Erst grölten sie Nazi-Parolen, dann schlugen sie zu

Limmattaler Zeitung: Gewalt · Mutmassliche Neonazis haben mitten in Zürich eine Gruppe von Griechen attackiert. Ein 24-jähriger Schweizer ist in Haft, ein Grieche musste verletzt ins Spital.

Es war schon spät, etwa 23 Uhr, als vier Griechen an der Zürcher Bahnhofstrasse bei der Haltestelle Rennweg ins Tram stiegen. Dort trafen sie auf eine Gruppe von drei jungen Männern, die Lärm machten und Naziparolen grölten, wie die Griechische Studentenvereinigung Zürich (EFSZ) in einer Mitteilung schreibt. Als die drei jungen Männer merkten, dass es sich bei den Zugestiegenen um Griechen handelte, provozierten sie diese laut EFSZ-Mitteilung gezielt: Sie gaben Slogans zur Unterstützung der griechischen Neonazi-Partei Goldene Morgenröte von sich, ausserdem Parolen, die Adolf Hitler verherrlichten.

Die Griechen – zwei Männer und zwei Frauen, die in Zürich arbeiten und studieren – protestierten gemäss der Mitteilung gegen die rechtsextreme Provokation. Daraufhin sollen die Provokateure die zwei Männer der Griechengruppe geschlagen und eine der Frauen weggeschubst haben.

Der Kampf sei an der Tramhaltestelle Bahnhofstrasse weitergegangen, obwohl die Griechen versucht hätten, ihn zu beenden. Erst als die Polizei gerufen wurde und einige Passanten eingriffen, nahm die Gewalt ein Ende, heisst es weiter in der Mitteilung. Einer der Griechen musste mit einer Augenverletzung ins Spital. Die Polizei verhaftete einen der mutmasslichen Neonazis, die beiden anderen entkamen.

Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei Zürich, bestätigt die Darstellung der griechischen Studentenvereinigung im Wesentlichen: Es habe eine Auseinandersetzung im Tram und auf der Strasse gegeben. Eine Person sei in der Folge ernsthaft verletzt worden und habe im Spital behandelt werden müssen. Die Polizei nahm laut Cortesi einen 24-jährigen Schweizer fest, gegen zwei weitere Personen laufe eine Fahndung. Der Vorfall ereignete sich am vergangenen Donnerstagabend. Die Ermittlungen zu den genauen Hintergründen sind noch im Gang. Abgeklärt wird dabei gemäss Cortesi auch, ob politische Motive dahinterstecken.

Neonazi-Übergriffe «sehr selten»

Die EFSZ sieht den Vorfall als Anzeichen eines europaweit zunehmenden Neonazismus, der nun auch in Zürich heranreife. Laut Cortesi kommt es in Zürich jedoch «sehr selten» zu gewaltsamen Übergriffen mit neonazistischem Hintergrund.

Dies bestätigt ein Blick in die Chronologie rassistischer Vorfälle in der Schweiz, die von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus online geführt wird: Sie verzeichnet fürs laufende Jahr schweizweit bislang drei rassistisch motivierte Angriffe auf die körperliche Integrität. Diese ereigneten sich in Basel, Davos und Aigle. Entsprechende Vorfälle im Raum Zürich gab es laut der Chronologie in den letzten drei Jahren jeweils einen.

Der Nachrichtendienst des Bundes schätzt die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen in der Schweiz in seinem aktuellen Lagebericht auf 900 bis 1000 Personen. Rund ein Fünftel davon sei nicht nur als gewaltbereit, sondern auch als gewalttätig anzusehen. Am meisten gewaltbereite Rechtsextreme gebe es in den Kantonen Bern, Zürich, St.Gallen, Luzern und Aargau.

Chronik

Rechtsextreme Übergriffe im Raum Zürich

Die Zahlen sind überschaubar, aber doch beunruhigend: Schweizweit 54 rassistische Vorfälle dokumentiert die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) im laufenden Jahr auf ihrer Online-Chronologie. Im Vorjahr waren es 72. Der Höchstwert der letzten fünf Jahre stammt mit 114 aus dem Jahr 2009. In den meisten Fällen handelte es sich um verbale Übergriffe, ferner Aufmärsche, Drohungen und anderes. Rassistisch motivierte Angriffe auf die körperliche Integrität liessen sich laut GRA-Chronik in den letzten fünf Jahren jeweils an einer Hand abzählen. Im Raum Zürich geschah Folgendes:

· Auf dem Zürcher Platzspitz wird im Mai 2013 ein Mann schwarzer Hautfarbe mit rassistischen Sprüchen und Naziparolen beschimpft sowie mit einem Messer bedroht. Der Täter wird später zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt, aufgeschoben zugunsten einer ambulanten Behandlung.

· In einem Bus in Wetzikon beschimpfen im Mai 2012 mehrere Frauen eine dunkelhäutige Brasilianerin rassistisch. Nach dem Aussteigen schubsen sie sie zu Boden und treten auf sie ein.

· An der Chilbi in Hinwil schlägt im September 2011 ein Unbekannter einen 23-jährigen Mann mit der Faust ins Gesicht. Das Opfer hatte zuvor eine Bemerkung zum Hitlergruss des Schlägers und seines Begleiters gemacht.

Für Schlagzeilen sorgten auch Entgleisungen von Politikern: So machte 2012 ein Stadtzürcher SVP-Mitglied und Schulpfleger als «Kristallnacht-Twitterer» von sich reden. «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht … diesmal für Moscheen», schrieb er – und wurde in der Folge zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Die Kantonalzürcher EVP schliesslich verbreitete zur Kirchensteuerinitiative im April 2014 eine Karikatur, die einen Muslim zeigte, der an einem Kirchturm sägte.