teil der politischen Gemeinde Val-de-Ruz im Kanton Neuenburg, hat keinen Namen. Er heisst schlicht Salle de spectacle. Und ein Spektakel spielt sich an diesem Dienstagabend vor dem Eingang zum namenlosen Saal tatsächlich ab. Wer den umstrittenen französischen Komiker Dieudonné sehen will, der um 20 Uhr hier auftritt, wird von allen Seiten mit Flyern eingedeckt. Den Auftakt machen Mitglieder der Linkspartei «SolidaritéS»: Ein bärtiger Mann mit rotem Stern auf der Brust drückt jedem Besucher ein Faltblatt mit dem Titel «Dieudonné, ein Antisemit?» in die Hand.
Antisemit oder nicht?
Die Antwort aus Sicht von «SolidaritéS» findet sich im ersten Absatz: Dieudonné sei ein Antisemit, heisst es da. Als Beispiel wird unter anderem ein Eintrag des Komikers auf Facebook nach den Terroranschlägen von Paris aufgeführt: «Je me sens Charlie Coulibaly.» Coulibaly hiess der Terrorist, der in einem koscheren Supermarkt in Paris ein Blutbad anrichtete und vier seiner Geiseln tötete, Charlie das Satireblatt, dem der Terroranschlag der Brüder Kouachi galt. Im einen Fall solidarisierte sich Dieudonné mit dem Täter, im anderen Fall mit den Opfern. Wegen dieser Aussage, die ihm als Verherrlichung des Terrors ausgelegt wurde, wurde Dieudonné vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen. Die Besucher, die zum Teil sogar aus Südfrankreich angereist sind, schenken dem Flyer wenig Aufmerksamkeit, sofern sie ihn überhaupt entgegennehmen.
Neben den Linksaktivisten hat sich ein dicker Mann mit Lederjacke aufgestellt, ein Fan von Dieudonné. Auch er verteilt Flyer, allerdings mit gegenteiligem Inhalt: «Je suis M’Bala M’Bala», steht auf der Vorderseite, und auf der Hinterseite argumentiert der Autor, dass Dieudonné nur geächtet werde, weil er schwarz sei und mit Nachnamen M’Bala M’Bala heisse. Dieudonné ein Antisemit? Mitnichten.
Als Antisemiten bezeichnen indes die Aktivisten der Koordination gegen Antisemitismus namens Cicad den Polemiker-Komiker. Wie bei allen vorherigen Auftritten Dieudonnés in der Schweiz haben sie auch in Fontainemelon einen Stand aufgebaut. Weil am Dienstag der 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers von Auschwitz begangen wird, fordern sie Dieudonnés Fans auf, eine Kerze anzuzünden. Tatsächlich brennen kurz vor 20 Uhr auf dem Klapptisch rund ein Dutzend Rechaudkerzen. Einen Kontrast dazu bilden Aussagen Dieudonnés, die die Mitglieder der Cicad in einem Flyer auflisten. Das Judentum sei eine Sekte und eine Gaunerei, sagte Dieudonné etwa 2002 in einer französischen Zeitung, und 2014 zog er in einem Video die Existenz der Gaskammern in Zweifel.
Während sich der Saal mit seinen 336 Plätzen mehr und mehr füllt, rauchen im Haus von Gemeindepräsident Armand Blaser auf der gegenüberliegenden Strassenseite die Köpfe. Bei Tee und Sandwichs debattiert eine kleine Gruppe von Leuten über Meinungsfreiheit, Toleranz und Ausgrenzung. Sie haben sich auf Initiative des Gemeindepräsidenten hier eingefunden, unter anderem sind der Präsident der Israelitischen Gemeinde des Kantons Neuenburg sowie die kantonale Delegierte für Ausländerfragen zugegen. Das Treffen ist informeller Natur, aus dem Brainstorming könnte aber bald Konkretes entstehen: Blaser möchte als Antwort auf Dieudonnés Show kulturelle Veranstaltungen wie zum Beispiel Lesungen ins Leben rufen, in denen statt Ausgrenzung Toleranz und Dialog zelebriert werden. Ein Auftrittsverbot für Dieudonné sei aus Respekt vor der Meinungsfreiheit keine Option gewesen, erklärt Blaser. Doch der Besuch des unerwünschten Gastes rufe nach einer proaktiven Antwort der Behörden.
Ein schlechter Witz
Zunächst gehört der Gemeindesaal von Fontainemelon aber Dieudonné. Es ist 20 Uhr, und eine Stimme kündigt den Komiker als gefährliche Bestie an, die zum Hass aufrufe. Die Zuschauer johlen. Als der Vorhang aufgeht, kommt dahinter Dieudonné in oranger Häftlingskleidung und in Ketten zum Vorschein. Er komme schliesslich direkt aus dem Polizeigewahrsam, erklärt er. Der Saal tobt. Man versteht sich.
Der erste «Judenwitz» folgt nach rund 20 Minuten. Dieudonné beschuldigt in einem fiktiven Gespräch zwischen einem Sklaven und seinem Besitzer die Juden als Sklavenhändler, später hebt er die Hand wie aus Versehen zum Hitlergruss. Seine Aussagen und Gesten sind indes so wirr, zweideutig und aus dem Zusammenhang gerissen, dass sie wohl keinen Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm darstellen. Das Gebaren als humoristisch zu bezeichnen, ist indes ein schlechter Witz.
Dieudonné
M’bala M’bala
Französischer Komiker