Südostschweiz: Die Weltengemeinschaft ist gefordert, nach der wirtschaftlichen Globalisierung auch die soziale Globalisierung voranzutreiben. Nach Meinung von Experten kann nur so dem Rassismus Einhalt geboten werden.
Bürgerkrieg, Extremisten, Bedrohung, Bombenanschläge, Flucht, Flüchtlinge, Fluchtrouten, Schlepperbanden, Migranten, Einreise, Abkommen, Auffanglager, Rassismus – Schlagwörter, die in den letzten Wochen und Monaten die mediale Welt auf allen Kanälen beherrscht haben. Und niemand kann die Augen vor den Bildern von flüchtenden Menschen, verzweifelten Fa-milien oder engagierten Helfern verschliessen.
Auf der anderen Seite haben sich auch die Bilder von jenen Menschen tief in unser Gedächtnis geprägt, die den Fremden mit viel Misstrauen und Ablehnung begegnen – auch wenn ihre Zahl deutlich kleiner ist. In diesem Zusammenhang wird oft auch vorschnell von Rassismus gesprochen. Dem Schlagwort für jene Zurückhaltung und Vorsicht, die den Hilfe suchenden Menschen unter Umständen auch begegnen kann. Ueli Mäder, Professor für Soziologie an der Universität Basel, rät hier aber zur Vorsicht: «Man darf nicht vergessen, dass nicht alle zurückhaltenden Reaktionen immer auch unausweichlich in Fremdenhass oder Rassismus gipfeln – oftmals ist es auch nur Angst vor dem Fremden.» Und gerade diese Angst sei verständlich und durchaus menschlich, betont Mäder. «Wichtig ist einfach, dass wer diese Angst verspürt, auch bereit ist, diese anzugehen.» Die Ablehnung dem Fremden gegenüber sei, so Mäder weiter, auch Ausdruck unserer Sozialisation. «Denn die Angst, nicht zu genügen, spielt in der heutigen Gesellschaft eine riesengrosse Rolle.» Die Konkurrenz werde gern immer als die stärkere Seite gewichtet, was aber auch die Angst schüre.
Veränderung der Begrifflichkeit
Auch wenn heute nicht immer ganz klar ist, worin der Rassismus oder der Hass gegenüber dem Fremden begründet ist, so weiss man doch sehr viel über dessen Geschichte. So war zu Beginn der Neuzeit – also im 16. Jahrhundert, zur Zeit der Reformation – der Begriff von Rasse ganz anders besetzt als heute. Als Rasse wurde die Familie oder der soziale Stand bezeichnet. Es war dann der französische Arzt François Bernier, der als Erster die Menschen nach ihren Körpereigenschaften einteilte. Er unterschied die Menschen in vier bis fünf Rassen – die Rassenlehre entstand. In den darauffolgenden Epochen kamen immer mehr auch wertende Einteilungen, die die Charaktereigenschaften beschrieben, hinzu – und das Fremde wurde mit negativen Charaktereigenschaften bedacht. Sogar der deutsche Philosoph Immanuel Kant war in seinen frühen Arbeiten abwertend anderen «Rassen» gegenüber. In Mitteleuropa gipfelte der Rassenwahn im Nationalsozialismus. Aber auch in der Zeit nach 1945 – man denke an Ruanda oder das ehemalige Jugoslawien – war Rassismus immer wieder Anlass für Gräueltaten.
Jeder ist irgendwie Opfer
Der Soziologe Mäder weist auf das Wichtigste hin: «Fremdenhass dividiert Menschen auseinander und ist letzten Endes für beide Seiten eine schlechte Form, die Angst auszudrücken.» Damit betont der Fachmann, dass Fremdenhass nicht nur für die angegriffenen Personengruppen schmerzhaft und destruktiv ist. «Auch die Gegenseite ist Opfer – Opfer von sich selber.»
Und an diesem Punkt kommt die Rassismus-Prävention zum Tragen. Damit befasst sich die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR). Deren Geschäftsführerin Giulia Brogini betont darum auch, dass «die Förderung der besseren Verständigung zwischen Personen unterschiedlicher nationaler und ethischer Herkunft, Hautfarbe und Religion im Zentrum unserer Arbeit steht.» 1995 wurde die EKR vom Bundesrat eingesetzt und hat in den 20 Jahren ihres Wirkens schon einiges erreicht. «Aber der Kampf gegen die rassistische Diskriminierung ist vermutlich nie zu Ende», sagt Brogini. Allein schon, dass der Begriff Rassismus überhaupt Eingang in die sozialpolitische Auseinandersetzung in der Schweizer Gesellschaft fand, betrachtet die Fachfrau als Erfolg. Aber noch immer gebe es viel zu tun. Auf die Frage, welche Personen momentan am stärksten von Rassismus betroffen sind, erklärt Brogini: «Dunkelhäutige Menschen und Musliminnen und Muslime sind jene Gruppe, die am meisten unter rassistischen Anfeindungen zu leiden hat.»
