Dominiks Weg zurück ins Leben

Thurgauer Zeitung vom 26.04.2013

Zum zehntenmal jährt sich heute der brutale Überfall auf Dominik Bein durch Neonazis, bei dem der damals 15-Jährige bleibende Hirnschäden davontrug. Lange mussten er und seine Mutter um finanzielle Hilfe kämpfen. Dank grosszügiger Hilfe aus der Bevölkerung geht es ihnen heute gut.

 MARC KELLER

RICKENBACH. Rot. Gelb. Grün. Auch heute noch ist Dominik Beins Zimmer in den Farben der jamaikanischen Rastafari-Kultur gehalten. An den Wänden prangt gleich mehrfach das Konterfei von Bob Marley, nach wie vor sein grosses Idol. Rot, gelb und grün war auch die Mütze, die er am 26. April 2003 trug, als er in Frauenfeld ein Ska-Konzert besuchen wollte. Für sieben Rechtsradikale, die an jenem Abend in die Kantonshauptstadt reisten, «um Linke zu vermöbeln», reichte Beins Reggae-Kappe aus, um ihn und seinen Freund als «Negerfreunde» zu identifizieren, wie sie später aussagten. Mit Schlagringen und Kampfstiefeln bewaffnet prügelten sie die beiden Minderjährigen fast tot. Dominik Bein trug eine schwere Hirnverletzung davon; er bleibt lebenslang invalid und ist auf Betreuung angewiesen. Heute jährt sich der hinterhältige Angriff zum zehnten Mal.

Eine Welle der Solidarität

«Es geht uns heute gut», sagt Dominik Beins Mutter Rosmarie. Ohne die grosszügige finanzielle Unterstützung aus der ganzen Schweiz wäre vieles nicht möglich gewesen. «Ich bin all den lieben Menschen, die uns geholfen haben, unendlich dankbar.» Rosmarie Bein musste lange um finanzielle Hilfe kämpfen. Als Opfer von Schlägern steht ihrem Sohn keine Leistung durch die Haftpflichtversicherung der Täter zu. Dominik Bein erhielt einzig eine Zahlung von 150 000 Franken durch die Opferhilfe. Dieser Betrag wurde vom Kanton Thurgau vorgeschossen und muss von den Tätern zurückgezahlt werden, ehe Dominik Bein direkte Schadenersatzforderungen an sie stellen kann.

Daneben bekommt er eine IV-Rente von 1400 Franken. Mittlerweile zahlen zwei Täter zusammen 300 Franken im Monat an Dominik Bein, viel zu wenig, um sein Leben inklusive aller notwendiger Therapien zu bestreiten.

Zwischenzeitlich stellte auch Beins Krankenkasse die Zahlung für seine Ergo- und Logotherapie ein. Auf Druck vieler Menschen, die sein Schicksal im Fernsehen sahen, setzte sie die Zahlung wieder fort.

Briefe und Cumulus-Punkte

Dank der Spenden konnten die Beins letztes Jahr eine Behandlung gegen Dominiks Bauchschmerzen – eine Spätfolge der Attacke – bezahlen. «Ich habe erfahren dürfen, wie hilfsbereit viele Menschen sind», sagt Rosmarie Bein. Auch moralische Unterstützung in Form unzähliger Briefe habe sie erreicht. Und eine Frau, die selbst nicht viel Geld hat, habe ihr Cumulus-Punkte geschenkt.

«Die zehn Jahre waren eine ganz schwere Zeit», sagt Rosmarie Bein rückblickend. «Das mag ich niemandem gönnen.» Finanziell sieht es im Moment gut aus, aber Dominik Bein hat körperlich noch immer schwer an den Folgen der Attacke zu tragen. Als er damals aus dem Koma erwachte, musste er Sprechen und Laufen neu erlernen. Das Sprechen macht ihm heute noch Mühe, sein Kurzzeitgedächtnis lässt ihn oftmals im Stich. «Aber er macht Fortschritte», sagt seine Mutter.

Heute kann Dominik Bein ein geregeltes Leben führen. Die Ergo- und Logotherapie füllen mit dem Training im Fitnessstudio seine Tage aus. Am Wochenende geht er in den Ausgang nach Wil. Da trifft er alte Freunde, neue hat er dazugewonnen. «Er ist sehr gerne unter Leuten», sagt seine Mutter. Neu hat er einen Garten, in dem er Pflanzen und Gemüse setzt. Daneben steht ein Grill mit zwei Bänken, damit seine Freunde zum Grillieren kommen können.

Er will Hilfspfleger werden

Dominik Bein war 15 Jahre alt und Schüler, als er so brutal überfallen wurde. Damals wollte er eine Lehre als Pfleger machen und Sanitäter werden, erzählt seine Mutter. «Sanitäter bei der Rega», ergänzt Dominik Bein und lacht. Lange sah es so aus, als würde er keine Tätigkeit mehr ausüben können. Mit den Fortschritten, die er gemacht hat, ziehen er und seine Mutter eine Anlehre aber durchaus in Betracht. «Am liebsten würde er Hilfspfleger werden», sagt seine Mutter.

Rosmarie Bein möchte, so gut es geht, für Dominiks Zukunft vorsorgen. Ihr Ziel ist es, dass ihr Sohn nie in ein Heim muss. Mit dem Geld der Opferhilfe hat sie zu seiner Absicherung eine Wohnung gekauft. Weil diese als Vermögen gilt, erhält Dominik keine Ergänzungsleistungen, die ihn auf das Existenzminimum bringen würden. Rosmarie Bein gibt die Hoffnung nicht auf, dass Dominik finanziell zumindest so gutgestellt sein wird wie die Täter.

Ihr Anwalt Manfred Dähler sieht zwei Möglichkeiten: Erstens, dass der Kanton Thurgau darauf verzichtet, das Geld, das er für die Opferhilfe vorgeschossen hat, von den Tätern zurückzufordern. Dadurch wäre der Weg für Dominik frei, in einem Zivilprozess direkte Schadenersatzzahlungen von den Tätern einzufordern. Zweitens wünscht sich Dähler, dass die Bewährungshelfer verstärkt Druck auf die Täter ausüben würden, Dominik zu unterstützen. «Bisher haben sich die Bewährungshelfer intensiv gegen Lösungen gesträubt», sagt er.

«Auch wir haben Neonazis»

Seit dem Überfall auf Dominik ist Rosmarie Bein sensibel auf rechte Gewalt. Mit Schrecken hat sie die Morde durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gehört. Das seien Terroristen, Leute voller Hass und mit einer menschenverachtenden Gesinnung. «Wir glauben es nicht, aber auch wir in der Schweiz haben Neonazis.» Sechs der sieben Rechtsradikalen, die Dominik fast tot schlugen, wurden 2007 zu Haftstrafen von fünf bis sechseinhalb Jahren verurteilt, der siebte nahm sich in der Untersuchungshaft das Leben. Mittlerweile sind alle wieder auf freiem Fuss. Keiner hat sich jemals bei Dominik Bein entschuldigt.