Der Neonazi schoss aus nächster Nähe auf seinen Kontrahenten

Tages-Anzeiger; 11.10.2013
 
 
Der Schütze vom Niederdorf wird der versuchten vorsätzlichen Tötung angeklagt. Sein Opfer hat nur mit Glück überlebt.
 
Am 5. Mai 2012 gab es im Niederdorf eine wilde Schiesserei. Der heute 26-jährige Sebastien N., ein Neonazi aus dem Kanton Solothurn, schoss auf einen 27-jährigen Schweizer und verletzte ihn schwer. Laut Medienberichten war es eine Abrechnung in der rechtsextremen Szene. Der Neonazi flüchtete. Die Kantonspolizei Zürich schrieb den mutmasslichen Täter zur Fahndung aus und veröffentlichte Fotos von ihm. Mit Erfolg: N. konnte nach knapp 48-stündiger Flucht in Deutschland festgenommen werden. Im Bahnhof Hamburg-Harburg erwarteten ihn 40 Beamte mit Maschinenpistolen im Anschlag. Anschliessend wurde er an die Schweiz ausgeliefert. In seinem Koffer hatte er eine geladene Pistole.
 
Weniger als ein Meter Distanz
 
Nun sind die Untersuchungen abgeschlossen, und die Anklageschrift liegt vor. Der Mann ist geständig. Laut «Blick» wird die Tat voraussichtlich im März am Bezirksgericht Zürich verhandelt. Staatsanwältin Claudia Kasper hat Sebastien N. wegen versuchter vorsätzlicher Tötung angeklagt. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.
 
Der Schütze soll aus einer Distanz von 60 bis 80 Zentimetern auf das Opfer geschossen haben. Der Beschuldigte habe bewusst und gewollt in den Oberkörper seines Kontrahenten geschossen. Die Kugel bohrte sich in den Brustkorb unter der Lunge durch und blieb unter dem Schulterblatt stecken. Das Opfer hätte sterben können. Bei der Waffe handelt es sich um eine spanische Taschenpistole, die Sebastien N. in den Ausgang mitgenommen hatte.
 
Der Grenchner hätte zum Tatzeitpunkt eigentlich im Gefängnis sitzen müssen, denn das Solothurner Obergericht hatte ihn im Januar 2012 in zweiter Instanz zu 39 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Grund, warum er sich trotzdem auf freiem Fuss befand: Sebastien N. hatte das Urteil nicht akzeptiert und es ans Bundesgericht weitergezogen.Sebastien N. bewegt sich seit Jahren in der Schweizer und in der deutschen Neonazi-Szene. Auf seinem Oberkörper hat er nicht nur ein Hakenkreuz, einen Totenkopf und Handgranaten tätowiert, sondern auch ein Porträt von Adolf Hitler. N. hatte schon früher Kontakte zu rechtsextremen Kreisen in Hamburg. Dort lebt auch seine deutsche Freundin. Die Justiz in Deutschland wirft ihm vor, einer der Anführer einer Neonazi-Gruppe zu sein.