Professor Mäder betont, wie wichtig es wäre, dass wir uns bewusst würden, wie privilegiert wir seien. «Aber wir dürfen nicht vergessen, dass unser Reichtum auch auf Voraussetzungen basiert, für die andere den Preis bezahlen.» Was meint Mäder konkret? «Ganz einfach, wenn wir nicht bereit sind, beispielsweise für ein Kilo Kaffee einen angemessenen Preis zu bezahlen, dann entziehen wir anderen Menschen eine bessere Lebensgrundlage.» Mäder geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt die Globalisierung, wie sie heute praktiziert wird, an den Pranger: «Die westlichen Staaten sprechen gross von der Globalisierung, meinen aber immer nur die wirtschaftliche Globalisierung.» Wenn es darum gehe, sich zu helfen, eine soziale Globalisierung zu schaffen, «dann ziehen sich die Verantwortlichen gerne in Schweigen zurück». Jeder Einzelne sei gefordert, um dieses Ungleichgewicht in den aufzuheben. «Bevor wir nicht lernen, dass globale Verantwortung mit sozialer Ver- antwortung Hand in Hand gehen muss, wird die Weltengemeinschaft das Problem von Fremdenhass nicht zu bewältigen.»
Fünf Fragen an …
Giulia Brogini – Geschäftsführerin Eidgenössische Kommission gegen Rassismus
1 Welche Formen von Rassismus und Fremdenhass gibt es? Wir unterscheiden hauptsächlich zwei Formen von Rassismus, den strafrechtlich relevanten Rassismus (261bis StGB) und den sogenannten «Alltagsrassismus», der strafrechtlich zwar nicht belangbar ist, aber von den Opfern genauso verletzend empfunden werden kann.
2 Wird Rassismus von den Betroffenen also unterschiedlich empfunden? Rassistische Diskriminierung trifft Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und in verschiedenen Lebensbereichen. Jugendliche, die auf Lehrstellensuche sind und die ihre Freizeit in Sportvereinen, Discos und Jugendtreffs verbringen, machen andere Erfahrungen mit Rassismus als Personen, die bereits in der Arbeitswelt stehen. Frauen, die einer erhöhten Gefahr der Mehrfachdiskriminierung (beispielsweise Geschlecht und Herkunft) ausgesetzt sind, spüren den Rassismus wiederum anders als Männer. Personen, die aus dem EU-Raum stammen, nehmen Rassismus anders wahr als Migrantinnen und Migranten aus Afrika oder aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
3 Wie soll man reagieren, wenn man auf der Strasse im Bus oder Zug Zeuge von Rassismus wird? Erst einmal ist es wichtig, die von der Diskriminierung betroffene Person zu unterstützen und, wenn möglich, die Person, die sich rassistisch geäussert hat, mit dem rassistischen Charakter ihrer Aussage zu konfrontieren. Handelt es sich um eine strafrechtlich relevante rassis- tische Diskriminierung, das heisst wenn eine Person aus Gründen der Rasse, Hautfarbe, nationaler und ethnischer Herkunft oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verletzenden Art und Weise herabgesetzt wird, kann jede Person eine Anzeige bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft einreichen.
4 Wenn man in einer solchen Situation aber Angst hat selber ins Fadenkreuz der Angreifer zu geraten, gibt es noch andere Möglichkeiten? Wichtig ist, Ungerechtigkeiten nicht einfach so hinzunehmen. Man kann ja auf verschiedene Weise Zivilcourage und Solidarität zeigen gegenüber den betroffenen Personen, auch ohne eine Situation eskalieren zu lassen. Oder man kann sich zum Beispiel auch Hilfe durch Dritte holen, etwa durch die Polizei.
5 Wie wird die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) diesbezüglich aktiv? Die EKR unterhält mit mehreren Stellen zusammen schweizweit ein Beratungsnetzwerk für Rassismus-Opfer. Eine von Rassismus betroffene Person, oder auch ein Zeuge eines Vorfalls kann sich an dieses Netzwerk wenden und den Fall melden. Die EKR sammelt gemeinsam mit den Beratungsstellen die Fälle aus der Praxis und veröffentlicht jährlich in anonymisierter Form eine Übersicht dazu.