Newsnet: Die scharfe westliche Kritik an Russland lässt Aussenminister Sergei Lawrow kalt. Daran habe er sich längst gewöhnt, sagt er in Basel.
Gestern war er der Prügelknabe seiner Kollegen, heute gibt er vor der Presse den Star: Sergei Lawrow. Weder der OSZE-Vorsitzende Didier Burkhalter noch der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier vermochten so viele Kameras auf sich zu ziehen und den geräumigen Pressesaal des Ministertreffens in Basel fast zu füllen. Lawrows Pressechef will schon nach 20 Minuten Schluss machen, doch der russische Aussenminister nimmt sich fast eine Stunde Zeit, seine Ansichten darzulegen.
«Ein paar Fragen nehmen wir noch», heisst es ganz nach dem Vorbild seines Chefs Wladimir Putin, der sich bei solchen Gelegenheiten ebenfalls gerne grosszügig und charmant gibt. Handverlesen sind die Fragen an Lawrow allerdings nicht, wie dies in Moskau jeweils der Fall ist. Vor allem die ukrainischen Journalisten nehmen kein Blatt vor den Mund. Allerdings sind sie dem gewieften Diplomaten nicht gewachsen, der ihre Voten mit seiner vom Rauchen tief gewordenen Stimme ruhig, aber bestimmt in kurzen Sätzen niederbügelt.
Grosses Lob für Burkhalter und die Schweiz
Für die Schweiz hat Sergei Lawrow nur Lob: «Ich gebe dem Schweizer Vorsitz die höchsten Noten, vor allem auch persönlich an Didier Burkhalter und sein Team.» Die Schweiz habe unter sehr schwierigen Bedingungen ausgewogen gearbeitet und die Prinzipien der OSZE umgesetzt. Die Probleme, über die in Basel gesprochen werde, seien schwerwiegend: die Sicherheit Europas und die Krise in der Ukraine. Das Wichtigste sei, dass dabei alle Prinzipien der OSZE berücksichtigt würden. Da könne es kein Auswahlverfahren geben, insbesondere jenes der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten sei zentral. Damit verbittet sich Russland in der Diskussion mit dem Westen gerne alle Kritik.
Lawrow schlägt dem Westen auch vor, ernst zu machen mit einem Wirtschaftraum vom Atlantik bis zum Pazifik – als hätten die EU und die USA nie eine ganze Serie von Wirtschaftssanktionen erlassen, welche die Zusammenarbeit mit Moskau auf ein Minimum zurückfahren. «Das Interesse an einer solchen Zusammenarbeit wächst», fügt er tapfer hinzu. Das Treffen in Basel sei erfolgreich und konstruktiv gewesen – «nicht zuletzt dank unseren Schweizer Gastgebern.»
20 bilaterale Gespräche an einem Tag
Als Prügelknabe fühlt sich Lawrow in Basel offensichtlich nicht. Zwar hat auch das russische Fernsehen bei seiner Berichterstattung aus Basel festgestellt, dass es breite und harsche Kritik an Russland gibt innerhalb der OSZE. Doch Lawrow lässt das kalt. Diese Vorwürfe sei er inzwischen gewohnt, sagt er lakonisch. Und es sei auch nicht so, dass er bei der Ministerkonferenz isoliert gewesen sei. «Ich fühlte mich prächtig», sagt er mit einem Grinsen. Man spreche miteinander, mache Witze.
Viel Zeit für Geselligkeit hatte Lawrow offenbar sowieso nicht: Laut eigenen Angaben hat er gestern nicht weniger als 20 bilaterale Gespräche geführt. Auf die Frage eines französischen Journalisten, ob es eine Deadline für die Lieferung der französischen Helikopterträger gebe, die Paris wegen der EU-Sanktionen zurückhält, antwortet Lawrow mit einer Grimasse: «Das Thema hängt mir schon zum Hals heraus. Das ist ein Problem der Franzosen, nicht unseres.» Schliesslich gebe es zu dem Thema Verträge.
Kiew muss zuerst Verpflichtungen erfüllen
Mit der Arbeit der OSZE in der Ukraine zeigt sich Lawrow zufrieden, obwohl manche russische Scharfmacher den internationalen Beobachtern jedes Mal Unausgewogenheit vorwerfen, wenn sie etwas Kritisches sagen über die prorussischen Rebellen. Die vereinbarte Kontrolle der Grenze zu Russland durch die OSZE, wo immer wieder Truppen- und Waffentransporte beobachtet werden, schiebt er auf die lange Bank.
Zuerst müsse die Ukraine ihre Verpflichtungen in Zusammenhang mit den – vom Westen und von Kiew nicht anerkannten – Wahlen in der Ostukraine erfüllen und etwa die Sicherheit der neu gewählten Rebellenführung garantieren. Erst dann könne man zum nächsten Punkt, der Garantie der Grenzen, übergehen.
Die Schurken sind die Amerikaner
Lawrow betont auch die Wichtigkeit des Kampfes gegen den Terrorismus. Nach Antisemitismus und Islamfeindlichkeit gehe es nun darum, die neue Christenfeindlichkeit anzugehen. Ebenso müsse man neonazistische Tendenzen bekämpfen. Seine westlichen Kollegen seien Russland in diesem Punkt leider nicht gefolgt. Das Thema sei politisiert, klagte er. Russland bezeichnet die neue ukrainische Führung und die Kämpfer der Maidan-Revolution gerne pauschal als Neonazis und Nationalisten.
Er hoffe – tiefer Seufzer –, dass seine Kollegen ihn «trotzdem hören und die russischen Argumente annehmen». Überhaupt beklagt er sich über «unsere westlichen Partner», wenn auch nicht zu sehr. Zumindest nicht über die Europäer. Die Rolle der Schurken geht an die Amerikaner, die laut Lawrow Russland zum Schuldigen im Ukrainekonflikt machen wollen, einem Konflikt, an dem Moskau doch gar nicht beteiligt ist.
Dann wünscht er allen viel Erfolg und alles Gute. Jemand applaudiert. Und weg ist er.