Sehr geehrte Frau Guggenbühler, sehr geehrte Redaktion
Gerne möchten wir einige Kritikpunkte an Ihrem Artikel «Auf der Suche nach eigener Identität» vom 22. November 2003 anbringen. Wir hoffen, dass unsere Einwände und Überlegungen bei Ihnen auf offene Ohren stossen.
Grundsätzlich haben wir sehr Mühe mit der verharmlosenden Art und Weise, wie sie die Neonazi-Szene beschreiben «kein politisches Wissen», «Identitätssuche» sind nur einige Stichworte. Kann man noch von Identitätssuche reden, wenn Unbekannte in Aarwangen versuchen, ein bewohntes Durchgangsheim für Asylsuchende abzufackeln («Bund» vom 22. November 2003)? Ist dies nicht eine hinterhältige Tat, die bewusst den Tod von Menschenleben in Kauf nimmt? Sicher: Der Wissensstand vieler rechtsextremer Jugendlichen über Nationalsozialismus und Politik im Allgemeinen dürfte sich in engen Grenzen halten. Immerhin aber schlagen diese Jugendliche im Namen dieser kruden Ideologie zu in Thun fast an jedem Wochenende. Ein kurzer Erlebnisbericht aus jüngster Zeit (7. November 2003), der uns zugesandt wurde:
«am 7.11 wollte mein kollege (18) in der Stadt Thun nach dem „Stroh“- konzert so um mitternacht herum mit seiner freundin und einem kollegen noch ein kebap essen gehn, alle waren unauffällig angezogen (keine Iros, springer oder ähnliches) dazu kam es jedoch nicht…sie wurden von hinten niedergeworfen und glaubten erst an einen schlechten scherz, drehten sich um und sahen so 10 – 15 Neonazis, der eine kollege konnte flüchten der andere wurde ca. eine minute lang von allen mit fusstritten traktiert dann hörten sie auf und sprühten ihm mit einem CS-Spray von ca 20 cm. nähe in die augen und den Mund, traten nochmals ein bisschen rein, nahmen ihm den Schuh weg und flüchteten mit einem bereitstehenden fluchtauto.»
Den Opfern neonazistischen Strassenterrors dürfte es wenig helfen, zu wissen, dass die Täter nur «provozieren» und «sich von anderen Gruppen abgrenzen» wollen. Statt der verniedlichenden Psychologisierung des Phänomens «Rechtsextremismus» läsen wir im «Bund» viel lieber einen Artikel über Zivil-Courage- oder gewaltfreie Abwehr-Strategien!
Eine unglückliche Hand hatte die Autorin mit der Befragung von Franz Kohler. Wer sich in der Rechtsextremismus-Experten- und Jugendarbeitszene nur ein wenig auskennt, weiss, wie umstritten Kohler gerade wegen seiner verharmlosenden und verworrenen Argumentation derzeit ist: Kohler musste im Juni 2003 als Leiter der «Basellandschaftlichen und Baselstädtischen Beratungsstelle Rechtsextremismus für ausstiegswillige Jugendliche» zurücktreten. Grund: In einem BaZ-Artikel (Fricktaler Split) vom 28. Februar 2003 wurde Franz Kohler zitiert: «… dass das Wort Nationalsozialismus an und für sich nichts Anstössiges sei, es beinhalte lediglich eine positive Grundhaltung gegenüber der Nation.» Ausführliche Infos zum «Fall Kohler» finden sich auf der Website der «Aktion Kinder des Holocaust»: http://www.akdh.ch
Wieso wurden nicht die versierten Rechtsextremismus-Kenner Hans Stutz und Jürg Frischknecht befragt? Wieso wurde nicht das «gggfon» kontaktiert? Ein Gespräch mit Pädu Anliker vom «Café Mokka» immerhin ein Direktbetroffener wäre doch sicher auch sehr erhellend gewesen!
Nicht zuletzt stören wir uns an der Stilisierung der Reithalle zur kantonsweiten Schaltzentrale des Bösen das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsbürgerlichen. Wer einen solch schwerwiegenden Vorwurf («gesteuert von der Reithalle aus») in eine Qualitätszeitung setzt, müsste zumindest als «sauber» recherchierende und arbeitende Journalistin die Betroffenen damit konfrontieren und sie zu Wort kommen lassen. Von der Antifa Bern hätte die Autorin dann zum Beispiel erfahren, dass die Antifa Thun durchaus ausreichende Strukturen und Power hat, um einen Abendspaziergang zu tragen und nicht auf den Support aus der Hauptstadt angewiesen ist.
Und übrigens: Die üble Parole «Nazis erstechen ist kein Verbrechen» lasen wir in Ihrem Artikel zum ersten Mal. Sie gehört definitiv nicht in unser Vokabular.
Mit freundlichen Grüssen und auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit
Antifa Bern