Der Bund 03.04.2013
Nicht nur die Mordwaffe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) kam aus dem Kanton Solothurn, sondern auch ein Gewehr, das mit den Rechtsextremen in Verbindung gebracht wird.
Thomas Knellwolf
Der Polizeioberkommissar und ein Polizeihauptmeister staunten bei der Inspektion des Wohnmobils nicht schlecht. Sie hatten es inspiziert, weil dem Wohnmobil Rauch entstiegen war, was sie gemeinsam mit der Spurensicherung aus dem ostdeutschen Eisenach dann fanden, war ungewöhnlich: Neben einem Teddybären, einem Abhörgerät für Polizeifunk und einem Waffenarsenal lagen zwei Leichen – und eine unbenutzte Pumpgun. Das war am 11. November 2011. Spätere Ermittlungen zeigten: Die Waffe war solothurnischer Herkunft. Mehrmals reisten deutsche Kriminalbeamte für Befragungen in die Schweiz.
Sie massen den Nachforschungen in beiden Ländern höchste Priorität zu, weil es sich bei den Toten um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt handelte. Die beiden Rechtsextremen waren Jahre zuvor abgetaucht und hatten, ohne dass ihnen jemand auf die Spur gekommen wäre, Banken überfallen, einen Sprengstoffanschlag verübt und in ganz Deutschland Menschen umgebracht – zuletzt, im Wohnmobil, sich selber.
«Hohe Mannstoppwirkung»
Das war das Ende des bis dahin unbekannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Und der Anfang einer der grössten deutschen Strafuntersuchungen der vergangenen Jahre. Das NSU-Verfahren wird in Deutschland in eine Reihe gestellt mit den RAF-Prozessen. Ab dem 17. April stehen Beate Zschäpe, die sich mit Mundlos und Böhnhardt jahrelang versteckt hatte, sowie vier Helfer des Trios vor dem Oberlandesgericht München. 488 Seiten umfasst die Anklageschrift – 600 Zeugen und 22 Sachverständige werden darin benannt. Bis in den Januar 2014 sind Termine reserviert, doch die 45 anberaumten Verhandlungstage werden kaum reichen.
Beschäftigen wird sich der 6. Münchner Strafsenat auch mit Ermittlungsergebnissen aus der Schweiz, denn die Pistole, mit der neun türkisch- und griechischstämmige Männer umgebracht wurden, stammt ursprünglich aus einem Waffengeschäft in Derendingen SO. Der «Bund» hat mehrfach über den Weg der seltenen Ceska via Berner Oberland nach Thüringen berichtet. Wenig Beachtung in der Öffentlichkeit fand bislang, dass auch eine zweite Waffe des NSU aus der Schweiz stammt: eine Pumpgun, Marke Mossberg, Typ Maverick 88, deren «hohe Mannstoppwirkung» auf einschlägigen Internetsites gelobt wird. Sie ging durch die Hände von zwei, vielleicht drei Metzgern, ebenfalls im Kanton Solothurn.
Dem ersten dieser Metzger kamen die Ermittler anhand der Seriennummer – MV43501E – schnell auf die Schliche. In den Büchern des Waffenhauses Diana (auch Waffen Bürchler), mit Sitz am Predigerplatz in Zürich, stand der Name Michael S.* und das Kaufdatum 11. April 1997. Was die Ermittler zuerst nicht wussten: Der zum Kaufzeitpunkt 27-jährige S. war in jungen Jahren mehrfach in der schweizerischen Presse abgebildet gewesen – in Bomberjacke, einen Arm in die Höhe gereckt. Es war die ideale Bebilderung von Artikeln zu Rechtsextremismus, auch von solchen, in denen Michael S. selber keine Rolle spielte. Heute sagt der mittlerweile 39-jährige Angestellte einer Grossmetzgerei auf Anfrage: «Ich laufe nicht mehr mit Bomberjacke und Springerstiefeln herum. Ich bin aber immer noch gegen Ausländer – wie 50 Prozent der Schweizer.» Ähnliches hatte S. ausgesagt, als er 2012 von der Solothurner Staatsanwaltschaft und deutschen Kriminalbeamten einvernommen wurde. Er kenne keine ostdeutschen Neonazis, sagte er, und vom NSU wisse er nur aus den Medien.
Der rätselhafte abgesägte Lauf S. räumte aber ein, früher in der rechten Szene verkehrt zu haben, daheim in der Region Thal-Gäu. «Thaler Patrioten» hätten sie sich genannt. Schlägereien hätten sie angezettelt damals. Vor einem Jahr, als ihn der «Bund» erstmals kontaktiert hatte, behauptete Michael S. noch, er habe nie eine Waffe besessen. Nun gibt er zu: «Ich habe einmal eine Pumpgun an einer Waffenbörse in Luzern am Stand einer Firma aus Zürich gekauft. Einfach so.» Später habe er die Waffe an einen Arbeitskollegen, einen Akkordmetzger, verkauft. Dieser Arbeitskollege, Silvan M.*, wiederum will die Maverick weiterverkauft haben, ebenfalls an einen Arbeitskollegen: an den Deutschen Reiner V.*, der an Wochenenden oft zu seiner Frau nach Deutschland gefahren sei. So zumindest stellte es Metzger M. in seinen Einvernahmen bei der Solothurner Staatsanwaltschaft dar. V. hingegen, ebenfalls gelernter Fleischer, 59-jährig, Waffenfreak aus dem Ruhrgebiet, behauptet, er habe nie von M. eine Maverick gekauft. Einer der beiden muss lügen.
Rätselhaft und undurchsichtig wird die Sache, weil die beiden Schweizer Metzger behaupten, bei ihrer Maverick sei der Lauf abgesägt gewesen. Die Pumpgun, die Michael S. laut den alten Waffenbüchern ursprünglich als Erster gekauft hat, wies aber einen vollständigen Lauf auf, als sie im Wohnmobil in Eisenach wieder auftauchte. Dafür hat keiner der Metzger, die als Zeugen einvernommen wurden, eine plausible Erklärung.
Metzger verneinen Kaufverträge
Vielleicht verheimlicht das Trio, an wen es die Maverick tatsächlich weitergegeben hat. Kaufverträge, die hätten angefertigt werden müssen, besassen die Metzger gemäss eigenen Angaben nie. Die mutmasslichen Verstösse gegen das Waffengesetz sind höchstwahrscheinlich verjährt. Ungeklärt bleibt trotz intensiver Ermittlungen, wie die Pumpgun aus dem Solothurnischen bei den NSU-Mördern landete.